Weg frei für regimetreuen Präsidenten
Sieben Konservative und nur ein Reformer - schon bei der Kandidatenauswahl für die bevorstehende Präsidentschaftswahl im Iran können die religiösen Kräfte einen Erfolg verbuchen. Nicht zur Wahl am 14. Juni antreten durfte unter anderem der gemäßigte Ex-Staatschef Akbar Haschemi Rafsandschani - offiziell wegen seines hohen Alters. Inoffiziell steckt freilich mehr dahinter.
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Der gemäßigte Politiker mit Reformambitionen gilt dem obersten geistlichen Führer Ajatollah Ali Chameneis als unliebsamer Kandidat mit zu guten Chancen auf einen Wahlsieg. Der 78-Jährige hatte sich jüngst für einen politischen Kurswechsel im Iran ausgesprochen. Auch im seit Jahren schwelenden Atomstreit mit dem Westen signalisierte er eine versöhnliche Haltung. Wegen seiner Unterstützung für die reformorientierte Opposition war er in den vergangenen Jahren sowohl beim Klerus als auch im konservativen Lager in Ungnade gefallen.
Auch dem Ahmadinedschad-Vertrauten Esfandiar Rahim Maschaei wurde die Kandidatur verweigert. Die Wahl vor der Wahl - der Wächterrat hatte aus Hunderten Kandidaten acht ausgewählt - bestimme wesentlich den Ausgang für die Präsidentenentscheidung, sind sich Analysten gegenüber der „New York Times“ („NYT“) einig.
Nächster Präsident aus konservativem Lager
Die aktuelle Kandidatenliste zeige schon jetzt, dass der nächste iranische Präsident aus dem konservativen Lager stammen werde. Chamenei wolle einen „fügsameren“ Präsidenten, als es etwa Rafsandschani gewesen wäre, zeigt sich auch ein Politexperte gegenüber Reuters überzeugt. Rafsandschani waren gute Chancen eingeräumt worden.
Unter den acht zugelassenen Bewerbern befindet sich nur ein Reformer, Hassan Rowhani - er soll nur minimale Chancen haben. Als Favorit gilt Said Dschalili, Chefunterhändler bei den internationalen Atomverhandlungen. Ein „farbloser“ Politiker, dem nicht zugetraut werde, die Massen zu mobilisieren, wie ORF-Korrespondent Christian Schüller gegenüber Ö1 analysiert. Drei der Kandidaten stammen aus dem Lager Chameneis. Ein vierter, Teherans Bürgermeister Mohammed Bagher Kalibaf, präsentierte sich stets als Technokrat, prahlte jedoch kürzlich öffentlich mit brutaler Gewalt gegen demonstrierende Studenten in seiner Zeit als Polizeichef.
Chamenei sichert sich letzte Führungsinstanz
Die Wahl werde damit wohl die letzte große staatliche Institution unter die Kontrolle der konservativen Führung aus schiitisch-muslimischen Klerikern und Mitgliedern der Revolutionsgarde bringen, so die „NYT“. Kommentatoren hatten schon länger darüber spekuliert, dass die geistige Führung versuchen werde, das Amt des Präsidenten, das unter Ahmadinedschad eine Art Gegengewicht zu Chamenei war, unter seine Kontrolle zu bringen. Ahmadinedschad hatte während seiner zwei Amtszeiten die Gunst Chameneis verloren, da er zu oft seine Unabhängigkeit demonstriert hatte. Ein gemäßigter Präsident namens Rafsandschani, der als Hoffnungsträger für die Opposition gilt, passte Chamenei deshalb nicht ins Konzept.
Letztes Wort noch nicht gesprochen?
Es gilt jedoch als nicht ganz unwahrscheinlich, dass einer der beiden oder gar beide ausgeschlossenen Kandidaten wiedereingesetzt werden. Chamenei habe das letzte Wort noch nicht gesprochen, hieß es am Dienstag dazu. Auch Schüller hält es für möglich, dass Rafsandschani doch antreten darf. „Natürlich“ handle der Wächterrat im Einvernehmen mit Chamenei, es könne aber sein, dass es noch einen „politischen Deal“ gebe, von dem man noch nichts weiß. Bleibe es jedoch dabei, würde das bedeuten, dass die iranische Führung eine Konfrontation in dem Land riskiere. Schon jetzt sei die Spannung auf den Straßen spürbar, so Schüller.
Chamenei vor schwieriger Entscheidung
Man müsse davon ausgehen, dass die Führung verschiedene Risiken gegeneinander abgewogen habe. Wird eine so populäre Figur ausgeschlossen, riskiere man einen Proteststurm vonseiten der Opposition. Andererseits sei es womöglich noch riskanter, wenn man Rafsandschani antreten hätte lassen. Nicht nur, weil er Chancen auf einen Sieg habe, so Schüller. Auch weil bei einem Mann seines politischen Gewichts, der von den Reformern unterstützt wird, jeder Wahlkampfauftritt zu einer Kundgebung gegen das gegenwärtige System ausarten könnte.
Die Führung wolle um jeden Preis verhindern, dass ähnlich schwere Proteste wie nach dem Wahlsieg Ahmadinedschads 2009 ausbrechen. Damals waren bei der blutigen Niederschlagung der Demonstrationen Dutzende Menschen getötet und mehrere hundert verhaftet worden. Für Chamenei keine einfache Situation. Er muss nun Stellung beziehen, warum jemand, der von ihm selbst 2012 als Chef des mächtigen Schlichtungsrates eingesetzt wurde und einer der wichtigsten politischen Persönlichkeiten seit 1979 war, plötzlich keiner Approbierung würdig ist.
Hochrangige Würdenträger fordern Zulassung
Am Mittwoch forderten mehrere hochrangige Politiker, darunter der einflussreiche Parlamentsabgeordnete Ali Motahari, und einige Mitglieder des Expertenrates Chamenei auf, Rafsandschanis Disqualifikation durch den Wächterrrat mittels seines Vetorechts rückgängig zu machen.
In dem offenen Brief Motaharis, der am Mittwoch in einigen Medien des Iran veröffentlicht wurde, heißt es: „Die Disqualifizierung von Ajatollah Rafsandschani für die Wahl wurde anscheinend aus zwei ungerechtfertigten Gründen vorgenommen. Sein körperlicher Zustand und seine Rolle bei den Protesten 2009. Das ist eine Art und Weise, der kommenden Wahl Schaden zuzufügen. Sie wissen, wie viel Enthusiasmus sich mit dem Eintreten von Rafsandschani in den Wahlprozess innerhalb der Bevölkerung breitgemacht hatte und wie viel Hoffnung aufgeflammt war. Mit seiner Ablehnung verschwanden dieser Enthusiasmus und diese Hoffnung natürlich wieder. Ich würde Ihnen daher empfehlen, Rafsandschani zu approbieren“.
Revidiert Chamenei die Entscheidung, brüskiert er damit seinen eigenen Wächterrat, und die ganze Sache könnte als abgekartetes Spiel angesehen werden. Revidiert er sie nicht, wird ihm in den nächsten Monaten ein rauer Wind aus verschiedenen Reihen der Führungsriege und der Bevölkerung, die Rafsandschani nahestehen, entgegenwehen.
Exilopposition: Polit-Selbstmord des Regimes
Die iranische Exilopposition sieht in dem Ausschluss Rafsandschanis einen „politischen Selbstmord“ des Regimes in Teheran. Nach Ansicht der Präsidentin des Nationalen Widerstandsrates des Iran (NWRI), Marjam Radschawi, zeugt die auf „Anordnung“ von Chamenei getroffene Entscheidung des Wächterrates von einer tiefen Spaltung.
Der Wahlausschluss Rafsandschanis und des Schützlings von Ahmadinedschad, Esfandiar Rahim Maschaei, offenbare die tiefen Risse und die Zerfallserscheinungen innerhalb der Organe des Regimes und die Auseinandersetzungen zwischen den Fraktionen, so Radschawi. Nachdem es Chamenei auch mit Drohungen nicht gelungen sei, eine Kandidatur Rafsandschanis und Maschaeis zu verhindern, habe er sich gezwungen gesehen, sie auf diese „verheerende Weise“ von der Wahl auszuschließen.
USA kritisieren „vage Kriterien“
Die USA haben die Auswahl der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl im Iran kritisiert. Der nicht durch das Volk legitimierte Wächterrat habe auf Grundlage „vager Kriterien“ nur acht von fast 700 Kandidaten zugelassen, erklärte der Sprecher des US-Außenministeriums, Patrick Ventrell, schriftlich auf Anfrage der Nachrichtenagentur AFP. Diese Auswahl spiegle „wahrscheinlich nicht den Willen des iranischen Volkes wider“.
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