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Philippinisches Thrillerdrama

Brillante Mendoza ist ein gern gesehener Gast bei Filmfestivals. In Cannes gewann der Philippino 2009 mit „Kinatay“ den Regiepreis und mit seinem jüngsten Film „Captive“, der diese Woche in heimischen Kinos anläuft, nahm er im Februar am Wettbewerb der Berlinale teil.

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Mendoza ist besessen vom Recherchieren. Wie ein Journalist müsse man arbeiten, sagt er in einem Statement, das an Journalisten weitergereicht wird. Für sein philippinisches Geiseldrama „Captive“ hat er ehemalige Geiseln interviewt, Angehörige der Staatsarmee und Angehörige der terroristischen, separatistischen Abu-Sayyaf-Miliz, die der Al-Kaida nahe steht. Egal, was man selbst denke, sagt Mendoza, man müsse als Person zurücktreten und die Ereignisse für sich sprechen lassen, ohne zu werten. Das Material, mit einer Handkamera aufgenommen, wirkt folgerichtig dokumentarisch.

Aber der Film gibt trotzdem nicht 1:1 eine konkrete Geiselnahme wieder. Mendoza stellte Szenen zusammen, die verschiedenen Erlebnissen entsprechen, die seine Interviewpartner hatten. Mit einem fiktionalen Anteil von einem Viertel, wie Mendoza schreibt, bastelte er diese zu einem Film zusammen, der dramaturgisch als solcher funktioniert - mit einem Spannungsbogen und einem definitiven Ende.

Hupperts Angst beim Dreh

Im Zentrum steht die christliche Sozialarbeiterin Therese Bourgoine (Isabelle Huppert). Als eine Handvoll Abu-Sayyaf-Kämpfer ein Hotel stürmen, um dort Weltbank-Angestellte als Geiseln zu nehmen, müssen sie feststellen, dass diese schon abgereist sind. Also nehmen sie kurzerhand die anwesenden heimischen Touristen und Angestellte von Hilfsorganisationen mit, darunter Therese. Per Boot geht es auf eine Insel, wo dann quer durch den Dschungel eine Verfolgungsjagd mit dem Militär stattfindet.

Der Film, schreibt Mendoza, ist nicht zuletzt deshalb so realistisch, weil er als Regisseur seinen Schauspielern quasi-realistische Abläufe zumutete. Sie durften einander vor dem ersten Drehtag nicht sehen - weil auch die Filmfiguren zusammengewürfelt sind. Die als Terroristen verkleideten Schauspieler tauchten überhaupt erst bei der „Geiselnahme“ auf. Huppert erzählte im Interview mit dem „Kurier“, dass die Darsteller der Geiseln sich tatsächlich vor den Darstellern der Terroristen gefürchtet hätten.

Eingeschlossen wie echte Geiseln

Zudem wurden die Szenen in der chronologisch richtigen Reihenfolge gedreht - damit die Schauspieler von der Geiselnahme bis zum Ende alles authentisch nachfühlen können. Huppert nannte den Dreh nicht von ungefähr ihren bisher schwierigsten. Aber, cool wie stets, will sie nicht meckern - schließlich sei sie Schauspielerin und gehe als solche natürlich gerne an ihre Grenzen.

Eine Grenzerfahrung ist „Captive“ auch für die Zuschauer. Sie sollen das Schicksal von Geiseln und Geiselnehmern nachvollziehen können, deshalb bleibt die Handlung stets ohne jede Erklärung, ohne Hinweis darauf, was in der Welt draußen vorgeht, ganz bei den Geschehnissen auf der gemeinsamen Flucht. Man ist eingeschlossen, die Schauspieler sind eingeschlossen - der Verlauf der Handlung bleibt hermetisch.

Ein Film über die Natur des Menschen

Die Geiselnehmer werden beim kaltblütigen Töten gezeigt, aber auch, wenn sie sich menschlich gegenüber ihren Opfern verhalten. Diese wiederum sind einmal stark, einmal schwach, biedern sich einmal den Terroristen an, dann wieder nicht. Der Film ist in jeder Hinsicht brutal, er dürfte niemanden kaltlassen. Schießereien, eine Vergewaltigung, psychische Gewalt wechseln einander ab mit Naturbetrachtungen im Dschungel und Gesten gegenseitiger Herzlichkeit. Das, meint Mendoza, sei eben die Natur des Menschen, und um nichts weniger gehe es in seinem Film.

Die Jury in Berlin überzeugte er damit nicht - und auch die Rezensionen waren durchwachsen. Für die Berliner „taz“ etwa ging der Erkenntnisgewinn aufgrund der Hermetik der Handlung gegen null, die „Zeit“ hingegen fand Mendozas Konzept überzeugend. Der Film mag dramaturgisch ungewöhnlich sein und war wohl nie als Kassenschlager gedacht. Aber seine journalistische Funktion erfüllt er. Wie nach dem Lesen einer guten Reportage hat man danach das Gefühl, die schnöden Nachrichten zur vollen Stunde im Radio besser zu verstehen.

Simon Hadler

ORF.at

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