Der die Monster laufen lehrte
Der Trickfilmpionier Ray Harryhausen ist tot. Der Meister der Stop-Motion-Animation starb am Dienstag im Alter von 92 Jahren in London, wie seine Familie mitteilte. Harryhausen schuf unter anderem die Spezialeffekte in den Filmen „Jason und die Argonauten“ und „Kampf der Titanen“. Zahlreiche Hollywood-Größen zollten dem Verstorbenen Tribut.
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Der in Los Angeles geborene Harryhausen sei für die Trickfilmindustrie eine große Inspiration gewesen, sagte „Star Wars“-Schöpfer George Lucas. „Ohne Ray Harryhausen hätte es vermutlich nie einen ‚Krieg der Sterne‘ gegeben.“ Auch der Regisseur von „Herr der Ringe“, Peter Jackson, würdigte den Filmpionier. Dessen „wundersame Bilder und seine Art zu erzählen“ hätten ihn inspiriert. „Avatar“-Regisseur James Cameron sagte, spätere Science-Fiction-Filmemacher seien durch Harryhausen „auf den Schultern eines Giganten“ gestanden.
Harryhausen kam 1920 in Los Angeles zur Welt. Seine Faszination für Spezialeffekte sei durch den Klassiker „King Kong“ von 1933 geweckt worden, sagte er einmal. Zu seinen bekannten Filmen zählen unter anderem die drei „Sindbad“-Streifen, „Eine Million Jahre vor unserer Zeit“ und „Das Grauen aus der Tiefe“.

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Joe - der Menschenaffe aus „Mighty Joe Young“
„Genauso wichtig wie Schauspieler“
Seine Kunst habe darin bestanden, seine Modelle zum Leben zu erwecken, erklärte Harryhausens Familie. „Ob prähistorische Dinosaurier oder mythologische Kreaturen - in Rays Händen waren es nicht länger Marionetten, sondern echte Wesen, genauso wichtig wie die Schauspieler, neben denen sie spielten - in vielen Fällen sogar noch wichtiger.“
Harryhausen perfektionierte die von ihm „Dynamation“ genannte Stop-Motion-Technik, die darin besteht, Attrappen in zahlreichen verschiedenen Stellungen zu fotografieren, so dass die Bildfolge vor dem Auge der Zuschauer wie eine kontinuierliche Bewegung erscheint. Dazu legte er verschiedene Schichten übereinander - jene mit realen und jene mit Trickfiguren, wodurch eine Art 3-D-Effekt entstand.
Auf diese Weise brachte Harryhausen zum Beispiel die Außerirdischen im Film „Fliegende Untertassen greifen an“ zur Erde. In Zeiten der Computeranimationen wird Stop-Motion kaum noch angewandt, aber in dem modernen Trickfilm „Monster AG“ setzten die Animateure dem Altmeister ein Denkmal: Darin kommt ein Restaurant namens „Harryhausen’s“ vor.
King Kongs älterer Bruder
Die Bedeutung Harryhausens für die Filmgeschichte kann kaum überschätzt werden. Dabei ist es gerade ein Film, der beim Publikum ein Flop war, für den er bis heute von Animateuren und Special-Effects-Experten verehrt wird: „Mighty Joe Young“ („Panik um King Kong“). Engagiert worden war King-Kong-Animateur Willis O’Brien. Da der aber mit einem Haufen anderer technischer Probleme der Produktion zu kämpfen hatte, überließ er das eigentliche Feld der Animation seinem Assistenten Harryhausen.
Sowohl das Modell des Menschenaffen als auch die Bewegungen stellten einen eklatanten Fortschritt im Vergleich zum Original-„King Kong“ aus dem Jahr 1933 dar. Besonders die Befreiungsszene im Waisenhaus gilt als Meilenstein der Stop-Motion-Geschichte. Auch jene Szene, in der Joe, wie der Primat hier genannt wird, auf einem Lastwagen sitzt und auf seine Verfolger spuckt, blieb in Erinnerung. Der Film erhielt einen Oscar für die Special Effects.
Als der Primat wuchs und schrumpfte
Eine ursprünglich angedachte Fortsetzung wurde aufgrund des ausbleibenden Publikumsinteresses nicht produziert. Die Handlung des Films war als seicht und lächerlich kritisiert worden. In einem Punkt wurde aber auch Kritik an den Animationen geübt: Joe ist in verschiedenen Szenen unterschiedlich groß. Harryhausen schob diesen Lapsus jedoch auf den Produzenten Merian C. Cooper. Der habe darauf bestanden, dass Joe in ein paar Einstellungen zur Erhöhung des dramatischen Effekts größer ist als in anderen.

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Klassische Stop-Motion-Szene aus „The Golden Voyage of Sindbad“
Lebensfreundschaft mit Ray Bradbury
Harryhausens Karriere war wechselhaft, der große Durchbruch zu Weltruhm blieb ihm verwehrt. Schon der Start seiner Laufbahn im Filmbusiness war kein geradliniger. Ein Freund brachte ihn mit seinem großen Idol O’Brien zusammen. Der verriss die von Harryhausen erstellten Modelle und riet ihm, Zeichen- und Bildhauereikurse zu belegen, um seine Fähigkeiten zu verbessern. Er folgte dem Rat - was zu seinem Engagement für „Mighty Joe Young“ führte.
Nach diesem Film setzte er abgewandelt einen Stoff seines lebenslangen Freundes Ray Bradbury um - „The Beast from 20.000 Fathoms“ („Panik in New York“, 1953). Der Streifen wurde Harryhausens Durchbruch und für ihn und Warner Brothers ein großer finanzieller Erfolg. Eine Reihe von Science-Fiction-Filmen konnte in den folgenden Jahren mit diesem Ergebnis nicht mithalten.
Legendärer Schwertkampf mit sechs Armen
Erst in den 70er und 80er Jahren schuf Harryhausen jene Filme, für die er weit über die Grenzen der Special-Effects-Community hinaus bekannt wurde. Er und Produzent Charles H. Schneer überredeten Columbia Pictures dazu, den Sindbad-Charakter aufleben zu lassen. Vor allem die Schwertkampfszene von „The Golden Voyage of Sindbad“ ist legendär, an der eine sechsarmige Kali-Figur beteiligt ist. 1973 und 1974 fuhr der Film satte Gewinne ein - genauso wie der Nachfolgefilm „Sindbad and the Eye of the Tiger“ (1977).
Harryhausen konnte schließlich 1981 mit Schneer gemeinsam MGM das höchste Budget für Special Effects herauslocken, das er je zur Verfügung hatte. „Clash of the Titans“ war sein letzter großer Film und gleichzeitig jener, der am meisten ins kollektive Gedächtnis einging. Das Lexikon des internationalen Films vermerkt dazu: „Die Vorlage wird, reichlich gespickt mit Zusatzattraktionen, zu einem standardisierten, allenfalls in einigen Tricksequenzen interessanten Hollywood-Märchen.“
Ein Stück Harryhausen in jeder Animationssequenz
Harryhausens Arbeit wirkte vor allem branchenintern. Neben - heute angesichts computerisierter Animation überholten - technischen Neuerungen war es vor allem die von ihm geschaffene Dramaturgie, die bis heute in jeder Animationssequenz weiterlebt: Er war der festen Überzeugung, dass sich die Tricks in einem Film nicht in den Vordergrund spielen dürfen. Das Auge des Zuschauers sollte sich gerade nicht auf die Animation konzentrieren, sondern auf das Gesamtbild.
Animationssequenzen aus Harryhausens Hand zeichnen sich immer dadurch aus, dass der Trick in ein natürliches Umfeld eingebettet ist - und dadurch umso natürlicher wirkt. Wo „King Kong“ noch in jeder einzelnen Szene möglichst spektakulär agieren muss, bleibt „Mighty Joe Young“ auch einmal stehen, schaut, kratzt sich am Kopf. Erst Harryhausen machte aus hektisch agierenden Filmpuppen animierte Charaktere.
„Eine Einmannindustrie“
Harryhausen lebte bis zu seinem Tod mit seiner Frau Diana Livingstone Bruce in London. Sein Tod wurde am Dienstag von seiner Famillie bekanntgegeben. Auf seiner Website hieß es, sein „Einfluss auf heutige Filmemacher war enorm. Steven Spielberg, James Cameron, Peter Jackson, George Lucas und John Landis haben Harryhausen einen wichtigen Einfluss auf ihre Arbeit zugestanden.“ Die BBC zitierte Peter Lord von Aardman Animations mit den Worten, Harryhausen sei eine „Einmannindustrie und ein Einmanngenre“ gewesen.
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