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„Habe nichts Falsches gemacht“

Ein 29-jähriger Techniker ist die Quelle der jüngsten Enthüllungen über die massive Datensammlung des US-Geheimdienstes bei US-Internetdiensten. Er trat am Sonntagabend mit einem Interview mit der britischen Zeitung „Guardian“ aus dem Schatten. Der Mann namens Edward Snowden war nach eigenen Angaben die vergangenen vier Jahre als Mitarbeiter anderer Unternehmen im US-Geheimdienst NSA tätig.

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„Sie haben keine Ahnung, was alles möglich ist“, sagte er über die Spionagemöglichkeiten der NSA-Systeme. Laut den von Snowden enthüllten Dokumenten sammelt der US-Geheimdienst in großem Stil Daten bei Internetdiensten wie Google, Facebook, Microsoft, Apple und Yahoo. „Ich will nicht in einer Gesellschaft leben, die so etwas macht“, sagte Snowden dem „Guardian“. „Ich will nicht in einer Welt leben, in der alles, was ich mache und sage, aufgenommen wird.“ Er habe nicht die Absicht, sich zu verstecken, „weil ich weiß, dass ich nichts Falsches gemacht habe“, so Snowden. Er legte laut „Guardian“ seine Identität auf eigenen Wunsch offen.

„Öffentlichkeit soll informiert werden“

Andererseits wolle er nicht ins Rampenlicht treten: „Ich will keine öffentliche Aufmerksamkeit, denn ich will keine Artikel über mich.“ Er wolle, dass bekanntwird, was die US-Regierung macht. Sein einziges Motiv sei, die Öffentlichkeit zu informieren, was in ihrem Namen gemacht werde - und was gegen sie gemacht werde. Snowden arbeitete demnach bei der NSA, die auf Überwachung von Kommunikationsinfrastruktur spezialisiert ist, als Mitarbeiter mehrerer externer Unternehmen wie der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton und des PC-Herstellers Dell.

Er beschrieb eine noch größere Dimension der Datensammlung, als die von ihm enthüllten Dokumente andeuten: „Die NSA hat eine Infrastruktur aufgebaut, die ihr erlaubt, fast alles abzufangen.“ Damit werde der Großteil der menschlichen Kommunikation automatisch aufgesaugt. „Wenn ich in Ihre E-Mails oder in das Telefon Ihrer Frau hineinsehen wollte, müsste ich nur die abgefangenen Daten aufrufen. Ich kann Ihre E-Mails, Passwörter, Gesprächsdaten, Kreditkarteninformationen bekommen.“

Der Konsequenzen bewusst

Snowden war mit den Dokumenten nach Hongkong geflohen und sprach dort mit dem „Guardian“. Er ist sich der Konsequenzen seines Handelns bewusst. „Nichts Gutes“, lautete seine Antwort auf die Frage, was mit ihm weiter passieren werde. Er gehe davon aus, dass er nie wieder mit seiner Familie oder seinen Freunden Kontakt aufnehmen könne.

Er rechne damit, dass die US-Regierung mit ihrem ganzen Gewicht gegen ihn vorgehen werde. Es werde im wohl vorgeworfen werden, Spionage betrieben und Feinden Informationen überlassen zu haben, glaubt Snowden. Doch er fürchte sich nicht, weil er das bei seiner Entscheidung gewusst habe. Nur um seine Familie mache er sich Sorgen, der er nicht helfen kann.

„Bedrohung für die Demokratie“

Seine Hoffnung sei, dass ihn die Regierung von Hongkong nicht ausliefern werde, auch wenn ihm das Risiko einer Gefängnisstrafe von Anfang an bewusst gewesen sei. „Ich glaube nicht, dass ich mein Zuhause jemals wiedersehen werde.“ Das alles sei er aber bereit gewesen aufzugeben: „Mit gutem Gewissen kann ich der US-Regierung nicht erlauben, mit einer riesigen Überwachungsmaschine, die geheim aufgebaut wird, die Privatsphäre, die Freiheit im Internet und die einfachen Freiheiten der Menschen auf der ganzen Welt zu zerstören“, so Snowden. Das sei eine existenzielle Bedrohung für die Demokratie.

Dementi und Strafverfolgung

Die US-Regierung hatte erst wenige Stunden zuvor die Informationen über eine ausufernde Sammlung von Daten im Internet durch ein System mit dem Namen „Prism“ zurückgewiesen. „Prism ist kein geheimes Programm zum Sammeln oder Aufsaugen von Daten“, sagte US-Geheimdienstkoordinator James Clapper am Samstag. „Es ist ein internes Computersystem der Regierung.“ Es diene dazu, das gesetzlich erlaubte Sammeln elektronischer Informationen bei der Auslandsaufklärung zu unterstützen. Die Regierung könne nicht willkürlich Menschen überwachen, sondern nur, wenn ein geheimdienstlich relevanter Grund vorliege.

Clapper hatte strafrechtliche Ermittlungen gegen die Urheber der Enthüllungen angekündigt. Die Veröffentlichungen seien wegen des „enormen Schadens“ für die Geheimdienstarbeit „geradezu herzzerreißend“, sagte Clapper dem Sender NBC News am Sonntag.

Daten aus aller Welt

Der „Guardian“ berichtete am Wochenende auch von einem System der NSA, das einen Überblick über die weltweit gesammelten elektronischen Informationen gebe. Es heiße „Boundless Informant“ (etwa: grenzenloser Informant) und zeige unter anderem an, wie sich die Daten auf einzelne Länder verteilen. Allein im März sammelte die NSA laut dem System 97 Milliarden Dateneinheiten aus Computernetzwerken in aller Welt. Davon entfielen 14 Milliarden auf den Iran und 13,5 Milliarden auf Pakistan, wie der „Guardian“ berichtete.

Internetkonzerne dementieren Vorwürfe

Die Chefs von Google und Facebook wiesen mit Nachdruck den Vorwurf zurück, dem US-Geheimdienst uneingeschränkten Zugang zu Nutzerdaten zu gewähren. „Wir sind keinem Programm beigetreten, das der US-Regierung oder jeder anderer Regierung direkten Zugang zu unseren Servern gewährend würde“, schrieb Google-Mitgründer Larry Page in einem Blogeintrag. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg äußerte sich ähnlich und versicherte, dass sich sein Onlinenetzwerk gegen jede Anfrage nach freiem Datenzugang „aggressiv“ gewehrt habe.

Die Internetkonzerne - genannt wurden in den Zeitungsberichten neben Google und Facebook unter anderem auch Apple, Microsoft und Yahoo - bestätigten zugleich, dass sie den Behörden Informationen auf Gerichtsbeschluss zur Verfügung stellen. Die „New York Times“ berichtete an Samstag von Systemen für diese Datenübergabe. So sei zumindest mit Google und Facebook über „separate, sichere Portale“ dafür verhandelt worden, zum Teil auf Servern der Unternehmen. Der Bericht ließ offen, ob diese Ideen umgesetzt wurden.

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