VKI kämpft für Frauen aus Österreich
In der französischen Hafenstadt Marseille hat am Mittwoch der Strafprozess gegen den Gründer der Firma Poly Implant Prothese (PIP) und vier leitende Angestellte begonnen. Auch 73 Österreicherinnen sind von der Aufarbeitung des Skandals um Brustimplantate betroffen, die bewusst mit billigem Industriesilikon gefüllt und so zur Gesundheitsgefahr für die Frauen wurden.
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Zu Beginn des Prozesses wurde ein Befangenheitsantrag gegen das Gericht gestellt. Deshalb musste zunächst diese formale Frage geklärt werden, ehe die inkriminierten Vorwürfe erörtert werden konnten. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten vorsätzliche Täuschung vor. Firmenchef Jean-Claude Mas und seine Mitarbeiter sollen jahrelang den Großteil der weltweit vertriebenen Brustimplantate mit einer Mischung aus billigem Industriesilikon gefüllt haben. Das Verfahren ist bis 17. Mai anberaumt.
Mas-Aussage löste Tumult aus
Lautstarke Unmutsbekundungen löste Mas beim Prozessauftakt aus. Als sich der 73-Jährige auf Befragen des Gerichts als vermögenslos bezeichnete und sein monatliches Einkommen mit 1.000 Euro bezifferte, machten sich zahlreiche Zuhörer - darunter etliche geschädigte Frauen - mit abfälligen Zwischenrufen bemerkbar. Das Gericht drohte, den zu einem Gerichtssaal umfunktionierten Kongresssaal räumen zu lassen, sollten sich die tumultartigen Szenen wiederholen.
Hunderte drängten sich in Gerichtssaal
Insgesamt sind mehr als 5.200 Frauen, die meisten davon aus Frankreich, als Privatbeteiligte angemeldet, rund 250 Anwälte vertreten die mutmaßlichen Opfer. Die 73 Österreicherinnen werden vom Verein für Konsumenteninformation (VKI) vertreten. Der Verhandlungsauftakt wurde von regem Medieninteresse begleitet. Der in ein Kongresszentrum verlegte Gerichtssaal war laut VKI mit mehreren hundert Zusehern gefüllt. Auch etliche Geschädigte waren persönlich erschienen.
Vermutlich Hunderttausende Geschädigte
Der VKI führt im Auftrag des Konsumentenschutzministeriums eine Sammelintervention für die 73 Frauen aus Österreich, die vermutlich durch PIP-Brustimplantate geschädigt wurden. Die VKI-Juristin Ulrike Wolf verfolgte den Prozessauftakt mit drei betroffenen Österreicherinnen und der in Paris tätigen Rechtsanwältin Sigrid Preissl-Semmer an Ort und Stelle. „In Summe geht es für die österreichischen Geschädigten um rund 570.000 Euro“, so Wolf. Wie viele Frauen weltweit betroffen sind, kann nur geschätzt werden - vermutlich Hunderttausende.

APA/EPA/Guillaume Horcajuelo
Journalisten vor Prozessbeginn in Marseille
„Worst Case“ mit dramatischen Folgen
Die mutmaßlichen Verfehlungen von PIP bedeuteten für Tausende Frauen weltweit dramatische Konsequenzen, unterstrichen Wolf und VKI-Chefjurist Peter Kolba vor Prozessbeginn: Die Implantate zeigten eine erhöhte Reißanfälligkeit, die Folgen waren laut Konsumentenschützern „geplatzte Implantate, Entzündungen, der vorsorgliche Austausch der Implantate, weitere Operationskosten, Schmerzen und auch Ängste vor Folgeschäden“. Die Fälle jener drei Frauen, die zum Prozessauftakt angereist sind, werden als exemplarisch bezeichnet.
„Bei allen Dreien ist der ‚Worst Case‘ eingetreten: Die Implantate sind geplatzt, es gab Folgeoperationen und Körperschäden mit Entzündungen, Eiterbildung, und teilweise mussten Lymphknoten entfernt werden“, so Wolf. Mindestens eine der Betroffenen - ihre 2007 in Großbritannien eingesetzten Implantate waren 2010 gerissen - habe nachweislich trotz Not- und Folge-OPs immer noch Silikonreste im Körper. Die beiden anderen Frauen hatten sich die Brustprothesen in Deutschland machen lassen.
Kampf um Schadenersatz
Die Schäden aus einem fehlerhaften Produkt könnten gegen den Hersteller geltend gemacht werden. Doch PIP ist insolvent und aus heutiger Sicht ist für die Betroffenen nichts zu holen, so der VKI. Die Konsumentenschützer haben deswegen für die 73 österreichischen Frauen den Anschluss an das Strafverfahren organisiert. Über den Umweg eines möglichen Schuldspruchs besteht so die Chance auf zumindest Teilentschädigungen aus einem Garantiefonds. Ein entsprechend hitziger Prozessverlauf scheint möglich.
Die österreichische Gruppe ist die größte von ausländischen Geschädigten im französischen Strafverfahren. Das Gericht in Marseille hatte sich wegen der Tausenden Frauen, die sich dem Verfahren angeschlossen haben, vorsorglich auf einen großen Andrang vorbereitet: Das Verfahren wurde in eine im Kongresszentrum angemietete Halle verlegt. Dort standen noch zwei weitere Säle bereit, in denen der Prozess über Video übertragen werden kann.
VKI zieht auch gegen Versicherer ins Feld
Neben dem Strafprozess führt der VKI in der Causa außerdem rund 20 Musterprozesse gegen den französischen Haftpflichtversicherer von PIP, die Allianz Versicherung mit Sitz in Paris. Diese bestreitet die Wirksamkeit des Versicherungsvertrages und die Zuständigkeit für Frauen außerhalb Frankreichs. Die Versicherung war bisher auch nicht dazu bereit, zumindest auf die Verjährung von möglichen Forderungen zu verzichten und damit eine für beide Seiten kostengünstige Klärung der Rechtsfragen zu ermöglichen.
„Es überrascht uns sehr, dass eine Versicherung ganz offensichtlich darauf setzt, dass sich geschädigte Frauen eine Klage in Frankreich nicht leisten können und daher auf ihre möglichen Ansprüche verzichten“, kritisierte Kolba am Mittwoch. „Der Schadensfall PIP ist ein weit über die Grenzen Frankreichs hinausgehender Massenschaden, und die Regeln der Europäischen Union stehen auf dem Prüfstand, ob Geschädigte ihre Ansprüche auch tatsächlich über alle Grenzen hinweg durchsetzen können.“
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