„Homo Austriacus Maximus“
Der Diener, der zum Herrscher und Moralisten wird und den Adel vorführt: Es ist die Rolle des Theodor aus Hugo von Hofmannsthals „Der Unbestechliche“, mit dem Josef Meinrad am 21. April 1983 von der Bühne des Wiener Burgtheaters abtrat und die er sich selbst für seinen letzten großen Burg-Auftritt gewünscht hatte. Symbolisch besiegelte er damit auch eine beispiellose Aufsteigerbiografie vom armen Lehrbuben aus Wien-Hernals, der es bis zum Träger des Iffland-Rings brachte und für ganz Österreich eine Identifikationsfigur abgab.
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Verbindlich und freundlich, konsequent und bescheiden, so ist Meinrad im Gedächtnis geblieben. Meinrad war seit 1945 einer der wirkungsmächtigsten Schauspieler des Landes, schon allein ob des Umstandes, dass er überall zu sehen war. Nicht nur im Theater, sondern sogar im Musical wurde er zum Publikumsliebling, und der österreichische Nachkriegsfilm ist ohne Meinrad ohnedies undenkbar. Dabei mussten es nicht die Hauptrollen sein, mit denen sich das Bild von Meinrad im kulturellen Gedächtnis des Landes festzimmerte.
Eine nachkriegstaugliche Biografie
Als „Homo Austriacus Maximus“ bezeichnet die Theaterwissenschaftlerin Julia Danielczyk den Schauspieler und verweist dabei auf die Nachkriegstauglichkeit seiner Biografie. Und Nachkriegstauglichkeit, das heißt nach 1945 auch: Einübung des Österreichisch-Sein.

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Josef Meinrad mit seiner Frau Germaine: Sie lernte er am Ende seines Fronttheatereinsatzes in Metz kennen
„Meinrad war weder Jude noch Nazi. Auch vor dem sogenannten politischen Anschluss hatte sich Meinrad nicht parteipolitisch engagiert, war nicht Mitglied bei der Vaterländischen Front gewesen und auch in den folgenden Jahrzehnten seines Lebens trat er keiner politischen Partei bei“, schreibt Danielczyk in dem von ihr herausgegebenem Sammelband „Josef Meinrad. Der ideale Österreicher“ (Mandelbaum Verlag, 2013). Meinrad sei „unbeschädigt durch die politisch bewegten Jahre gekommen“, insofern habe Meinrads Vergangenheit als „unbedenklich“ gegolten, „wodurch er problemlos einsetzbar“ war.
Würdigungen zum 100er
Am Burgtheater erinnern sich am 25. April bei einer Lesung ab 17.00 Uhr Weggefährten wie Lotte Ledl und Robert Meyer an ihren Kollegen. Im Rahmen der „matinee“ ist am Sonntag, 21. April, 9.00 Uhr, ORF2 ein neuer Blick auf die Biografie von Meinrad zu sehen - mehr dazu in tv.ORF.at.
„Österreich ist frei“ - zunächst im Film
Nicht umsonst war Meinrad prädestiniert für die Rolle des charmanten Ministerpräsidenten für den von der Regierung in Auftrag gegebenen und 1952 produzierten Spielfilm „1. April 2000“, der den Alliierten die, wenngleich satirische, Vision eines befreiten Österreichs vor Augen stellen sollte. Den Grund, warum Österreich besetzt war, legt der Film nicht offen. Die Thematisierung des Nationalsozialismus störte in der neuen Österreich-Einübung.
„Da man den Krieg, als wäre er nicht gewesen, überspringt, ebenso die Hitler-Zeit, kommt es nicht mehr darauf an, noch etwas weiter zurückzuspringen. Wo man landet, schreibt man etwa 1912“, erinnert Franz Schuh in seinem Beitrag über Meinrad und die politische Funktion des Theaters in Österreich nach 1945 an eine Tagebucheintragung von Günter Anders. „In den 1950er und 1960er Jahren hatten die Schauspieler eine pseudopolitische Funktion in der Öffentlichkeit“, schreibt Schuh. Schauspieler wie Heinz Conrads seien vor diesem Hintergrund gleich ins Moderatorenfach gewechselt, wollte man doch lieber im Fokus einer „idyllisierenden Aufmerksamkeit“ stehen.

Wien-Bibliothek im Rathaus
Josef Meinrad als charmanter Ministerpräsident in der Science-Fiction-Satire „1. April 2000“ (1952)
Die Zeiten des „Conradismus“
Der „Conradismus“ ist für Schuh die typische Österreich-Ideologie der Zeit, „der gemäß zwar alles, vor allem das ‚moderne Leben‘, zwar furchtbar, aber eh in Ordnung war“. In dieser Zeit sei Meinrad auf der Bühne der Virtuose gewesen, so Schuh, der die Perfektion mit der Leichtigkeit zu verbinden wusste und der über seine Nestroy- und Raimund-Rollen ebenso im „Verschönerungsverein des Wienerischen“ mitgewirkt habe.
Das Geschick attestiert Schuh Meinrad vor allem im Auftreten neben der Bühne, etwa wenn er bei der Verleihungsrede des Iffland-Ringes seine Herkunft aus dem komischen Fach überstrapaziere „und unter dem Niveau seiner schauspielerischen Tätigkeit“ argumentiere. Meinrad fügte sich in diesem Sinn vorzüglich in eine Zeit und Gesellschaft, in der man nicht zuletzt auch sein prominentes Ich nicht zu groß machte.
„Meinrads virtuose, zugleich auch verharmlosende Figurendarstellung passte ideal in die Weichenstellung, die für die ersten Jahrzehnte der zweiten Republik erfolgt war“, erinnert Danielczyk, die gemeinsam mit dem Historiker Clemens Mertensder den biografischen Nachlass des Schauspielers in der Wien-Bibliothek gesichtet hat. Das Kulturverständnis sei bewusst traditionalistisch ausgelegt gewesen, so Danielczyk: „Meinrad war mit seinem Lebensentwurf und Darstellungsstil der ideale Vermittler innerhalb dieser Interessen.“

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Josef Meinrad, ein Schauspieler für alle
Sparsam auch in der Villa
Dem entspricht auch das Bild, das Meinrad von sich in der Öffentlichkeit entwirft. Da ist jemand, der in einer Villa am Wiener Stadtrand mit seiner Frau und seinen Tieren lebt, der einen Rolls-Royce fährt, diesen aber mit Argumenten der Wirtschaftlichkeit und langen Lebensdauer gegen den mutmaßlichen Vorwurf, hier lebe einer auf großem Fuß, zu verteidigen weiß. Viel tiefer ließ Meinrad aber auch nicht in seine Privatsphäre blicken.
Wenn nun die Wien-Bibliothek den privaten Nachlass ihr Eigen nennt und diesen teilweise in der großen Meinrad-Schau ausstellt, so stehen Forscher doch auch vor einer Kleinarbeit mit vielen Lücken, will man gerade das frühe Leben Meinrads erzählen.
Priesterseminar als Aufstiegsmotor
Man stößt auf die Eckdaten in der Biografie Meinrads, der am 21. April 1913 in Wien als Josef Moucka zur Welt kommt und dessen Weg über einen vom Pfarrer vermittelten Gymnasiumsfreiplatz bei den Redemptoristen in Katzelsdorf fast ins Priesterseminars geführt hätte. Zur Schauspielerei gelangt Meinrad nach einer abgeschlossenen Lehre, und als er in den 1920er Jahren Schauspielunterricht nimmt, muss er das mit der Ausübung seines Brotberufs in Einklang bringen. Sparsamkeit und Disziplin sollen schon damals Markenzeichen des jungen Mannes gewesen sein, der sich zudem in der katholischen Abstinenz-Bewegung, dem „Kreuzbund“, engagiert.

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Mit Klaus Wildbolz in „Leben auf Abruf“ (1971)
„I dua olles“
Als er im politisch heiklen Jahr 1934 in Leon Askins (der damals noch den Namen Leon Askinasy trug) politischem ABC-Kabarett auftaucht, zählten zunächst Meinrads handwerkliche Tischlerkenntnisse. „Eines Tages kam ein junger blonder Mann zu mir, der mir in einem furchtbaren Wiener Vorstadtdialekt erklärte: ‚I wuell Schauspuela wern, i dua olles!‘“, erinnert sich Askin später. Der junge Mann habe ihm von seinem Weg ins Priesterseminar erzählt und dass er gelernter Tischler sei: „Ich horchte auf, denn Tischler waren weit schwerer zu bekommen als Schauspieler. So engagierte ich ihn.“
Meinrads Einstieg ins Schauspielfach war also nicht ohne Risiko, stand doch das ABC im totalitären Ständestaat nicht nur unter politischem Verdacht. Dem Bundespolizeibericht fällt auf, „dass die in diesen Kleinkunstbühnen auftretenden Schauspieler durchwegs Juden (...) und auch die Besucher fast ausschließlich Juden sind“. Meinrad tritt zunächst in Nebenrollen auf, wird aber zunehmend von der Presse wahrgenommen. Er singt auf dieser Bühne auch Texte von Jura Soyfer, der zwischenzeitlich unter dem Pseudonym Walter West schreibt.
Der Weg nach Metz
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich setzt Meinrad seine schauspielerische Karriere am Wiener Werkel fort, einer Kleinkunstbühne, die aber schon unter der Leitung eines einflussreichen NSDAP-Mitglieds steht. Meinrad, dessen Bekanntheitsgrad steigt, entzieht sich politischen Verwicklungen durch ein Engagement beim Fronttheater in Metz. Für Meinrad werden die Jahre in Metz nicht nur zu den prägendsten Lehrjahren, weil er dort, wie er selbst sagte, „so Vieles und Verschiedenartiges“ spielen musste. In einer der Bombennächte knapp vor Ende des Kriegs kommt er bei einer Familie unter und lernt dort seine spätere Frau Germaine kennen.
Die Dokumente, vor allem Tagebuchnotizen, die die Wien-Bibliothek zur Zeit Meinrads in Metz aufbewahrt, könne man durchaus als „Dokumente der Zurückhaltung, durchaus auch einer inszenierten Zurückhaltung lesen“, meint die Theaterwissenschaftlerin Veronika Zangl, die Meinrads Jahre in Metz aufgearbeitet hat. Nicht hinwegtäuschen dürfe das allerdings darüber, „dass Fronttheater oder Deutsches Theater in besetzten Gebieten im Zentrum nationalsozialistischer Propaganda standen“, so Zangl.
Ausstellungshinweis:
„Josef Meinrad. Der ideale Österreicher“, bis 31. Oktober, Ausstellungskabinett der Wienbibliothek, Rathaus Stiege 6. Parallel zur Ausstellung erschienen ist der von Julia Danielczyk herausgegebene gleichnamige Sammelband im Mandelbaum-Verlag mit Beiträgen von Franz Schuh, Achim Benning u. a., 320 Seiten, 24,90 Euro.
Meinrad und der Iffland-Ring
Wie sehr der Schatten der Vergangenheit auch über die fällt, die sich von ihr immer sorglich auf Distanz halten wollten, zeigt die Verbindung von Josef Meinrad zum Iffland-Ring. Meinrad, dem politisch Unbelasteten und Ende der 1950er Jahre allerorts gefeierten Schauspieler, fiel die höchste deutschsprachige Schauspielerauszeichnung just von Werner Krauß zu.
Für den Ausnahmeschauspieler Krauß, der während der NS-Zeit allerdings durch krassen Antisemitismus auffiel, war die Verleihung des Iffland-Rings 1954 so etwas wie eine Rehabilitierungsmaßnahme: Krauß hatte den Ring nicht von einem verstorbenen Vorgänger übernommen, sondern die Auszeichnung durch ein Votum des Kartellverbandes deutscher Schauspieler zugesprochen bekommen.
Vor Krauß war der emigrierte jüdische Schauspieler Albert Bassermann Träger des Rings (hatte allerdings alle vorgeschlagenen Nachfolger als Ring-Träger überlebt). Nach dem Tod Bassermanns lagerte der Ring zwischenzeitlich im Wiener Unterrichtsministerium.

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Der Platz zwischen dem Burgtheater und dem Volksgarten trägt mittlerweile den Namen Meinrads
Die Botschaft des Rings
Dass Krauß für den Ring Meinrad und nicht wie von vielen erwartet Oskar Werner vorsah, kam überraschend. Offenbar auch für Meinrad, den Schauspieler mit dem Schwerpunkt im komischen Fach, selbst. Für Danielczyk steckt darin aber auch eine politische Botschaft, lasse sich doch die Weitergabe des Rings auch als Respekt und Dank an die Republik Österreich interpretieren.
Meinrad selbst hatte in seiner Dankesrede schließlich eine ganz eigene Interpretation für die Motive von Krauß parat. Seine Argumente zementieren einmal mehr das gewünschte Selbstbild: „Vielleicht wollte er auch sagen, auf seine Art, dass die Bezirke des Humors nicht unbedingt Vororte der Kunst sein müssen. Vielleicht bin ich dabei gar nicht so wichtig.“
Gerald Heidegger, ORF.at
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