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Größte Proteste seit 20 Jahren

Brasilien erlebt eine der größten Protestwellen seiner Geschichte - ausgerechnet zum Confederations Cup, der Generalprobe für die Fußball-WM im nächsten Jahr. Geschätzt über 200.000 Menschen nahmen in der Nacht auf Dienstag in mehr als zehn Städten des Landes an den weitgehend friedlichen Demonstrationen teil, auch am Mittwoch gingen die Proteste weiter.

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Bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizisten vor einem Fußballstadion im brasilianischen Fortaleza sind mindestens zwei Protestteilnehmer verletzt worden. Einige der rund 10.000 Demonstranten vor dem Stadion warfen am Mittwoch Steine auf Sicherheitskräfte, die Polizei setzte Tränengas und Gummigeschosse ein.

Gewalt auch am Vortag

Ursprünglich als Protest gegen Fahrpreiserhöhungen im Nahverkehr begonnen, richtet sich der Unmut der Demonstranten mittlerweile allgemein gegen Korruption und die Milliardenausgaben der Regierung für die anstehenden Sportgroßereignisse Fußball-WM und Olympische Spiele. Allein in Rio beteiligten sich laut Medienberichten bis zu 100.000 Teilnehmer an einem Protestzug. Hunderte zum Teil vermummte Randalierer griffen das Regionalparlament in der Stadt am Zuckerhut an. Sie steckten ein Auto in Brand, warfen Steine auf das Gebäude und rissen Absperrungen um. Derartige Ausschreitungen blieben aber die Ausnahme.

Demonstranten vor dem Kongress in Brasilia

APA/AP/Eraldo Peres

Die Proteste in den brasilianischen Großstädten verliefen großteils friedlich

Demonstranten besetzen Kongressdach

Die Proteste begannen kurz vor Einbruch der Dunkelheit. In der Hauptstadt Brasilia versammelten sich Tausende Demonstranten vor dem Nationalkongressgebäude, das durch die avantgardistische Architektur von Oscar Niemeyer weltbekannt ist. Hunderte junge Menschen drangen auf ein Zwischendach des Kongresses vor, wo Brasiliens Senat und das Abgeordnetenhaus ihren Sitz haben.

Demonstranten am Dach des Kongresses in Brasilia

APA/EPA/Fabio Rodrigues Pozzebom

Demonstranten auf dem Dach des Kongressgebäudes in Brasilia

Sie besetzten das Dach stundenlang, feierten ihren Erfolg mit Liedern und schwenkten brasilianische Flaggen. „Der Kongress ist unser“, riefen sie. Einige Demonstranten versuchten, in das Gebäude einzudringen. Der Präsidentenpalast Palacio do Planalto wurde von Sicherheitskräften abgeschirmt. Befürchtete Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizei blieben zunächst aus.

Sicherheitskräfte in Sao Paolo zurückhaltend

In Sao Paulo, der mit elf Millionen Einwohnern größten Stadt Brasiliens, zogen nach Schätzungen über 60.000 Demonstranten durch die Stadt. Die Polizei sprach von etwa 50.000 Teilnehmern. „Das Volk vereint regiert ohne Parteien“, riefen dort die Demonstranten. In Sao Paulo hatte sich der Protest vorige Woche an der Anhebung von Fahrpreisen für Bustickets entzündet. Bei vorherigen Aktionen war es zu schweren Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstranten gekommen. Am Montag hielten sich die Sicherheitskräfte dagegen auffallend zurück.

Proteste für ein „besseres Brasilien“

In Rio riefen die Demonstranten: „Rio wird stillstehen, wenn die Stadt die Preise nicht verringert.“ Auf Plakaten forderten sie ein „besseres Brasilien“, ein Ende der Korruption und mehr Geld für Spitäler, Schulen und Universitäten. „Ich lass’ die WM sausen und will mehr Geld für Gesundheit und Bildung“, skandierten die Teilnehmer der Demonstration, zu der vor allem in Sozialen Netzwerken im Internet aufgerufen worden war.

Polizist sprüht Tränengas gegen eine Frau

APA/AP/Victor R. Caivano

In Belo Horizonte setzte die Polizei auch Tränengas gegen die Demonstranten ein

Auch in Porto Alegre, Belo Horizonte und Salvador gab es Aktionen mit Tausenden Teilnehmern. In Porto Alegre entfachten die Demonstranten Feuer auf der Straße, in Sao Paulo wurde eine Brücke besetzt, in Belo Horizonte setzte die Polizei Tränengas ein. Über Verletzte gab es keine Angaben.

Präsidentin zeigt Verständnis für „friedliche“ Demos

Staatspräsidentin Dilma Rousseff äußerte in einer ersten Reaktion Verständnis für „friedliche Demonstrationen“. Diese seien legitim und gehörten zur Demokratie. Damit meinte sie aber ausdrücklich nicht die Randale vor dem Regionalparlament von Rio. Dessen Präsident Paulo Mello fand klare Worte für die Attacken der Vermummten, die er als „Akt des Terrorismus“ bezeichnete.

Brasiliens Superstar stützt Proteste

Unterdessen ermutigte Brasiliens Stürmerstar Neymar die Demonstranten in seinem Land und kritisierte zugleich die Regierung. Er habe immer geglaubt, dass es nicht nötig sein werde, „auf die Straße zu gehen“, um Verbesserungen beim Transport, im Gesundheitswesen, der Bildung und der Sicherheit zu fordern. „Das alles ist Verpflichtung der Regierung“, äußerte sich der künftig für den FC Barcelona spielende Angreifer beim Fotodienst Instagram.

„Ich bin Brasilianer und ich liebe Brasilien!! Ich habe Familie und Freunde, die in Brasilien leben!! Deshalb will ich auch ein Brasilien, das gerechter, sicherer, gesünder und EHRLICHER ist!!!!“, schrieb der Nationalspieler. Das Einzige, das ihm bleibe, um Brasilien zu repräsentieren und zu verteidigen, sei das Fußballfeld.

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