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64. Nachkriegsregierung vereidigt

Italien probt die große Koalition als Ausweg aus der Regierungskrise. Assistiert von Staatspräsident Giorgio Napolitano tritt der neue Regierungschef Enrico Letta sein Amt im römischen Palazzo Chigi an. Nach zähen Verhandlungen, aber doch in Windeseile, hat er ein 21-köpfiges Kabinett zusammengestellt.

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Erstmals seit 1947 wollen Politiker der Linken und der Rechten gemeinsam regieren und versuchen, den vor allem auch wirtschaftlich festgefahrenen Karren aus dem Morast zu ziehen. Mehr als zwei Monate lang lähmte ein Patt im Parlament das hoch verschuldete und in tiefer Rezession steckende Land. Wenn die Krise nun vertrieben werden kann, dann ist das ihm zu verdanken - dem gerade erst wiedergewählten alten Staatspräsidenten. „Das ist der erste deutliche Versuch, Italien zu befrieden“, lobte am Sonntag der rechtsliberale Mailänder „Corriere della Sera“ die von Letta und Napolitano entschlossen gezimmerte große Koalition.

Kabinett ohne Berlusconi und Monti

Obwohl bei den Parlamentswahlen Ende Februar jeder Vierte die populistische Protestbewegung Fünf Sterne (M5S) gewählt hatte, bleibt diese jetzt außen vor und führt die Opposition an. Von Gemauschel und Gaunerei spricht Fünf-Sterne-Chef Beppe Grillo, der schon ein Ende der alten Parteien prophezeite und der Regierung Letta ein kurzes Leben. Sie halte den Selbstbedienungsladen der Politik offen und Berlusconi im Spiel. Der hat in der Tat gepunktet und das Schicksal der Regierung in der Hand.

Die am Sonntag vereidigte 64. italienische Nachkriegsregierung setzt eine ganze Reihe von Akzenten. Die „Dinosaurier“ der Politik in Rom sucht man vergebens in Lettas Kabinettsliste. Kein Silvio Berlusconi, kein Massimo D’Alema, auch der bisherige Regierungschef Mario Monti taucht darin nicht auf.

Dafür treten jetzt etliche wenig bekannte Namen an. Und vor allem ist ein Drittel des Regierungsteams aus Politikern und Technokraten weiblich - so etwa als „Nesthäkchen“ die 37 Jahre junge Nunzia De Girolamo, die Agrarministerin wird. Oder auch die deutschstämmige Kanusportlerin Josefa Idem als Ministerin für Gleichberechtigung und Sport - die im Kongo geborene Cecile Kyenge wird Integrationsministerin. Sie ist die erste farbige Ministerin in der Geschichte des Landes.

Durchschnittsalter deutlich gesenkt

Italiens Regierung wird aber nicht nur in Rekordzahl weiblicher, sondern auch viel jünger - das Durchschnittsalter sinkt von 64 auf 53 Jahre. Da nimmt Fabrizio Saccomanni (70) von der Zentralbank Italiens eindeutig die Rolle des Regierungsseniors ein. Als neuer Wirtschafts- und Finanzminister mit direktem internationalen Draht zum Internationalen Währungsfonds (IWF) und zu der Europäischen Zentralbank (EZB) übernimmt er allerdings auch einen in der Schulden- und Finanzkrise äußerst wichtigen Ministerposten. Auch in ihrer Außenpolitik setzt die junge neue Regierung mit Emma Bonino auf eine erfahrene Kraft, bewandert auf europäischem Parkett.

Tatsächlich steckt bei allen Neuerungen in der Regierung Letta die italienische Weisheit aus Giuseppe Tomasi di Lampedusas so genialem Roman „Il Gattopardo“ („Der Leopard“): Alles müsse sich eben verändern, damit alles so bleibt, wie es ist. Denn auch wenn Berlusconi etwas ins Glied zurückzutreten scheint und sich ein Generationenwechsel andeutet - das linke und das rechte Lager bleiben am Tiber an der Macht, diesmal allerdings gemeinsam.

Napolitanos entscheidendes Ziel ist damit aber in jedem Fall erreicht: Das Gespenst baldiger Neuwahlen könnte jetzt erst einmal vertrieben sein, und diese von ihm gewünschte „Regierung des Präsidenten“ die misstrauischen Finanzmärkte ein wenig beruhigen.

Zu Fuß zur Vereidigung

Erhält Letta das Vertrauen des Parlaments, kann seine schwierige Arbeit beginnen. Dass vor seinem Regierungssitz zwei Polizisten von einem Mann in Jackett und Krawatte angeschossen wurden, während die Minister den Eid ablegten, überschattete den Beginn seiner Amtszeit. Wie zuvor Papst Franziskus jenseits des Tibers hat Letta bereits einen neuen Stil eingeführt - etliche Mitglieder seiner Regierung kamen zu Fuß, im Taxi oder in ihrem Kleinwagen zu ihrer Vereidigung.

Hanns-Jochen Kaffsack, dpa

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