Ein cineastischer Vergnügungspark
Der Eröffnungsfilm der Filmfestspiele in Cannes ist in den USA bereits ein Kassenschlager: Baz Luhrmanns Verfilmung von F. Scott Fitzgeralds Roman „The Great Gatsby“ spielte schon an seinem ersten Wochenende 51 Millionen Dollar ein. Für eine Literaturverfilmung ist das mehr als beachtlich - wenn man in diesem Fall von einer Literaturverfilmung sprechen kann.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Der Film ist lauter, bunter, knalliger, sentimentaler und weniger differenziert als das Buch. In einem Interview mit der Website Huffington Post lässt der auf Dramen spezialisierte Regisseur („Romeo und Julia“) durchklingen, worum es ihm geht: den literarischen Stoff so umzusetzen, dass er auf der Gefühlsebene heute wieder so funktioniert wie damals. Bei einem Publikum, das opulente 3-D-Märchen gewöhnt ist, geht das, legt Luhrmann nahe, eben nur mit einem opulenten 3-D-Märchen.
Party bis zur Besinnungslosigkeit
Der augenfälligste Unterschied zur Literaturvorlage aus dem Jahr 1925 ist die Rahmenhandlung. Hier wie dort ist Nick Carraway (Tobey Maguire) der Erzähler. Aber während das Buch offen lässt, warum und wem der Börsenmakler und angehende Schriftsteller seine Geschichte vorträgt, liest der junge Mann im Film aus Aufzeichnungen, die er im Rahmen eines Aufenthalts in einer psychiatrischen Klinik zu therapeutischen Zwecken verfasst hat. Carraway leidet in Luhrmanns Version an Depressionen und Alkoholsucht.

Courtesy of Warner Bros. Pictures
Jordan und Nick auf einer von Gatsbys rauschenden Partys
Letztere soll durch die Story Fitzgeralds erklärt werden, an die sich Luhrmann im Folgenden großteils hält. Denn hier wird Party gefeiert, ausgiebig. Carraway zieht in ein kleines heruntergekommenes Haus in Long Island. Sein Nachbar ist der mysteriöse Jay Gatsby (Leonardo DiCaprio), der in seinem Schloss regelmäßig die größten Gelage New Yorks feiern lässt - ausschweifende Feste, bei denen sich eine mehrfache Hundertschaft von Prominenz aus Showbusiness, Politik und Sport bis zur Besinnungslosigkeit betrinkt.
Hip-Hop ersetzt Jazz
Bei Fitzgerald sind diese Gelage Mittel zum Zweck und Beiwerk, bei Luhrmann rücken sie als Bilderfeuerwerke ins Zentrum des Geschehens. Verspielt und genüsslich wird der 3-D-Effekt auf die Spitze getrieben, wenn die Tänzer in Ekstase geraten und die Raketen detonieren, die wilden Kostüme in knalligen Farben leuchten und alle Anwesenden rätseln, wer denn nun dieser Gatsby überhaupt sei, der kaum je auftaucht, von dem man nicht weiß, wodurch er schon als 32-Jähriger so einen Reichtum anhäufen hat können.
Die vielleicht größte Konzession Luhrmanns an die Lebenswelt heutiger Kinogänger ist der Soundtrack, den er sich von Jay-Z zusammenstellen ließ. Zu Hip-Hop-Klängen wird Swing getanzt, bei Autofahrten wie in Rap-Videos gegroovt, bei Partys mit Hip-Hop-Begleitung Champagner getrunken und kopuliert. Luhrmann meint, Jazz habe heute eine ganz andere Bedeutung, Hip Hop passe besser. Auch Lana del Ray mischt mit. Die Rechnung geht auf: So wird nachfühlbar, wie hip und wild es damals zuging, der museal-verstaubte Schleier senkt sich.
Buchhinweis
F. Scott Fitzgerald: Der große Gatsby. Neu übersetzt von Reinhard Kaiser. Insel Verlag, 212 Seiten, 23,60 Euro.
Märchenkino in Disney-Ästhetik
Der Gesamteindruck bleibt jedoch: Fitzgeralds „Großer Gatsby“ wird hier - ganz im Unterschied zur 1974er-Verfilmung mit Robert Redford in der Hauptrolle - zum schönen Märchenkino in überkolorierter Disney-Ästhetik mit vollkommen unnötigen, teils aufgesetzt wirkenden, aber in ihrer Umsetzung nichts desto weniger faszinierenden 3-D-Effekten. Fitzgeralds Romanhandlung ist nicht zu killen, sie hält sogar diesem Umfeld stand. Nur die leisen Töne gehen verloren. Carraways Selbstzweifel, seine stille Liebe zu Daisys Freundin Jordan Baker (Elizabeth Debicki), Gatsbys ambivalente Persönlichkeit, die Gesellschaftskritik am sinnentleerten Society-Leben - trotz zweieinhalb Stunden Filmlänge werden sie nur angedeutet.

Courtesy of Warner Bros. Pictures
Bildgewaltiger Kitsch: Daisy Buchanan und Jay Gatsby
Luhrmann konzentriert sich ganz auf die unglückliche Liebesbeziehung zwischen Gatsby und Carraways Cousine Daisy (Carey Mulligan). Die beiden waren zusammen, bevor Gatsby in den Krieg gezogen ist. Daisy hat in der Zwischenzeit den aristokratischen Football-Star Tom Buchanan (Joel Edgerton) geheiratet. Gatsby veranstaltet den ganzen Partyzirkus nur, um sie zurückzugewinnen. Die Moralfrage stellt sich aus heutiger Sicht nicht - schließlich betrügt Tom seinerseits Daisy am laufenden Band. Alle Handlungsstränge laufen auf eine letzte, große Tragödie zu. Luhrmann greift mit beiden Armen tief in die Gefühlskitschkiste, nur ein wenig Humor und Augenzwinkern schaffen hier und dort Abhilfe.
Von Eindrücken niedergeprügelt
Das alles zusammen ist viel zu viel, man wird von überbordenden Eindrücken niedergeprügelt. Der Streifen ist als Literaturverfilmung nicht ernstzunehmen. Dabei wäre gerade mit Leonardo DiCaprio der ganz große Gatsby möglich gewesen - die Rolle scheint ihm auf den Leib geschneidert. Aber wer sich weniger auf eine Literaturverfilmung als auf einen Besuch im cineastischen Vergnügungspark einstellt und einlassen will, dürfte nicht enttäuscht werden. Langweilig wird es im Kino zweieinhalb Stunden lang nicht.
Simon Hadler, ORF.at
Links: