Wo nicht nur das Gras grüner ist
Umweltbewusstsein, Nachhaltigkeit, Energieeffizienz: Ökologisches Bauen ist längst nicht mehr nur ein schickes Schlagwort, sondern international allgegenwärtiges Thema im Architekturdiskurs. Für seinen Bildband „100 Contemporary Green Buildings“ hat der Architekturjournalist Philip Jodidio unterschiedlichste Zugänge „grüner“ Architektur unter die Lupe genommen.
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„Was ist grün?“ lautet dabei die zentrale Frage, denn wie auch in anderen Bereichen ist die Definition von „grün“ und „Nachhaltigkeit“ in der Baubranche oft sehr schwammig und nur unzureichend von einheitlicher Zertifizierung erfasst. Zwar definiert das vom U. S. Green Building Council festgelegte System Leadership in Energy and Environmental Design (LEED) seit 1998 eine Reihe von Standards für umweltfreundliches, ressourcenschonendes und nachhaltiges Bauen, die mittlerweile in vielen anderen Ländern Anwendung finden - der Begriff „grün“ in Zusammenhang mit Architektur bleibt dennoch ein viel weiterer.

Frank Hülsbömer
U6 Berlin Penthouse
„Optimale Schattennutzung“ und eine „Reduzierung des Kühlaufwandes“ sind etwa die Kriterien, die dem Entwurf einer prototypischen „grünen“ Stadt für Abu Dhabi zugrunde liegen. Von Norman Fosters Büro Foster + Partners entwickelt ist der erste Bauabschnitt der Masdar City bereits fertiggestellt. „Wie eine Festung“ hebt sich das Masdar Institute von der Wüstenlandschaft ab. Was von außen recht abweisend wirkt, soll im Inneren durch ein ausgeklügeltes System von Passagengängen, Dachvorsprüngen und sich überlappenden Gebäudeteilen eine überdachte Stadtlandschaft ergeben: „Der Schutz vor der Sonne hat am Golf oberste Priorität.“
Viel Sonne für Kopenhagener „Mountain“-Bewohner
Möglichst viel Sonne soll hingegen den Bewohnern eines anderen im Buch vorgestellten Gebäudes zukommen. Von der Bjarke Ingels Group (BIG) für Kopenhagen entworfen und gebaut ist „The Mountain“ eine Siedlung, die treppenförmig auf elf Ebenen eher einer Reihenhaussiedlung mit Kleingärten gleicht als einem innerstädtischen Wohnblock.

Penny Clay
„Permanent Camping“ in Mudgee
Jodidio hat sich aber auch über derartige Großprojekte hinaus mit „grüner“ Architektur beschäftigt. „‚Grüne‘ Bauten sind eben nicht nur solche, die aufwendige Spielereien nutzen, um den Energieverbrauch zu senken,“ erklärt Jodidio im Vorwort. „‚Grün‘ sind auch Bauten oder Räume, die sich bewusst und harmonisch in das natürliche Gleichgewicht fügen.“
Ein solches Projekt ist etwa „Permanent Camping“, eine winzige Hütte im Mudgee, im Osten Australiens. Das winzige Haus liegt auf einem Hügel mitten auf einer Schaffarm und bietet einen Panoramablick weit über das Umland. Bei einer Grundfläche von drei mal vier Metern verfügt das kupferverkleidete Häuschen über gleich mehrere ressourcenschonende Features. Über das Dach wird Regenwasser gesammelt, dank starker Dämmung sind die Bewohner vor Kälte ebenso geschützt wie vor Hitze.

TASCHEN
Buchhinweis
Philip Jodidio: 100 Contemporary Green Buildings. Taschen Verlag, 696 Seiten in zwei Bänden, 39,99 Euro.
Alte Muster und neue Erkenntnisse
Mit der Vorstellung von Bauten wie der Panyaden School im thailändischen Chiang Mai (24H Architecture, Niederlande) will er ausdrücklich auch „zurückblicken“ - auf ökologische Methoden, die teilweise schon jahrhundertelang zum Einsatz kommen. Im Fall der Schule im Norden des südostasiatischen Landes bedeutet das: frei geformte Wände aus Lehmziegeln, eine Dachkonstruktion aus Bambus und ein Konzept, das die natürliche Luftzirkulation bestmöglich fördert.
Zudem wirft Jodidio einen Blick auf Grünanlagen und Gewächshäuser - darunter eines, das zur Gänze aus durchsichtigen Legosteinen besteht. Von einem Glashaus inspiriert ist auch das Berliner U6 Penthouse, ein Dachaufbau des deutschen Architektenteams Heberle Mayer.
Kein Anspruch auf Vollständigkeit
Der Großteil der im Buch beleuchteten Objekte befindet sich in Europa und Nordamerika. Auch wenn Jodidio keinen Anspruch auf Vollständigkeit stellt, will er doch „das gesamte Spektrum zeitgenössischer ökologischer Baukunst“ abdecken. Tatsächlich ist nicht immer ganz klar, was manche Bauwerke für das Buch qualifiziert. Während bei einigen Projekten detailgenau beschrieben wird, warum sie ausgewählt wurden, scheinen andere nur wegen ihrer Optik ausgewählt worden zu sein. Nichtsdestotrotz: „100 Contemporary Green Buildings“ lässt „grüne“ Architektur in den unterschiedlichsten Fassaden gut aussehen.
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