Die Freude am Fahrrad
Internationale Experten, Aktivisten und Politiker nehmen in Wien seit Dienstag an der Konferenz Velo-city teil und erklären dort Besuchern, wie man den Radverkehr vermehrt: Fahrräder sollen Spaß machen, das Miteinander im Straßenverkehr muss funktionieren und die Politik soll für ordentliche Verkehrskonzepte und anständige Radwege sorgen.
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Was anständige Radwege sind, führt eine dänische Delegation aus. Dort werden nun nach und nach knapp 25 Fahrrad-„Superhighways“ gebaut. Sie verbinden wichtige Stadtteile beziehungsweise Städte miteinander, sind zwischen fünf und 25 Kilometer lang, mindestens vier Meter breit, möglichst von Grünflächen umgeben und pro Kilometer soll es im Durchschnitt zu nicht mehr als 20 Sekunden Stehzeit durch Ampeln und ähnliche Hindernisse kommen.
Im Publikum sitzt bei diesem Workshop ein Londoner Fahrradlobbyist. Bei ihnen gebe es zwar auch Fahrrad-Highways, aber die Umsetzung sei schrecklich - andauernd müsse man stehen bleiben. „Freilich“, setzt er nach, „ist die Situation nicht annähernd so schlimm wie hier in Wien.“ Raunen, Gelächter und zustimmendes Kopfschütteln im internationalen Auditorium. Anspielungen auf die Situation in Österreich ziehen sich quer durch die Diskussionen, Vorträge und Workshops bei der Velo-city.

Embacher-Collection/Bernhard Angerer
Schlichte Schönheit, das Rene Herse Diagonal aus dem Jahr 1969
Verwirrung und Gefahr
Kein Wunder, findet die weltweit größte Fahrradkonferenz doch im Rathaus statt und damit direkt an Wiens wichtigster Fahrradstrecke, dem Ringradweg. Einer der Experten erklärt sogar anhand von Fotos am schlechten Beispiel Ringradweg, was man alles falsch machen kann: unnötige Kurven und Stehzeiten, verwirrende Markierungen, programmierte Gefahrenstellen für Fußgänger und Radler.
Bei einer Podiumsdiskussion stellen Vertreter verschiedener fahrradfreundlicher Städte wie Kopenhagen, Nantes und München ihre Konzepte vor. Einig sind sich alle, dass man vor allem auch den Spaß am Fahrradfahren vermitteln muss. Das läuft nicht zuletzt über die Räder selbst. Nachdem es hierzulande jahrzehntelang fast nur langweilige Citybikes zu kaufen gab, tut sich nun einiges in Sachen Design - fast wie früher, als das Experimentieren an der Tagesordnung stand.
Räder, um bestaunt zu werden
Um das zu überprüfen, schwingt man sich vor dem Rathaus auf den Sattel, fährt 2,6 Kilometer (samt gemessenen vier Minuten 30 Sekunden Stehzeit - statt 50 Sekunden wie bei gut geplanten Fahrradhighways) den Ring entlang ins MAK, wo in einer Ausstellung gut vierzig Fahrräder aus der handverlesenen Sammlung des Architekten Michael Embacher zu sehen sind. Fahrräder sind Fetischobjekte, mindestens genauso wie Autos.

MAK/Katrin Wißkirchen
Schönheiten, Skurriles und Raritäten im MAK
Beim Design von Fahrrädern spielen Fantasie und Spaß eine ähnlich große Rolle wie die Funktionalität. In der Ausstellung „Tour du Monde“ wird die Lust am Staunen bedient, die Schau soll keinen historischen Überblick über die Entwicklung des Fahrrads geben, wiewohl sich die Baujahre der Modelle über rund 100 Jahre erstrecken. Die Räder hängen in Augenhöhe von der Decke, man muss sich also nicht bücken. Als Erstes fallen selbstredend die skurrilsten Objekte auf.
Hinweise:
Velo-city: Wien, Rathaus, noch bis Freitag. Die Fahrradwoche Wien dauert mit zahlreichen Aktionen noch bis Sonntag an.
„Tour du Monde“: MAK, Stubenring, 14. Juni bis 06. Oktober, Dienstag 10.00 bis 22.00 Uhr, Mittwoch bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Montag geschlossen, jeden Dienstag 18.00 bis 22.00 Uhr.
Kufen- und Kofferräder
1966 wurde etwa das Capo Elite Eis mit einer Kufe vorn und Spikereifen hinten erfunden - ideal, um den zugefrorenen Neusiedlersee zu queren (was Sammler Embacher auch tatsächlich tut). Spektakulär ist das Skoot International (2001), das sich zu einem Koffer zusammenklappen lässt, aber auch im Betrieb wie ein Koffer auf Rädern aussieht. Oder das pinkfarbene schwedische Vollplastikbike Wilhelmina Plast Itera aus dem Jahr 1984, als „vielleicht das hässlichste Fahrrad“ aller Zeiten beschildert.
Die meisten der Räder sind freilich wahre Schönheiten und Klassiker, wie das weiße, tropfenförmige Bianchi C-4 Pista (1988) oder das Rene Herse Diagonal (1969). Technisch spannend sind wiederum etwa die zahlreichen Varianten von Klapprädern, wie das Le Petit Bi aus dem Jahr 1937, und auch ein allradbetriebenes Mountainbike aus Österreich. Aber wer Fahrräder „geil“ findet, kommt auch bei der Velo-city selbst auf seine Kosten.

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Holzfahrrad von Bough Bikes; es ist weniger schwer, als es aussieht
Von Vollholz bis Hightech
Der Bereich im Rathaus ist nur für Konferenzteilnehmer zugänglich - und eine Karte für die Teilnahme an der viertätigen Velo-city kostete mehr als 800 Euro. Dort sieht man etwa ein Vollholzfahrrad (nicht Bambus) von Bough Bikes oder ein funktionales Klapprad mit Nabenschaltung, das in Deutschland vom Radfahrerklub ADFC gemeinsam mit dem Hersteller Tern vergünstigt angeboten wird und in jede U-Bahn mitdarf.

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„Vollgas“ auf dem „Radhausplatz“
Draußen vor den Toren des Rathauses ist wieder jeder Fahrradinteressierte kostenlos mit von der Partie. So darf man etwa E-Bikes ausprobieren. Es gibt viele Vorbehalte in der Radler-Community über Räder mit Elektromotoren: Die Akkus sollen weniger lang als angegeben halten, viele E-Bikes schlecht konstruiert sein, eine Gefahr auf Radwegen darstellen, weil ungeübte Fahrer damit sehr schnell unterwegs sind und überhaupt: Wer noch nicht in Pension oder krank ist und sich von einem Motor helfen lässt, der gilt als Lulu.
Manches davon mag stimmen, aber wer einmal ein wirklich teures E-Bike wie das Mountainbike Macina Race von KTM (knapp 2.800 Euro) ausprobiert hat, kann den Spaßfaktor nicht verleugnen. Zweimal reingetreten bei Gang zwei, und das Rad zieht ab wie ein Motorrad. Gang vier sollte auf der kurzen Teststrecke am Rathausplatz vermieden werden, dafür sind die Kurven zu eng.
Fahrrad als Wahlkampfthema auf Dänisch
Drinnen im Rathaus wird unterdessen ein wohltuender Workshop abgehalten, bei dem die Vertreter der Fahrradstreberländer Dänemark und Niederlande beichten, welche Fehler bei ihnen trotz allem gemacht wurden. Etwa eine grandiose Fahrradbrücke, die zwei Stadtteile verbindet und von 8.000 Radlern täglich frequentiert wird. Auf einer Seite der Brücke gibt es keine Anschlüsse an Radwege, auf der anderen Seite führt nur eine Treppe von der Brücke herunter.
Aber die Dänen haben trotzdem offenbar vieles richtig gemacht. In Kopenhagen wird im Herbst gewählt. Das Fahrradfahren ist dort heißes Wahlkampfthema. Aber linke Ökoradler gegen rechte Autoverteidiger, dieses österreichische Spiel wird dort nicht gespielt. Weil bereits die deutliche Mehrheit der Bewohner Rad- und nicht Autofahrer sind, rittern dort linke wie rechte Parteien um das beste Konzept für Radler. Das klingt nach heimischem Maßstab noch utopischer als der oft angedachte, aber nie umgesetzte Fahrradsuperhighway statt einer der Autofahrspuren rund um den Ring.
Simon Hadler, ORF.at
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