Auslagerung an Externe als Risiko?
Die Enthüllungen über das US-Spionageprogramm „Prism“ durch den früheren Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden haben ein Schlaglicht auf den Überwachungsapparat der US-Regierung geworfen, der sich insbesondere seit den Anschlägen am 11. September 2001 immer breiter aufstellte. Der Fall Snowden illustriert drastisch die damit verbundene Auslagerung an externe Firmen.
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Ausgelagert wurden offenbar nicht nur einfache administrative Vorgänge, sondern die ganze Bandbreite höchst delikater Informationen. Viele erkennen nach dem Gang Snowdens an die Öffentlichkeit vor allem eines: die Amateurhaftigkeit der Geheimdienste und die damit verbundenen Sicherheitsrisiken. Die US-Geheimdienste verlassen sich zunehmend auf unzählige Mitarbeiter von Privatunternehmen - und überlassen diesen offensichtlich einen tiefen Einblick in geheime Daten. Denn der Druck der Auftraggeber, immer umfassender auszuspionieren, stieg stetig.
Schulabbrecher mit IT-Ausbildung
Genau jeder Umstand ist es, der dem 29-jährigen Snowden einen derart tiefgehenden Einblick in den Informationsbestand des Militärgeheimdienstes National Security Agency (NSA) ermöglichte. Er steht dabei exemplarisch für das strukturelle Problem von Geheimdiensten und ihren vielen externen Mitarbeitern.
Auch bei Snowden, der bei der Firma Booz Allen Hamilton angestellt war, handelt es sich laut Berichten nicht um einen gestandenen Geheimdienstanalysten, sondern um einen Schulabbrecher mit IT-Ausbildung. Dennoch hätte Snowden nach eigenen Worten sogar eine private E-Mail-Adresse des US-Präsidenten ausspionieren können, von der eines Bundesrichters ganz zu schweigen. Entlohnt wurde er fürstlich, für seine IT-Tätigkeit von Hawaii aus verdiente er nicht weniger als 200.000 Dollar (über 150.000 Euro) pro Jahr.

Reuters
Das NSA-Hauptquartier in Maryland - Snowden arbeitete von Hawaii aus zu
„Keine Ahnung, was alles möglich ist“
Ausgerechnet ein Mann wie Snowden hatte nach eigenem Bekunden „Zugang zu den Listen aller NSA-Beschäftigten“, sogar zu „geheimen Stützpunkten“ und Agenten seiner Wahl. Nach außen hin war Snowden nicht für seine Rolle prädestiniert, über die brisantesten US-Geheimnisse Bescheid zu wissen. „Sie haben keine Ahnung, was alles möglich ist“, sagte er in einem Interview mit dem „Guardian“, in dem er sich zum Geheimnisverrat bekannte. „Die NSA hat eine Infrastruktur aufgebaut, die ihr erlaubt, fast alles abzufangen.“ Weil ihm in den USA eine strafrechtliche Verfolgung droht, war Snowden vor seinem Gang in die Öffentlichkeit nach Hongkong geflüchtet.
Empörung in Europa
In Europa sorgen die Enthüllungen weiterhin für Aufregung. „Wenn man es umgangssprachlich sagt, ist es eine absolute Sauerei, was die Amerikaner da gemacht haben“, sagte SPÖ-Europaabgeordneter Jörg Leichtfried am Dienstag gegenüber dem Ö1-Morgenjournal. Leichtfried und einige Vertreter des EU-Parlaments sprachen sich dafür aus, dem nun von den USA gejagten Snowden Asyl zu geben - mehr dazu in oe1.ORF.at.
Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte an, den Spionageskandal beim Berlin-Besuch von US-Präsident Barack Obama kommende Woche zum Thema zu machen. In Brüssel warnte die EU-Kommission vor Folgen für die Privatsphäre der EU-Bürger. Indes zeichnete sich im Europaparlament ab, dass „Prism“ zum Stolperstein für das geplante Handelsabkommen mit den USA werden könnte.
Asyl in Russland?
Der Spionageskandal wird auch Thema bei einem Ministertreffen der EU und der USA, das am Freitag in Dublin stattfindet. Die für digitale Medien zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes schrieb auf Twitter: „Wir sind besorgt über die Angaben zu Prism. Datenschutz ist ein Grundrecht. Das wird beim EU-US-Ministertreffen (...) zur Sprache kommen.“
Unterdessen kündigte Russland an, ein Asylgesuch Snowdens zu prüfen. „Falls wir solch einen Antrag erhalten, werden wir ihn einer Prüfung unterziehen“, zitierte die russische Tageszeitung „Kommersant“ am Dienstag den Sprecher von Präsident Wladimir Putin, Dimitri Peskow. Der Vorsitzende des Ausschusses für internationale Beziehungen in der Duma, Alexej Puschkow, rechnete bei einer Aufnahme Snowdens in Russland mit einer heftigen Reaktion Washingtons.
TV-Hinweis
ORF2 zeigt die „Weltjournal“-Reportage „Überwacht und Abgehört: Der nackte Bürger im elektronischen Überwachungsraum“ am Mittwoch um 22.30 Uhr - mehr dazu in tv.ORF.at.
Aufenthaltsort unbekannt
Snowden ist in der chinesischen Sonderverwaltungsregion Hongkong vorerst sicher. Wie Rechtsexperten erläuterten, sei er durch das dortige Justizsystem vor einer schnellen Auslieferung an die USA geschützt. Das Verfahren könnte Monate dauern. Noch liegt aber kein Antrag vor. Wo Snowden sich genau aufhält, war am Dienstag unbekannt. Ein Gast namens Edward Snowden wohnte vorübergehend im Mira Hotel im Hongkonger Stadtviertel Tsim Sha Tsui, sei aber am Montag ausgezogen, wie Mitarbeiter berichteten. Danach war die Spur verwischt.
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