Google wehrt sich gegen Vorwürfe
Mit Big Brother habe der riesige Abhörskandal, der in den letzten Tagen schrittweise bekanntgeworden ist, genau besehen nichts zu tun, versucht US-Präsident Barack Obama vor allem die eigenen Bürger zu beruhigen. Das gigantische Absaugen des Mobilfunk- und Internetverkehrs durch den Geheimdienst NSA werde ja vom US-Kongress kontrolliert.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Tatsächlich ist das gesamte Ausmaß der Abhöraktion noch völlig unbekannt und viele Fragen sind offen. Viele fragen sich derzeit vor allem, wie tief Internetkonzerne von Google über Facebook bis Microsoft in die Abhöraktion verwickelt sind. Die Unternehmen dementieren reihenweise, davon gewusst zu haben.
Riesige Überwachungsnetze
Bisher bekannt - und offiziell auch bestätigt - ist, dass die US-Geheimdienste zur Terrorabwehr im Spionageprogramm Prism direkt auf Millionen Nutzerdaten von Internetgiganten wie Google, Facebook und Apple zugreifen und die Bürger damit weit mehr als bisher schon befürchtet bespitzeln. Die Nationale Sicherheitsbehörde (National Security Agency, NSA) und die Bundespolizei FBI sammeln laut „Guardian“ und „Washington Post“ seit Jahren über die Computersysteme der Konzerne massenhaft E-Mails, Fotos, Videos, Dokumente und Audiodateien. Außerdem werden Millionen von Telefonverbindungsdaten gesammelt. Nicht bestätigt ist ein Bericht des „Wall Street Journal“, wonach auch die Transaktionen von Kreditkarten überwacht werden.
Sagen Google & Co. die Wahrheit?
Nach Ansicht der Tech-Nachrichtenwebsite ZDnet könnten Google und Co. die Wahrheit sagen. Die NSA habe wohl einfachheitshalber Verizon und andere Tier-1-Provider angezapft. Diese Tier-1-Anbieter - es gibt nur wenig mehr als ein Dutzend weltweit - stellen quasi die Hauptarterien des Internets zur Verfügung, über die Google und Co. direkt mit den Providern ihrer User verbunden sind. Das sei auch für die NSA viel einfacher, als die einzelnen Internetfirmen anzuzapfen.
Diese Tier-1-Netzwerke erlauben es laut ZDnet großen Konzernen, TV-Anstalten und Regierungen, riesige Datenmengen im Netz in extrem kurzer Zeitspanne auszutauschen. Diese Datenströme laufen nicht über das öffentliche Internet, in denen sich Datenpakete den billigsten Weg suchen. Vielmehr nähmen Tier-1-Netzwerke den schnellsten und direktesten Weg. Unternehmen und Institutionen brauchen, um Zugang zu diesen schnellen Netzwerken zu bekommen, sogenannte Peer-Zugänge. Solche Peer-Verbindungen hätten in den USA etwa Apple, Facebook, Yahoo, Microsoft und Google - also all jene Unternehmen, die laut „Washington Post“ von der NSA angezapft wurden.
Private Internetverbindung
Vereinfacht gesagt haben diese Unternehmen eine eigene, schnelle Verbindung zu den Internetprovidern abseits des öffentlichen Internets zur Verfügung. Diese Verbindungen seien der Grund, warum Google und Facebook so rasch für ihre zig Millionen User laden würden.
ZDnet.com vermutet nun, dass die NSA den einfachsten Weg wählte: Anstatt einzeln Providerdienste und Internetkonzerne wie Facebook, Google und Apple anzuzapfen, habe die NSA gleich den gesamten Datenstrom aus den Tier-1-Netzwerken abgesaugt und damit in einem Aufwasch alle Infos - live - aus den genannten Netzwerken mitgefischt.
Der Vorteil dieser Methode, so ZDnet.com, sei, dass die abgehörten Unternehmen davon gar nichts erfahren - und somit die Wahrscheinlichkeit, dass die Öffentlichkeit davon erfährt, viel geringer ist.
Andere Staaten als Komplizen?
Möglicherweise profitieren auch andere Staaten seit Jahren von der Abhöraktion - die britische Zeitung „Guardian“ berichtete am Freitag bereits, dass das britische Pendant zur NSA, das Government Communications Headquarters (GCHQ), ebenfalls Prism für seine Geheimdienstberichte verwende.
Viele Fragen sind noch völlig offen: Welche Daten genau werden ausspioniert? Wie viele Daten werden wie und wie lange gespeichert? Laut den nun veröffentlichten Dokumenten wurde Microsoft ab 2007 abgehört. Yahoo kam 2008 dran, im darauffolgenden Jahr folgten Google, Facebook und PalTalk. ZDnet.com vermutet zudem, dass Prism nur eines von mehreren Abhörprogrammen der NSA sein könnte. Während sich Prism völlig auf die Datencloud konzentriere, könnten andere Programme sich auf das Abhören und Aufnehmen von Telefonaten konzentrieren.
Google und Facebook weisen Vorwürfe zurück
Die Chefs von Google und Facebook haben mit Nachdruck den Vorwurf zurückgewiesen, dem US-Geheimdienst uneingeschränkten Zugang zu Nutzerdaten zu gewähren. „Wir sind keinem Programm beigetreten, das der US-Regierung oder irgendeiner anderen Regierung direkten Zugang zu unseren Servern gewähren würde“, schrieb Google-Mitgründer Larry Page in einem Blogeintrag in der Nacht zum Samstag. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg äußerte sich ähnlich und versicherte, dass sein Onlinenetzwerk sich gegen jede Anfrage nach freiem Datenzugang „aggressiv“ gewehrt habe.
Die Internetkonzerne - genannt wurden neben Google und Facebook unter anderem auch Apple, Microsoft und Yahoo - bestätigten lediglich, dass sie den Behörden Informationen auf Gerichtsbeschluss zur Verfügung stellen.
„Sie sehen zu, wie Sie Gedanken formulieren“
Der „Washington Post“ wurden die Papiere zum bisher der Öffentlichkeit nicht bekannten Programm Prism nach eigenen Angaben von einem Geheimdienstmitarbeiter zugespielt. Dieser sei entsetzt gewesen über die Verletzung der Privatsphäre der Nutzer. „Die können im wahrsten Sinne des Wortes sehen, wie Sie beim Tippen Ihre Gedanken ausformulieren“, wurde der Insider zitiert. Die Daten ermöglichten es Behörden, Bewegungen und Kontakte einer Person über lange Zeit zu verfolgen. Ein Insider sagte, der US-Kongress habe Prism jüngst nach nicht öffentlichen „ausführlichen Anhörungen und Debatten“ verlängert.
Diffuse Behauptungen über Wichtigkeit
Der Zeitung zufolge wurde Prism 2007 unter Präsident George W. Bush gestartet und von seinem Nachfolger Obama ausgebaut. Die Erkenntnisse aus dem Programm seien inzwischen Grundlage für jeden siebenten Geheimdienstbericht. Der Zugang zu den Servern stelle heute die umfangreichste Quelle für die täglichen Berichte des Präsidenten dar. Diese hätten im vergangenen Jahr in 1.477 Einträgen Prism-Erkenntnisse zitiert.
Unklar ist allerdings - wie so oft bei behördlichen Angaben über die Effizienz von Überwachungsmaßnahmen -, wie wesentlich die Datenmasse für die Geheimdienstarbeit letztlich in den konkreten Einzelfällen ist. Dass Auswertungen in die Geheimdienstberichte einfließen, sagt mehr über interne Prozeduren als über den Gehalt der ausspionierten Daten aus.
Dropbox bald auch auf der Liste
Insgesamt sind der Zeitung zufolge neun Internetdienste eingebunden. Zunächst habe Microsoft 2007 teilgenommen. Apple habe sich fünf Jahre lang verweigert, sei dann aber beigetreten. Zu PalTalk hieß es, dieser eher kleinere Dienst sei während des „arabischen Frühlings“ und des Bürgerkriegs in Syrien rege genutzt worden. Der Onlinespeicherdienst DropBox solle „in Kürze“ dazustoßen. Twitter sei nicht auf der Liste.
US-Geheimdienstchef Clapper erklärte, der Bericht der Zeitung enthalte „zahlreiche Ungenauigkeiten“. Zugleich griff er die Autoren scharf an, bestätigte aber auch die Existenz von Prism: „Die ungenehmigte Veröffentlichung von Informationen über dieses wichtige und absolut rechtmäßige Programm ist verwerflich und riskiert den wichtigen Schutz der Sicherheit der Amerikaner.“
Links: