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„Das alles endet heute Abend“

Die Regierung in Athen hat am Dienstag überraschend beschlossen, die öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalt ERT zu schließen. „Es wird eine neue TV- und Radio-Institution geben“, sagte Regierungssprecher Simos Kedikoglou im Fernsehen. Der Sendeschluss aller Fernseh- und Radiokanäle wurde für Mitternacht angeordnet.

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Das griechische Finanzministerium erklärte am Abend, das Unternehmen ERT existiere nicht mehr. Damit geht eine 75-jährige Ära in der Medienlandschaft Griechenlands zu Ende. Das erste Rundfunkprogramm war im Jahr 1938 ausgestrahlt worden. Insgesamt sollen rund 2.900 Techniker, Angestellte und Journalisten ihre Arbeit verlieren, berichteten griechische Medien. Sie sollen eine Abfindung erhalten.

Nach dem völlig überraschenden Beschluss traten Mittwochfrüh alle griechischen Journalisten in den Streik. In allen griechischen Radio- und Fernsehsendern gibt es seit 6.00 Uhr Ortszeit (7.00 Uhr MESZ) keine Nachrichten mehr. „Wir werden so lange streiken, bis die Regierung ihren Beschluss zurücknimmt“, sagte der Präsident des Verbandes der Athener Zeitungsredakteure (ESIEA), Dimitris Trimis. Wegen des Streiks wird es am Donnerstag in Griechenland keine Zeitungen geben.

„Radikale Maßnahmen“ nötig

„Es kann keine heiligen Kühe geben, die nicht geschlachtet werden können, wenn überall gespart wird“, sagte der Regierungssprecher. Das öffentliche Radio und Fernsehen sei ein klassisches Beispiel für „unglaubliche Verschwendung“ mit Kosten von 300 Millionen Euro im Jahr und siebenmal mehr Personal als vergleichbare Anstalten. „Das alles endet heute Abend“, sagte der Regierungssprecher. Die ERT gilt als eine der letzten Bastionen des griechischen Vetternwirtschaftssystems.

Angestellte des Senders ERT vor dem Hauptgebäude

APA/EPA/Orestis Panagiotou

Die ERT-Angestellten protestieren vor der Zentrale des Senders

Große Änderungen könne es „ohne radikale Maßnahmen nicht geben“, hieß es. Angestellte des Fernsehens sagten, sie seien „schockiert“. Die Europäische Rundfunkunion (EBU) kritisierte den Beschluss der Regierung in Athen.

Ein Sender nach dem anderen abgeschaltet

Geschlossen werden drei landesweit ausgestrahlte TV-Programme, ein Satellitenprogramm, sieben landesweit ausgestrahlte Radioprogramme sowie 19 regionale Radiosender. Geplant sei, in den nächsten Monaten ein neues Konzept für einen kleineren öffentlich-rechtlichen TV- und Hörfunk-Sender mit rund 1.000 Mitarbeitern auszuarbeiten, hieß es in Athen. Vorbild sollten die modernsten Anstalten Europas sein. Die 2.900 nun Entlassenen könnten sich dann für die neuen Stellen bewerben, hieß es.

Nach dem Beschluss der Regierung wurde am Dienstagabend eine TV-Sendezentrale nach der anderen abgeschaltet. Auch die Radiostationen konnten nicht mehr empfangen werden. Etwa eine Stunde vor Mitternacht (Ortszeit) wurde in Athen nur noch auf einer Frequenz des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gesendet. Auch der letzte Mittelwellensender auf der Traditionsfrequenz 729 Kilohertz in Athen verstummte.

Landesweiter Protest

Versammlungen gab es vor den Gebäuden des öffentlich-rechtlichen Radios in allen Provinzen. Zudem meldeten sich Hunderte Auslandsgriechen telefonisch und über das Internet und forderten die Rücknahme des Beschlusses. Auch der griechische Erzbischof Hieronymus II. bezeichnete die Schließung als „undenkbar“. Privatsender unterbrachen ihr Programm aus Protest für sechs Stunden.

Die griechische Moderatorin Elli Stai schüttelt die Hand eines Kollegen

APA/EPA/Alkis Konstantinidis

Moderatorin Elli Stai vor Beginn ihrer letzten Sendung am Dienstag

Die Gewerkschaft GSEE erklärte, der ERT gehöre „der griechischen Bevölkerung, er ist das einzige unabhängige Medium und muss öffentlich bleiben“. Griechenland muss im Rahmen seines Konsolidierungsprogramms bis Ende des Jahres 4.000 Staatsbedienstete entlassen. Bis Ende 2014 sollen 15.000 gehen. Die EU-Kommission in Brüssel betonte erst am Dienstag, es sei wichtig, dass Athen die vereinbarten Reformen des laufenden Programms in die Tat umsetze.

Entscheidung lässt Regierung wackeln

Die Entscheidung dürfte zum Testfall für die wackelige Koalitionsregierung von Ministerpräsident Antonis Samaras werden: Seine beiden kleineren Koalitionspartner lehnten die Schließung umgehend ab und beklagten sich darüber, in der Sache nicht angehört worden zu sein. Die Schließung der ERT wurde zunächst mit einem Ministerialerlass angeordnet, den nur die Minister unterzeichneten, die der größten Regierungspartei Nea Dimokratia (Konservative) nahestehen.

Die Minister der Sozialisten und der Demokratischen Linken hätten den Erlass nicht unterzeichnet, gaben die beiden Parteien bekannt. Des entsprechende Gesetz soll später verabschiedet werden. Sprecher der beiden kleineren Koalitionsparteien erklärten jedoch am Dienstagabend, ihre Abgeordneten würden das Gesetz nicht billigen. Der ERT gehört zu einer Reihe von Staatseinrichtungen, die gemäß dem Abkommen mit der Gläubiger-Troika aus EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) verschlankt werden müssen.

Die Troika-Missionsleiter kontrollieren gerade die Umsetzung der bisherigen Auflagen, damit in den kommenden Wochen eine weitere Zahlung von 3,3 Milliarden Euro für das überschuldete Land freigegeben werden kann. Erst am Montag hatte Griechenland einen herben Rückschlag bei der Privatisierung von Unternehmen hinnehmen müssen, da es keinen einzigen Käufer für die Gasfirma DEPA auftreiben konnte. Die Inspektoren der Troika waren am Montag in Athen eingetroffen.

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