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Rekrutierung in ganz Europa

Bewahrheiten sich die Einschätzungen des obersten Terrorexperten der EU, Gilles de Kerchove, steigt mit der Dauer der Kämpfe in Syrien auch die Gefahr terroristischer Anschläge in Europa. Denn immer wieder schließen sich auch Europäer den Rebellen, die gegen Baschar al-Assad kämpfen, an. Sie werden in Syrien oft radikalisiert - und sind bei ihrer Rückkehr nach Europa bereit, Terrorakte zu verüben.

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Verschiedene Quellen schätzen die Zahl der europäischen Dschihadisten in Syrien auf 500 bis 600. Der Großteil stammt aus Großbritannien, Irland, den Niederlanden und Frankreich. Viele würden erst in dem Land radikalisiert und trainiert, sagte De Kerchove der BBC. Das könnte zu einer „ernstzunehmenden Bedrohung“ werden, sobald die Kämpfer nach Europa zurückkehren.

Bereits mehrere Geheimdienste hätten ihre Befürchtung geäußert, dass sich einige der Europäer in Syrien Al-Kaida-Truppen oder -Ablegern anschließen und - in die Heimat zurückgekehrt - Terrorangriffe verüben könnten. Dementsprechend würden die Ermittlungen in diese Richtung verstärkt, bestätigte auch der Europakorrespondent der BBC, Duncan Crawford. In den Niederlanden wurde die Terrorbedrohung bereits als „erheblich“ eingestuft, nicht zuletzt wegen des anhaltenden „Dschihad-Tourismus“ in Länder wie Syrien.

Verhältnismäßig einfache Rekrutierung und Anreise

Dafür, dass sich ausgerechnet die syrischen Rebellen eines großen Zulaufs aus Europa erfreuen können, sei vor allem die geografische Lage des Landes verantwortlich, berichtete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“) Anfang April. Anders als das Kerngebiet von Al-Kaida an der afghanisch-pakistanischen Grenze ist es verhältnismäßig leicht und günstig, Syrien via Billigflug in die Türkei, Bus und Taxi zu erreichen.

Die Idee, gegen das Regime von Baschar al-Assad zu kämpfen, haben viele junge Dschihadisten, einige noch im Teenageralter, aus dem Internet. Sie würden gezielt durch Videos aufgerufen, die leicht zu finden sind, so die „FAZ“. So fürchten etwa die deutschen Sicherheitsbehörden demnach einen weiteren Anstieg der Reisen islamistisch gesinnter Kampfeswilliger. „Es wird in Zukunft wohl noch mehr Dschihadisten aus Deutschland geben, die in Syrien kämpfen wollen“, bestätigte Benno Köpfer vom Stuttgarter Verfassungsschutz der Zeitung.

In Belgien ist es eine Organisation namens Sharia4Belgium, die für die Rekrutierung neuer Kämpfer zuständig ist. Die salafistische Vereinigung, deren Ziel es laut (mittlerweile gesperrter) Homepage ist, Belgien in einen islamischen Staat zu verwandeln, soll alleine im letzten Jahr 30 junge Belgier nach Syrien vermittelt haben.

Fanatismus nach der Schule

Darunter ist laut BBC auch der erst 19-jährige Brian de Mulder. Er sei, erzählte seine Tante Ingrid de Mulder im Interview, mit 17 Jahren zum Islam konvertiert, anfangs mit Billigung seiner Familie. „Dann wurde er fanatisch. Er wollte nur noch beten und verließ die Schule“, so die Tante.

„Ich kann machen, was ich will, und auch wenn ich sterbe, habe ich keine Angst. Allahs Paradies erwartet mich“, soll Brian de Mulder vor seinem Verschwinden erklärt haben. Von seiner Mutter habe er sich mit den Worten „Ich liebe dich, aber du wirst mich nie wiedersehen“, verabschiedet haben, berichtete die BBC. Jüngsten Facebook-Einträgen zufolge befindet sich De Mulder derzeit in der Nähe von Damaskus, Näheres weiß die Familie nicht.

„Sie wirkten wie Maschinen“

Der französische Arzt Jacques Beres gab an, im letzten Jahr fünf verletzte Europäer in Syrien behandelt zu haben. „Zwei Brüder waren aus Frankreich, zwei andere aus Großbritannien und ein schwedischer Staatsbürger syrischer Herkunft“, führte Beres, aus. „Sie schienen völlig verloren, wirkten wie Maschinen. Es war erschreckend.“

Doch nicht alle Kampfeswilligen schaffen es überhaupt bis nach Syrien. Vor allem militante Islamisten, die in Europa unter Beobachtung der Behörden stehen, werden unterwegs abgefangen. In Rotterdam setzte die Polizei im vergangenen November drei Männer im Alter von 22, 23 und 33 Jahren fest, die über die Türkei an die syrische Front ziehen wollten. Die türkische Polizei griff Mitte April in der Grenzprovinz Hatay den Österreicher Mohamed M. auf. Gemeinsam mit ihm sollen auch mehrere deutsche Extremisten festgenommen worden sein, die ebenfalls auf dem Weg nach Syrien waren.

Dschihadisten auch aus arabischen Ländern

Auch aus den arabischen Ländern bekommen die syrischen Dschihadisten reichlich Zulauf. Der libanesische Salafistenprediger Ahmed al-Assir sagte am Mittwoch, rund 300 Kämpfer seien seinem Anfang der Woche veröffentlichten Aufruf gefolgt, in den „Dschihad“ nach Syrien zu ziehen. An der Seite der Regierungstruppen kämpfen derweil nach Angaben der syrischen Opposition zunehmend Mitglieder der libanesischen Schiitenbewegung Hisbollah.

Nicht alle Rebellenführer sehen den Zustrom von Kämpfern aus dem Ausland positiv. Im Gegenteil: Ein Sprecher der von Deserteuren gegründeten Freien Syrischen Armee betonte erst unlängst: „Wir brauchen keine Dschihadisten und keine ausländischen Kämpfer, wir haben selbst genug Männer. Was uns fehlt, das sind Waffen.“ Vor allem nach dem Sturz des Regimes werde es für die ausländischen Kämpfer keinen Platz mehr in Syrien geben, betonte er: „Wir sagen ihnen dann: ‚Vielen Dank und auf Wiedersehen!‘“

Mikl-Leitner: „Vereinzelt Reisebewegungen“

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) kann unterdessen Medienberichte, wonach 60 Männer aus Österreich „im syrischen Dschihad“ kämpfen sollen, nicht bestätigen. Man habe „vereinzelt Reisebewegungen“ festgestellt, „wir können das aber in keinster Weise bestätigen“, erklärte Mikl-Leitner am Freitag zu Medienberichten. Der Verfassungsschutz sei hier besonders gefordert, generell stünden „Radikalisierungstendenzen im Fokus“.

Die „Presse“ (Donnerstag-Ausgabe) hatte von großteils syrischen, pakistanischen, afghanischen und tschetschenischen Asylwerbern oder Flüchtlingen berichtet, die sich auf die Seite der Rebellen in Syrien geschlagen hätten. Medienberichte, wonach besonders die tschetschenische Szene in Graz überwacht werde, konnte Mikl-Leitner ebenfalls nicht bestätigen. Die Community sei bekannt, „da gibt es Auffällige und Nichtauffällige. Aber ich warne davor, alle Tschetschenen von vornherein zu kriminalisieren.“ Auch bei Aufenthaltsgenehmigungen sei man „sehr sensibel“, das zeige sich in der Zuerkennungsrate bei Asylansuchen. 2006 lag diese bei Anträgen aus der Russischen Föderation (ein Großteil davon von Tschetschenen) bei 71 Prozent, im Jahr 2012 nur noch bei 27 Prozent.

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