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Furcht vor Märtyrern in Guantanamo

US-Präsident Barack Obama will einen neuen Anlauf unternehmen, um das weltweit kritisierte Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba zu schließen. „Guantanamo ist nicht notwendig, damit Amerika sicher bleibt. Es ist teuer. Es ist ineffizient“, sagte Obama am Dienstag (Ortszeit). Zudem schade das Lager dem internationalen Ansehen der USA. „Es muss geschlossen werden.“

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Was Obama aber auch zu seiner überraschenden Ankündigung bewogen haben dürfte, ist etwas anderes - der seit Wochen anhaltende Hungerstreik von Guantanamo-Häftlingen. Nach Angaben der „New York Times“ verweigern nach wie vor 100 der 166 Häftlinge die Nahrungsaufnahme. 21 würden derzeit künstlich ernährt. Stirbt auch nur ein einziger Häftling, drohen weltweite Proteste - Gewalt und Ausschreitungen in islamischen Ländern wären praktisch programmiert. „Ich möchte nicht, dass diese Personen sterben“, sagte Obama. Das Lager könnte zum Fluch für den Präsidenten werden.

Mit Besenstielen auf Wärter

Bereits vor zwei Wochen war der Konflikt in dem Lager eskaliert: Gefangene gingen mit Besenstielen auf Wächter los. Die feuerten mit Gummigeschoßen zurück. Auslöser der Proteste sollen Koran-Durchsuchungen in den Zellen gewesen sein. Doch Anwälte der Häftlinge lieferten auch eine tiefergehende Erklärung: Die Verzweiflung der Häftlinge werde immer größer - nach zehn Jahren hinter Gittern ohne Anklage, ohne Prozess machten sich schlichtweg Hoffnungslosigkeit und Wut breit.

Obama ist sich als gelernter Jurist bewusst, dass das Vorgehen der USA in Guantanamo allen rechtlichen Standards der westlichen Welt widerspricht und somit schlichtweg unhaltbar ist. „Die Vorstellung, dass wir eine Gruppe von Menschen, denen wir keinen Prozess machen, für immer festhalten“, widerspreche allen Grundsätzen der USA.

„Mittel zur Rekrutierung von Extremisten“

Schlimmer noch: Obama weiß, dass allein die Existenz des Lagers Millionen Muslimen in der Welt ein Dorn im Auge ist - und wohl nicht wenige in die Arme von Extremisten treibt. „Es ist auch ein Mittel zur Rekrutierung von Extremisten“, sagte der Präsident so klar wie noch nie.

Das Lager, das Präsident George W. Bush nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 eröffnen ließ, gilt als Schandfleck der USA, als Makel des Präsidenten. Es wurde seinerzeit aus einem einzigen Grund auf Kuba errichtet: Es sollte nicht unter die Gesetze der USA fallen. Umstritten sind vor allem die Militärtribunale auf der Insel - Kritiker halten den USA vor, Aussagen zu verwenden, die Häftlinge unter Folter gemacht haben.

Republikaner stellten sich quer

Guantanamo ist aber auch ein Symbol für Vollmundigkeit und Schwäche des Präsidenten. Am Tag nach seinem Amtsantritt im Jänner 2009 hatte Obama medienwirksam die Schließung des Lagers angekündigt. Doch die Rechnung hatte er ohne die Republikaner gemacht. Diese weigerten sich, eine Verlegung der Häftlinge in Gefängnisse auf dem US-Festland zuzulassen - angeblich sei das zu gefährlich und unzumutbar für die Amerikaner.

In Wahrheit war der Schachzug der Republikaner der Beginn der Blockadepolitik der Opposition. In so gut wie allen Politikbereichen - von Schulden und Finanzen bis zu Themen wie schärfere Waffengesetze und Klimawandel - blockiert die Opposition seit Jahren systematisch Kompromisse. Ob sich das ausgerechnet beim Reizthema Guantanamo ändern könnte, ist mehr als fraglich. Obama dürfte es weiter schwer haben, das Lager tatsächlich zu schließen.

Peer Meinert, dpa

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