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„Wahrheit, die aussieht wie Kitsch“

Albert Oehlen zählt zur Generation der „Neuen Wilden“ in der deutschen Malerei. Gemeinsam mit Martin Kippenberger und einigen anderen trat er an, die Kunstwelt ordentlich wachzurütteln. Seine Bilder sind Kommentare - nicht zuletzt auf die Kunst selbst und ihr sich wandelndes Umfeld. Das Wiener Museum moderner Kunst (MUMOK) widmet Oehlen derzeit eine Personale.

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Die Moderne wollte den überkommenen Geniebegriff in der Malerei zurückdrängen - Genialität im Sinne eines Wettbewerbs um die größte Kunstfertigkeit beim Darstellen gegenständlicher Motive. Später galt es, die Genies der Moderne zurückzudrängen, vor allem mit den Mitteln der Konzeptkunst. Als Anfang der 80er Jahre eine neue Generation von Künstlern wieder zu malen begann, und noch dazu gegenständlich, musste sie all das mit bedenken: Schön Malen wie früher ging nicht, abstrakt bleiben auch nicht. Die „Neuen Wilden“, allen voran Martin Kippenberger und Oehlen, gingen lautstark samt Punk-Attitüde ihre Zwischenwege. Man malte „jetzt erst recht“.

Den als zwanghaft empfundenen Malstilen der 70er Jahre begegneten sie mit überbordendem Expressionismus, der sich selbst aber als solcher nie ernst nahm - im Gegensatz zum Neoexpressionismus, den die „Wilden“ sogar noch durch den Kakao zogen. Jung, stark, „dreckig“: Man wollte auffallen, anecken, und dabei gab es Verbindungslinien über die Malerei hinaus. Kippenberger, Oehlen, der österreichische Dichter Wolfgang Bauer und eine Handvoll anderer gründeten den neodadaistischen Männerbund „Lord Jim Loge“ (dem später auch Niki Lauda angehörte).

Porträt von Albert Oehlen

Oliver-Schulz Berndt

Der Maler Albert Oehlen

Die Loge der „coolen Hunde“

Kippenberger malte gemeinsam mit Oehlen eine Sonne samt Hammer, Bauer steuerte weibliche Brüste bei, das Symbol der „Lord Jim Loge“ war geschaffen. Von Klimt über Picasso bis hin zu Jonathan Meese - Maler scheinen ein besonderes Bedürfnis zu haben, als vor Virilität strotzende „coole Hunde“ wahrgenommen zu werden, Oehlen und sein Freundeskreis waren da keine Ausnahme. Frauen konnten bei diesen Männerritualen kaum andocken.

Das MUMOK heftet sich auf seine Fahnen, als erstes Kunsthaus eine große Werkschau Oehlens zu zeigen. Beachtenswert ist der unkonventionelle Katalog. Neben zahlreichen Bildern sind dort E-Mail-Konversationen von Künstlern und Experten zu Oehlens Werk festgehalten. Besonders erhellend und witzig ist das Gespräch zwischen Rochelle Feinstein von der Yale University mit Kerstin Stakemeier von der Münchener Akademie (beide malen selbst). Sie haben Respekt vor Oehlens Malerei und nehmen ihn gleichzeitig samt der restlichen „Sauna-Gang“ gehörig auf die Schaufel.

Immendorffs „baumelnder Sack“

Denn in einer Kunstzeitschrift war irgendwann in den 80er Jahren ein Foto von Oehlen publiziert worden, wo man ihn in einer Gruppe mit Kippenberger, Markus Lüpertz und auch dem Vorbild der „Jungen Wilden“, Jörg Immendorf, nackt in der Sauna sitzen sieht. Vom aufkommenden Feminismus ihrer Zeit scheint der Trupp wenig beeindruckt.

Feinstein schreibt: „Das Foto von Immendorffs baumelndem Sack war ein untrüglich selbstversicherndes Zeichen, dass im Club der Jungs alles beim Alten geblieben war, die einzig dafür nötige Uniform war ihre nackte Haut. Dabei schauen sie schlichtweg wie eine Gruppe von Exhibitionisten aus – wie Kleinkriminelle, Ausgestoßene, Störenfriede des Status quo.“

Übermaltes Foto von Frauenbeinen

2013 Albert Oehlen, Photo: def image

Albert Oehlen: „Ohne Titel“ (2011) - ein „sexy“ Foto, übermalt im Farbenrausch

Das Bild im Bett

Den Nimbus des Störenfrieds kultivierte Oehlen freilich nicht nur in seinen öffentlichen Auftritten, sondern auch und vor allem in seiner Kunst. Seine Bilder sind „laut“, sie zwingen den Betrachter hinzuschauen. Er platziert einzelne Motive wie Teaser, die den Betrachter hineinziehen sollen in das Gemälde, wo er dann einen weiten, anspielungsreichen Bogen an künstlerischen Versatzstücken vorfindet. Oehlens besondere Kunst ist es, dass diese dort niemals deplatziert wirken.

Ausstellungshinweis

Albert Oehlen, 8. Juni bis 20. Oktober, MUMOK, Montag 14.00 bis 19.00 Uhr, Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 19.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 21.00 Uhr.

Der Teaser, das sind oft sexuelle Motive und besonders bei jüngeren Bildern Werbebotschaften. Viel diskutiert war auch sein Hitler-Porträt aus dem Jahr 1984. Stilistisch ließ sich Oehlen nie festlegen, er integriert künstlerische Moden und Methoden, malt, verwendet Fotos, Zeitschriften und Plakate für Collagen, kombiniert Malerei und Installation (er legte ein Bild ins Bett), zitiert Kunstgattungen vergangener Zeiten. Die Kunstproduktion, ihre Bedingungen, Mittel und Ausdrucksweisen thematisiert er stets mit - das ist die zweite Ebene, die mitunter auch im Vordergrund steht.

Ein Schweinerüssel für Damien Hirst

2007 etwa präsentierte Damien Hirst einen mit Edelsteinen bedeckten Schädel. Der Meisterkünstler mit seinen vielen Assistenten hatte sein Meisterstück geschaffen, mit teuersten Zutaten, dafür designt, den Kunstmarkt nach oben hin auszutesten. Oehlen malte im selben Jahr mit einer Schablone auf 50 Skateboards (also billige Holzbretter) grinsende Schädel, denen er dann händisch Schweinerüssel hinzufügte. Keine Exklusivität, keine teuren Materialien, Kunst zum Drauftreten, um damit über den Asphalt zu donnern.

Wenn schon die E-Mail-Kommunikationen über Oehlens Werk im Katalog hohen Unterhaltungswert haben, wird dieser vom Gespräch mit Oehlen selbst noch übertroffen. Niemand geringerer als dessen jüngerer (und erfolgreicherer) Kollege Daniel Richter führte das Interview. Jetzt weiß man, worüber Maler sich unterhalten, worüber sie witzeln und wen sie auf die Schaufel nehmen.

Selbstporträt von Albert Oehlen mit Pferd

2013 Albert Oehlen, Photo: Courtesy Galerie Max Hetzler

„Selbstporträt mit Pferd“ (1985)

„Sie malen trotzdem beschissene Bilder“

Oehlens Motive haben mitunter seltsam verrutschte Perspektiven: sein berühmtes Bild mit Mann und Pferd etwa - da müsste der Arm rein anatomisch gesehen ganz woanders sein. Vielleicht liegt das daran, dass sich der Künstler weigert, während des Malens zurückzutreten und das Bild zu betrachten, wie er dem ungläubigen Richter mehrmals versichert.

„Also die meisten Leute, auch die beschissensten Maler und Malerinnen, treten wahrscheinlich andauernd zurück und schauen sich genau an, was sie gemacht haben, und sie malen dann trotzdem beschissene Bilder. (...) Meine Erfahrung ist, dass, wenn man draufstarrt, malt man aus Versehen Bilder wie Richard Phillips.“ Phillips malt popartige, fotorealistische Porträtbilder mit seltsam toten Augen.

„Mal ein wirklich schönes Bild malen“

Das Gespräch der beiden verläuft amikal und bärbeißig zugleich, es ist ein Gefecht voll trockenen Witzes. Oehlen tut ein wenig so, als würde er einfach so vor sich hinmalen und einmal schauen, was dann daraus wird. Er stelle sich, bevor er zu malen beginne, nur diffuse Aufgaben wie etwa: „Mal ein wirklich schönes Bild malen, in das wahnsinnig viel Wahrheit reingequetscht worden ist, die aber aussieht wie Kitsch.“

Wie lange sich zwei Maler darüber unterhalten können, wo sie welche Farben kaufen, ob und wie sie gemischt werden und vor allem, das scheint die wichtigste Frage zu sein, wie die Tuben auf dem Tisch angeordnet werden - da bleiben kein Pinsel und kein Auge trocken. Oehlen ist jetzt 59 Jahre alt. Man mag von seinen Bildern halten, was man will, aber seine malerspezifische Coolness hat er sich erhalten - auch wenn er kein allzu neuer Wilder mehr ist.

Simon Hadler, ORF.at

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