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„Inakzeptabler Mangel an Dialog“

Bei einer gemeinsamen Sitzung von Senat und Abgeordnetenhaus ist Montagabend Italiens bisheriger Präsident Giorgio Napolitano für seine zweite Amtszeit angelobt worden. Der 87-Jährige bedankte sich für das neuerliche Vertrauen. Bei seiner von Standig Ovations unterbrochenen Antrittsrede ließ Italiens erster wiedergewählter Präsident aber auch mit ungewohnter Kritik aufhorchen.

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Da er aus Altersgründen nicht mehr antreten wollte, habe er seine Wiederwahl, die er gleichzeitig als ernsthafte Herausforderung für seine Kräfte bezeichnete, nicht vorausgesehen, so Napolitano. Er habe aber aus Verantwortungsbewusstsein seinem Land gegenüber zugestimmt. Sein Amt wolle er nun weiter zum Wohl der Republik und mit Respekt für die Verfassung ausüben. Er habe einem zweiten Mandat auch zugestimmt, weil Italien dringendst eine tragfähige Regierung brauche. Der politische Stillstand im Land habe dramatische Ausmaße angenommen.

Italiens Staatschef Giorgio Napolitano

APA/EPA/Maurizio Brambatti

Napolitano dankte bei seiner Angelobung für das neuerliche Vertrauen

„Fataler Stillstand“

Mit scharfen Tönen rief Napolitano die politischen Kräfte auf, im Interesse des Landes endlich zu kooperieren, auf Rivalitäten zu verzichten und eine tragfähige Regierung aufzubauen. Der totale Mangel an Dialog zwischen konkurrierenden politischen Kräfte sei inakzeptabel, darunter leide das ganze Land. Seine Wiederwahl sei die Folge eines „fatalen Stillstands“ in der italienischen Politik. Für Taktieren und Egoismus sei in der italienischen Politik nun aber kein Platz mehr.

Er habe die Parteien bereits mit allen möglichen Mitteln dazu aufgerufen, für das Land längst fällige Reformen über die Bühne zu bringen. Bereits zu Beginn seiner Rede erinnerte Napolitano etwa an die ausstehende Reform des Wahlrechts, worin er eine der Ursachen der derzeitigen Regierungskrise ortete. Sollten seine Appelle wieder auf taube Ohren stoßen, werde er Konsequenzen ziehen und zurücktreten, so Napolitano weiter. Die Tatsache, dass die Parteien bisher keine Kooperationsbereitschaft für die Regierungsbildung bewiesen hätten, sei Ausdruck einer kurzsichtigen Vision.

Es sei vordringlich, die tiefe Rezession anzugehen, Arbeitsplätze zu schaffen und ein besseres Wahlgesetz zu erreichen, sagte Napolitano. Es sei unverzeihlich, dass das noch nicht geschehen sei. In Richtung der Protestbewegung Movimento 5 Stelle (Bewegung Fünf Sterne, M5S) sagte Napolitano, dass er zwar das Engagement der neuen Kraft im italienischen Parlament schätze. Es sei aber wenig produktiv, wenn man sich nicht an die demokratischen Gepflogenheiten halte.

Erste Regierungskonsultationen am Dienstag

Priorität habe es laut Napolitano nun, „unverzüglich“ eine Regierung zu bilden. Es sei unannehmbar, dass 56 Tage nach den Parlamentswahlen Italien immer noch führungslos sei. Angesichts der Kräfteverhältnisse in den Parlamentskammern drängte Napolitano auf eine große Koalition. Bereits am Dienstag standen Konsultationen auf dem Programm - erst mit den Parlamentspräsidenten Laura Boldrini und Pietro Grasso und danach mit den Chefs der im Parlament vertretenen Parteien.

Nach Angaben italienischer Medien bemüht sich Napolitano für die Bildung einer tragfähigen Regierung aus der Demokratischen Partei (PD), der Mitte-rechts-Allianz um Silvio Berlusconis Partei Popolo della Liberta (Volk der Freiheit, Pdl) und dem Zentrumsblock um den scheidenden Premier Mario Monti.

Nachdem am Montag noch der ehemalige Premier Giuliano Amato als möglicher Favorit für das Amt des Regierungschefs gehandelt wurde, wurde am Dienstag nicht mehr ausgeschlossen, dass mit Matteo Renzi bereits jetzt der neue PD-Hoffnungsträger zum Zug kommen könnte. Ziel der am Dienstag gestarteten Sondierungsgespräche sei es nach Angaben des Präsidialamtes, bis spätestens Mittwoch einen Politiker mit der Regierungsbildung zu beauftragen.

Konvoi mit Giorgio Napolitano

AP/Andrew Medichini

Napolitano auf dem Weg zu seiner zweiten Angelobung

Italien ist seit den Ende Februar abgehaltenen Parlamentswahlen ohne neue Regierung. Der inzwischen zurückgetretene Pier Luigi Bersani von der linken Demokratischen Partei (PD) hatte sich trotz eines Wahlsiegs Ende Februar keine Regierungsmehrheit sichern können. Dass auch eine große Koalition kein Garant für eine stabile Regierung ist, wurde zuletzt bei der Präsidentschaftswahl deutlich.

Fünf Wahlgänge ohne Ergebnis

Nach fünf gescheiterten Wahlgängen kam erst mit dem neuerlichen Antritt von Napolitano die erforderliche Mehrheit zustande. Der Ex-Kommunist, der wegen seines hohen Alters nicht mehr antreten wollte, ließ sich dann am Samstag erneut zum Staatsoberhaupt wählen. Er ist der erste italienische Präsident, der wiedergewählt wurde.

Zu Beginn der Vereidigungszeremonie läutete nach Tradition die Glocke des Palazzo Montecitorio, dem Sitz der Abgeordnetenkammer. Napolitano wurde von Boldrini und Grasso empfangen. An der feierlichen Zeremonie beteiligten sich die 1.007 Wahlmänner und -frauen, die Napolitano beim sechsten Wahlgang im Parlament für ein zweites Mandat wiedergewählt hatten. Auf Wunsch des Staatsoberhaupts wurde die Feier nüchterner als üblich gestaltet.

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