„Goschert“, aber gutmütig
Das Wien Museum entführt seine Besucher in eine Welt, die man heute nur noch aus alten Liedern und Filmen kennt - die Welt der „Wiener Typen“. Vom 18. bis hinein ins 20. Jahrhundert prägten sie weit über die Stadt hinaus das Bild des „Wienerischen“: Arm, frech und laut waren sie, die Scherenschleifer, Maronibrater, Fiakerfahrer, Wäschefrauen, Lavendelweiber und Blumenmädeln.
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Zunächst gab es die „Kaufrufe“. Diese Bilder waren nach den lauten Rufen Handelsreisender benannt. Im Museum hört man auf den kostenlosen Audioguides solche Proklamationen und bekommt dadurch einen lebhaften Eindruck vermittelt, wie sich Wien angehört haben muss, als noch die ganze Stadt ein Marktplatz war und Hausierer von Tür zu Tür zogen und ihre Waren und Dienstleistungen anpriesen.

Wien Museum/Johann Christian Brand
Wiener Blumenmädeln
Auf weit verbreiteten Druckgrafiken jedenfalls sah man dann die stilisiert dargestellten Menschen - und erst durch diese Darstellungen prägten sich die Bilder von Berufsbekleidungen und charakteristischen Gegenständen im kollektiven Gedächtnis ein. Den Berufsgruppen, die hauptsächlich gemeinsam hatten, dass man wenig Geld verdiente, wurden Charaktereigenschaften zugeschrieben. Meistens wurden die Wiener Typen als „goschert“, aber gutmütig bezeichnet - die Reichen hatten ihre Projektionsflächen.
Schon früh der nostalgische Blick
Im Wien Museum sind zahlreiche solcher Grafiken ausgestellt, dazu später entstandene Fotografien, Plakate, Figuren und Filme: Es ist ein vielfältiges Sammelsurium, das Museumsdirektor Wolfgang Kos und seine Kuratorenkollegen da zusammengetragen haben. Schon im 19. Jahrhundert waren die Typendarstellungen mit Nostalgie verbunden - dieser Eindruck entsteht nicht erst heute.
Denn mit der voranschreitenden Industrialisierung verschwanden viele der Berufsgruppen von der Bildfläche - oder wurden zumindest seltener. Ein Beispiel: Wenn in einer Fabrik spottbillig Töpfe in Massenfertigung produziert werden können, wird es sich nicht mehr auszahlen, seine Pfannen von einem Kesselflicker reparieren zu lassen.

Wien Museum/Johann Christian Brand
Der italienische Salamiverkäufer
Wiener mit Migrationshintergrund
Die Ausstellung bleibt zwar in ihren Exponaten - von einer Handvoll Fotografien und von Plakaten der Wien-Werbung abgesehen - der Vergangenheit verhaftet. Thematisch allerdings ist sie in Sinnzusammenhängen geordnet, die sehr wohl auf die Gegenwart verweisen. Ein Beispiel dafür ist die Migration. Die meisten Hausierer etwa kamen aus Galizien und dem ehemaligen Ungarn (inklusive Teilen von Kroatien, der Slowakei und Siebenbürgen).
Zugewanderte Tschechen und Slowaken machten phasenweise bis zu 30 Prozent der Wiener Bevölkerung aus. Das heißt: Gerade die als „urwienerisch“ verstandenen Typen kamen bereits damals ursprünglich aus anderen Regionen. In Wäschereien etwa arbeiteten viele junge, unverheiratete Frauen aus Tschechien. Salami- und Käseverkäufer kamen traditionell aus Italien.
Ausstellungshinweis
Wiener Typen - Klischees und Wirklichkeit. Wien Museum, Karlsplatz; 25. April bis 6. Oktober, Dienstag bis Sonntag und Feiertag 10.00 bis 18.00 Uhr; geschlossen am 1. Mai.
Fremdeln und granteln seit jeher
Die Ausstellung beschäftigt sich nicht nur mit den aus Berufsgruppen entstandenen Typen, sondern auch mit Überbezeichnungen wie Pülchern und Gigerln. Pülcher waren arbeitslose Tunichtgute und Strizzis. Gigerln waren Modegecken. Über sie machte man sich besonders gerne lustig. Oft waren sie nicht ganz auf der Höhe der internationalen Mode der Zeit und wenn dann noch kreative Ideen dazukamen, war das Ergebnis erheiternd - und ist es durchaus noch heute, wenn man sich die Bilder im Wien Museum anschaut.
An vielen Ecken und Enden der Ausstellung kommen Assoziationen zur Gegenwart auf. Die Hipster und Bobos erinnern an die Gigerln. Und ist es nicht unter anderem die Sehnsucht nach der alten Zeit, die laut rufende türkische Standler am Brunnenmarkt so sympathisch macht? Auch hier gilt wie früher: Man liebt seine Projektionsflächen, wenn sie dort bleiben, wo man sie malerisch findet. Sonst fremdeln ja viele Wiener nach wie vor. Obwohl der grantelnde Wiener angeblich auch nur ein Klischee ist.
Simon Hadler, ORF.at
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