Klassisch, zeitgenössisch, packend
Auch heuer wieder beweisen Hörbücher für jedermanns Interesse, dass sie dem geschriebenen Wort um nichts nachstehen - den Unkenrufen literarischer Puristen zum Trotz. Von „Ulysses“ bis zum Krimi, von Michael Köhlmeier bis zum 9/11-Roman ist für jeden etwas dabei.
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Sich dem „Flow“ von „Ulysses“ hingeben
James Joyces „Ulysses“ ist längst weit mehr als nur ein Buch. Die Beschreibung eines Tages des Leopold Bloom ist Mythos und Schreckgespenst zugleich. Kaum jemand, heißt es, lese das Meisterwerk wirklich zu Ende. Der Hörverlag hat nun die Übersetzung Hans Wollschlägers von einer Handvoll großer Schauspieler einlesen lassen, darunter etwa Burghart Klaußner („Das weiße Band“) und die hörbucherprobte Sophie Rois. Gerade für postmoderne Meisterwerke wie „Ulysses“ und Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ (ebenfalls Hörverlag) ist das Hörbuch als Medium wie geschaffen: Man ergibt sich dem Gedankenstrom, heute würde man sagen: dem Flow.
James Joyce: Ulysses. Abwechselnd gelesen unter vielen anderen von Burghart Klaußner, Axel Milberg, Ulrich Noethen, Sophie Rois und Udo Samel. Der Hörverlag, sechs MP3-CDs, vollständige Lesung, ca. 38:09 Stunden, 87,99 Euro.

ORF.at/Zita Köver
Rebus kehrt aus dem Ruhestand zurück
Der Brite Ian Rankin hat mit seinen John-Rebus-Krimis Weltruhm erlangt - und das schottische Raubein nach 17 Fällen in den Ruhestand geschickt, sehr zur Trauer seiner Fans. Doch nun in „Mädchengrab“ taucht Rebus wieder auf, er kann das Ermitteln auch als Pensionist nicht lassen. Schon bald ist er unverhofft einem Serienmörder auf der Spur. Gelesen wird das Buch von einem ebenfalls alten Bekannten: Gottfried John mit seiner unverwechselbaren Stimme (die zu Rebus bestens passt), bekannt aus zahlreichen Fernseh- und Filmrollen. Hörtipp: nachts beim Radfahren auf einer finsteren, einsamen Straße in einem waldreichen Gebiet.
Ian Rankin: Mädchengrab. Gelesen von Gottfried John. Der Hörverlag, sechs CDs, gekürzte Lesung, ca. 7:54 Stunden, 15,49 Euro.
Ein Mutter-Tochter-Thriller
Die kanadische Autorin Joy Fielding gilt neben Patricia Cornwell, Elizabeth George und Mary Higgins Clark als eine der Großmeisterinnen der Spannungsliteratur. „Herzstoß“ ist vielleicht nicht ihr packendstes Buch, aber es besticht durch den Schauplatz Irland und herzhaftes Psychologisieren. Eine Mutter macht sich auf die Suche nach der verschwundenen Tochter - sie soll ertrunken sein - und gerät dadurch in einen Strudel nicht vorhersehbarer Ereignisse. Die nasale Lakonie der auf Fielding gebuchten Vorleserin Hansi Jochmann lässt kein Pathos aufkommen und tröstet über die eine oder andere Plattheit hinweg - und das recht hohe Lesetempo steigert die Spannung.
Joy Fielding: Herzstoß. Gelesen von Hansi Jochmann, sechs CDs, gekürzte Lesung, ca. 6:47 Stunden, 16,49 Euro.
Das 9/11-Memorial eines Muslims
Amy Waldmans Roman „Der amerikanische Architekt“ rechtfertigt das hohe Kritikerlob in Feuilletons dies- und jenseits des Atlantiks. Die Autorin lässt einen muslimischen Architekten den Wettbewerb für das 9/11-Memorial in New York gewinnen. Die Folge ist eine Hexenjagd, in deren Kreuzfeuer die Jurorin Claire gerät. Das Buch ist ungemein intelligent und folgt den Volten in der fiktiven Debatte über das Erinnern mit einem hohen Maß an Spannung und Witz. Ulrich Noethen lässt den Text voll zur Geltung kommen und nimmt sich als Vorleser wohltuend zurück.
Amy Waldman. Der amerikanische Architekt. Gelesen von Ulrich Noethen. Der Hörverlag, sechs CDs, gekürzte Lesung, ca. 7:15 Stunden, 17,99 Euro.

ORF.at/Zita Köver
Ehrwürdiger Text, würdevoll umgesetzt
Mit Thomas Manns „Der Tod in Venedig“ hat sich der Hörverlag einem echten Klassiker gewidmet: der tragischen Novelle über den verzweifelten Drang eines Schöngeists zu einem schönen jungen Mann. Das Buch hielt jeder Interpretation und Verfilmung stand - und funktioniert selbstverständlich auch als Hörbuch. Diesem ist noch eine Bonus-CD mit einem Text über die Entstehung und Wirkungsgeschichte von „Der Tod in Venedig“ beigefügt. Mit Matthias Brandt hat man einen echten Charakterdarsteller engagiert, der dem Text Thomas Manns gerecht wird. Ihn kennt man vor allem als Kommissar Hans von Meuffels in den „Polizeiruf 110“-Folgen von Kultregisseur Dominik Graf.
Thomas Mann: Der Tod in Venedig. Gelesen von Matthias Brandt. Der Hörverlag, vier CDs, vollständige Lesung, ca. 3:51 Stunden, 15,49 Euro.
Einmal mehr an Köhlmeiers Lippen hängen
Viel ist über Michael Köhlmeiers „Die Abenteuer des Joel Spazierer“ geschrieben worden. Erzählt wird mit unglaublich viel Empathie die Lebensgeschichte eines Kindes/Burschen/Mannes, der zum mehrfachen Mörder wird. Seit den Göttersagen auf Ö1 verbindet man mit Köhlmeier vor allem seinen Erzählton. Bei der teils mehr als drastischen Geschichte (es geht auch um Kinderprostitution) kann der onkelhafte Duktus irritieren, die Vorlesemanierismen (absetzen mitten im Gliedsatz) sind gewöhnungsbedürftig. Und dennoch: Niemals will man auf „Pause“ drücken. Bedrückende philosophische Gedanken und eine hochnotspannende Story lassen den Hörer mehr als 30 Stunden dranbleiben.
Michael Köhlmeier: Die Abenteuer des Joel Spazierer, gelesen vom Autor selbst. Der Hörverlag, vier MP3-CDs, ungekürzte Lesung, ca. 31:30 Stunden, 17,95 Euro.
Die Vergangenheit ruht nicht
Sicher, es gibt bessere Krimis, bessere Übersetzungen von Büchern und besser eingelesene Hörbücher als dieses. Aber weil man am Strand mitunter nicht ganz so kritisch ist und zwölf Stunden Spannung für unter 13 Euro ein wohlfeiler Deal sind, darf an dieser Stelle Harlan Cobens „Wer einmal lügt“ empfohlen werden. Eine ehemalige Stripperin samt dunklem Geheimnis (es geht um vermisste Männer) wird nicht ganz ohne eigene Schuld von ihrer Vergangenheit eingeholt. Sie hätte trotz Langeweile beim trauten Familienleben bleiben sollen.
Harlan Coben: Wer einmal lügt. Gelesen von Detlef Bierstedt. Der Hörverlag, zwei MP3-CDs, vollständige Lesung, ca. 12:07 Stunden, 12,49 Euro.
Simon Hadler, ORF.at
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