Freigabe „längst überfällig“
Eigentlich hätten alle brisanten Akten aus den britischen Kolonien zerstört werden sollen. Doch in einem geheimen Archiv des britischen Amts für Auswärtige Angelegenheiten und des Commonwealth (FCO) lagern Tausende „vergessene“ Dokumente aus der britischen Kolonialzeit, die Einblick in Folterpraktiken und andere Verbrechen der Briten in den letzten Jahren des Empire geben.
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Sie wurden nach der Unabhängigkeit der britischen Kolonien geheim nach Großbritannien gebracht. Die Akten werden mit 50 Jahren Verspätung bis Ende 2013 in mehreren Paketen veröffentlicht. Die ersten Dokumente wurden im Vorjahr der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Kenianer klagten
Dass es diese geheim gehaltenen Akten gibt, ist seit rund 2011 bekannt, als vier an der Mau-Mau-Rebellion beteiligte Kenianer gegen die britische Regierung klagen wollten. Sie waren während des Mau-Mau-Aufstands gefoltert worden. Die Unabhängigkeitsbewegung Mau-Mau richtete sich gegen die Herrschaft der weißen Siedler und der britischen Kolonialmacht. Es wurde eine der blutigsten Auseinandersetzungen im Unabhängigkeitskampf gegen das Empire.

AP/Lefteris Pitarakis
Diese Kenianer setzten rechtliche Schritte gegen die britische Regierung
Die britische Regierung reagierte auf die Klage mit der Ansicht, dass die früheren Mau-Mau-Kämpfer viel mehr die kenianische Regierung belangen sollten, die alle Haftungen nach der Unabhängigkeit übernommen habe, zitierte die kenianische Zeitung „The Standard“ die Anwälte der britischen Regierung. Der Oberste Gerichtshof in London gab aber den Weg für die Klage frei.
Im Zuge dessen versprach das FCO jedenfalls, die 8.800 Akten zwischen 1930 und 1970 aus 37 ehemaligen Kolonien, darunter die Bahamas, Kenia, Botsuana und Lesotho, freizugeben. Der mit der Aufarbeitung betraute Historiker Tony Badger bezeichnete die Freigabe als „lange überfällig“. Er sieht im Interview mit dem „Guardian“ das FCO in einer „beschämenden, skandalösen“ Position.
„Eliminierung“ von Feinden
Die Akten belegen, dass der britischen Regierung die Praktiken ihrer Behörden in den Kolonien durchaus bekannt waren. Es handelt sich dabei etwa um Geheimdienstberichte über die „Eliminierung“ von Feinden der Kolonialverwaltung in Malaysia in den 50er Jahren. Sämtliche Proteste gegen die Kolonialmacht sollen demnach von den britischen Behörden als geplante kommunistische Übernahme interpretiert worden sein, berichtete der „Guardian“.
In Botsuana soll den Dokumenten zufolge das Empire geplant haben, Giftgas zu testen. Enthüllt wurden auch Folter und Mord von Mau-Mau-Rebellen in Kenia und die Beschlagnahmung von Vieh von aufmüpfigen Kenianern. Zudem soll es geheime Pläne gegeben haben, einen griechisch-zypriotischen Führer auf die Seychellen zu deportieren, während zeitgleich Gespräche zum Ende der gewalttätigen Rebellion in Zypern 1955 geführt wurden.
Angst vor Veröffentlichung
Deutlich wird in den ersten veröffentlichten Papieren auch, dass wahrscheinlich Tausende belastende Dokumente zerstört wurden. Die Vernichtung heikler Akten war dem Empire wichtig. Die Angst, dass sie nach außen dringen, war groß. Umso detaillierter waren daher die Angaben zur Vernichtung der Informationen, basierend auf einer Anweisung des damals für die Kolonien zuständigen Ministers Iain Macleod.
Demnach sollte keine der Regierungen nach der Unabhängigkeit Material bekommen, das „die Regierung Ihrer Majestät beschämen könnte“. Umso mehr wurden die britischen Kolonialbeamten detailliert angewiesen, die Dokumente, die nach der Unabhängigkeit im Land bleiben können, von denen, die für die Zerstörung bestimmt waren („Watch Files)“, zu trennen.
Bei den Dokumenten, die in der jeweiligen Kolonie zurückblieben, sollte jegliche Spur, dass noch andere Akten existierten, verwischt werden - auch durch die Ergänzung durch harmlose neue Dokumente. Die heiklen „W“-Akten durften nur von „britischen Staatsangehörigen europäischer Herkunft“ eingesehen werden.
„Britische Regierung log“
Diese Geheimhaltung und Zerstörung der Dokumente sollte die britische Regierung vor Prozessen schützen. Die rechtlichen Schritte der Kenianer könnten erst der Anfang einer größeren Klagewelle sein. Denn auch Verwandte und Überlebende eines Massakers in Malaysia planen einen Antrag auf Entschädigung. „Die britische Regierung log“, sagte David Anderson, Experte für afrikanische Geschichte und Berater der Kenianer, die die britische Regierung klagten, gegenüber der BBC. „Diese Geschichte war eine koloniale Verschwörung und bürokratischer Pfusch.“
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