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Mehr Opfer als bei Hungersnot 1992

Das Ausmaß der jüngsten Hungerkatastrophe in Somalia ist weitaus größer gewesen als bisher vermutet. Zwischen Oktober 2010 und April 2012 seien in dem Land am Horn von Afrika fast 260.000 Menschen gestorben

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Mehr als die Hälfte der Todesopfer, konkret: 133.000, waren Kleinkinder unter fünf Jahren - bei einer geschätzten Gesamtbevölkerung von 9,3 Millionen Menschen. Damit stieg die Sterberate für Kinder in mehreren Gegenden des Landes in dieser Phase auf 20 Prozent. Zum Vergleich: In allen Industrieländern der Erde mit einer Gesamtbevölkerung von 900 Millionen starben im selben Zeitraum 65.000 Kleinkinder, so das Hungerfrühwarnsystem FEWS Net.

Die Zahlen sind das Ergebnis eines Berichts der UNO-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) und der US-Organisation FEWS Net. Ein UNO-Vertreter räumte Versäumnisse ein. Ursprünglich war davon ausgegangen worden, dass während der jüngsten Hungerkatastrophe im Bürgerkriegsland Somalia Zehntausende gestorben waren. Doch laut dem nun vorgelegten Bericht kamen sogar mehr Menschen ums Leben als bei der schweren Hungersnot von 1992, als binnen zwölf Monaten 220.000 Menschen an Unterernährung starben.

Unterernährtes Kind im Krankenhaus

Reuters/Ismail Taxta

Ein stark unterernährtes Kind 2011 in einem Spital der Hauptstadt Mogadischu

30.000 Tote monatlich im Jahr 2011

„Der Hunger und die schwere Ernährungsunsicherheit in Somalia haben zwischen Oktober 2010 und April 2012 258.000 Menschen getötet“, heißt es in dem Bericht. Zwischen Mai und August 2011 habe es jeden Monat etwa 30.000 Hungertote gegeben. Im Süden und im Zentrum Somalias seien zwischen Oktober 2010 und April 2012 geschätzte 4,6 Prozent der Bevölkerung und zehn Prozent der Kinder unter fünf Jahren an den Folgen von Unterernährung gestorben.

Es handelt sich laut FAO um die „erste wissenschaftliche Schätzung“ der Opferzahl dieser Katastrophe. Es hatte bereits frühzeitig wiederholte Warnungen vor der drohenden Hungersnot gegeben. Doch die internationale Gemeinschaft hatte zu lange gleichgültig zugesehen. Als die Hilfe anzulaufen begann, boykottierten militante Islamisten die Hilfsbemühungen und verweigerten den Hilfsorganisationen den Zutritt zu besonders stark von der Dürre betroffenen Regionen im Süden des Landes.

„Hätten mehr tun sollen“

Ein Vertreter der Vereinten Nationen räumte Versäumnisse ein: „Der Bericht bestätigt, dass wir mehr hätten tun sollen, bevor die Hungersnot ausgerufen wurde“, erklärte der UNO-Koordinator für humanitäre Hilfe für Somalia, Philippe Lazzarini. „Die Warnungen, die bereits während der Dürre von 2010 vorlagen, haben nicht zu ausreichend frühem Handeln geführt.“

Kinder bei Essensausgabe

Reuters/Goran Tomasevic

Zwei Kinder bei einer Essensausgabe 2012

Somalia litt mehr als andere Staaten am Horn von Afrika unter der extremen Dürre, von der insgesamt 13 Millionen Menschen in der Region betroffen waren. Die UNO rief im Juli 2011 offiziell eine Hungersnot für mehrere Regionen Somalias aus. Im Februar 2012 erklärte die UNO die Hungersnot für beendet. In diesem Zeitraum waren rund vier Millionen Somalier - die Hälfte der Bevölkerung - von Hunger betroffen.

Von Dürren besonders betroffen

In Somalia, einem der unsichersten Länder der Welt, sind die Folgen einer Dürre besonders schwerwiegend, denn die Bedingungen für Mitarbeiter von Hilfsorganisationen sind äußerst schwierig. Das Land hat seit mehr als 20 Jahren keine funktionierende Regierung.

Nach UNO-Definition herrscht Hunger, wenn mindestens ein Fünftel der Haushalte extreme Lebensmittelknappheit verzeichnen, mindestens 30 Prozent der Bevölkerung akut mangelernährt sind und zwei von 10.000 Menschen jeden Tag sterben.

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