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Bretterzaun statt unendlicher Weiten

Die weißen Jurten der Nomaden in der endlosen Grassteppe der Mongolei könnten bald der Vergangenheit angehören. In den letzten Jahren hat eine regelrechte Landflucht eingesetzt. In der Hoffnung auf gut bezahlte Jobs in den Bergwerksminen werden aus Nomaden sesshafte Stadtbewohner. Doch der Reichtum an Bodenschätzen ist sowohl Fluch als auch Segen für das Land.

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2.500 Jahre lang lebten die mongolischen Nomaden im rauen Klima der Steppen vor allem von Viehzucht. Mit den Jahreszeiten zogen sie mit ihren Behausungen, den weißen Jurten, von einem Weideplatz zum nächsten. Doch nun befindet sich das Land im Umbruch. Lebten vor 30 Jahren noch 80 Prozent der Bevölkerung von der Viehzucht, ist es heute nur noch rund ein Drittel. Die meisten Mongolen zieht es in die Hauptstadt Ulan-Bator - angelockt von kostenlosen Grundstücken, wie das Magazin „Le Monde Diplomatique“ berichtet.

Jurten-Zelte in der Mongolei

Reuters/Claro Cortes

Nomaden in der Weitläufigkeit der mongolischen Steppe - bald ein Bild mit Seltenheitswert?

Von der Viehzucht zum Bergbau

Früher waren es Pferde, Schafe oder Kamele, die den Reichtum des Landes definierten, heute ist es das, was sich unter der Erdoberfläche verbirgt. Die Mongolei gilt als eines der zehn rohstoffreichsten Länder der Welt. Über 6.000 Vorkommen von 80 verschiedenen Bodenschätzen wurden nachgewiesen, darunter Kohle, Kupfer, Gold, Uran, Diamanten und Seltene Erden. In den letzten 20 Jahren wurden Hunderte Tagbaustätten errichtet - zumeist unter Führung ausländischer Firmen. Anfang der 90er Jahre privatisierte die Regierung erstmals Schürf- und Landrechte.

Doch in der Bevölkerung wurde die Ankunft der Ausländer, die ohne Rücksicht auf Natur oder Umweltschutz die Ausbeutung der Bodenschätze betrieben, mit wachsendem Zorn beobachtet. Die Regierung konnte nicht riskieren, dass Investoren durch soziale Unruhen abgeschreckt werden, und „erkaufte“ sich die Zustimmung zu der Vergabe von Schürfrechten mit einem Landvergabegesetz. Seit 2002 hat vor den Toren der Hauptstadt Ulan-Bator jede Familie das Recht auf ein 700 Quadratmeter großes Grundstück, eine sogenannte Chaschaa.

Puffer zwischen Stadt und Steppe

In wenigen Jahren entstanden so riesige Jurtenviertel als Puffer zwischen Stadt und Steppe. Zwischen den Zelten grasten Pferde und Schafe, Kanalisation und fließendes Wasser gab es nicht. Dafür besuchten die Kinder Schulen und Universitäten. Notdürftig wurden die traditionellen Jurten für einen längeren Aufenthalt adaptiert. Wer konnte, tauschte sie gegen feste Hütten. Statt auf endlose Weiten blickten die Menschen nun auf hohe Bretterzäune an ihren Grundstücksgrenzen.

Mongolischer Bub vor einem Jurten-Zelt

Reuters/Nir Elias

Eine Ger (Jurte) besteht aus mehreren Filzschichten. Eine ganze Familie findet darin Platz.

Der Stadtverwaltung sind die Jurtenviertel längst ein Dorn im Auge. Zu deutlich zeigen sie die Kluft zwischen der neuen Oberschicht in ihren in die Höhe schießenden Glaspalästen und den armen Landflüchtlingen. Seit Jahren tüftelt die Stadtverwaltung an einem städtebaulichen Masterplan. Der mittleweile fünfte Entwurf sieht Wohnblöcke und Appartementanlagen vor, wo heute noch weiße Jurten stehen, wie „Le Monde Diplomatique“ berichtet. Tausende Menschen würden ihre erst vor kurzem erworbenen Grundstücke wieder verlieren.

Kein Rezept gegen kalte Winter

Dennoch, an eine Rückkehr in die Steppe denkt niemand mehr. Viele wüssten auch gar nicht mehr, wie sie in dem rauhen Klima überleben sollen. Denn schon einmal, am Höhepunkt des Kommunismus, waren die Menschen in die neu entstandenen Industriezentren abgewandert. Mit dem Zusammenbruch der Wirtschaft Anfang der 90er Jahre waren viele gezwungen, ihr Nomadenleben wieder aufzunehmen. Doch das alte Wissen über die besten Weidegründe war bereits verloren.

Hinzu kommt, dass sich die mongolischen Hirten die Graslandschaften immer öfter mit ausländischen Firmen teilen müssen, die in großem Stil in die Kaschmirproduktion eingestiegen sind. Doch die Kaschmirziegen fressen das Gras mitsamt den Wurzeln und zerstören so wertvolle Agrarflächen. Und auch das Klima kommt den Nomaden nicht entgegen. Seit den 2000er Jahren gab es immer wieder ungewöhnlich kalte und lange Winter. Im vergangenen Jahr wurde mit minus 50 Grad ein neuer Kälterekord aufgestellt. Zehntausende Stück Vieh starben in den meterhohen Schneemassen.

Investoren geben den Ton an

Damit blieb vielen Männern nichts anderes übrig, als einen Job bei den zahlreichen Bergwerkunternehmen anzunehmen. Der Arbeitsplatz ist oft viele tausend Kilometer von der Familie entfernt mitten in der Wüste Gobi. Rund um die Zechen entstehen aber auch neue Ballungszentren. In Daladsadgad hat sich die Einwohnerzahl in den letzten zwei Jahren verdoppelt. Der Bergbau hat auch die Wirtschaft des Landes enorm angekurbelt: 2011 und 2012 lagen die Wachstumsraten im zweistelligen Bereich. Mit der Eröffnung der Kupfermine von Oyu Tolgoi soll das Bruttoinlandsprodukt 2013 sogar um 30 Prozent steigen. Doch der erhoffte Geldregen könnte noch auf sich warten lassen.

Erst im März erklärte der Bergbauriese Rio Tinto, der sich die Rechte an Oyu Tolgoi sicherte, man verhandle mit der Regierung noch über die Kostenaufteilung der 6,2 Milliarden Dollar (rund 4,6 Mrd. Euro). Und auch ein zweites Großprojekt bereitet der Regierung Sorgen. Der Verkauf von staatlichen Anteilen am gigantischen Kohletagbau Tawan Tolgoi im Wert von drei Milliarden Dollar musste auf Eis gelegt werden. Offenbar forderten Investoren eine bessere Infrastruktur.

Langer Weg aus der Armut

Diese und ähnliche Fälle sind Wasser auf den Mühlen der zuletzt erstarkten nationalen Kräfte in der Mongolei, die vor einer zu starken Abhängigkeit von ausländischen Firmen vor allem aus China und Russland warnen. Bei der Parlamentswahl 2012 erlitt die regierende Volkspartei auch prompt eine herbe Niederlage und musste den Demokraten das Ruder überlassen. Premier Norov Altanhuyag versucht nun die Gratwanderung zwischen nationalen Interessen und dringend benötigten Auslandsinvestitionen.

Ein Blick auf die Jurtensiedlungen lässt aber zweifeln, ob der neugewonnene Reichtum tatsächlich bei den drei Millionen Einwohnern des Landes ankommt. 15 Prozent leben laut Weltbank immer noch unter der Armutsgrenze, 43 Prozent der Menschen sind von Unterernährung bedroht. Und wenn es in Ulan-Bator so kalt wird wie in den letzten Wintern, müssen viele ihre dürftigen Unterkünfte verlassen und sich in die Heizungstunnel der Stadt flüchten. Die meisten wären auf jeden Fall sofort bereit, ihre Jurten gegen feste Wohnungen zu tauschen - doch der gesellschaftliche Aufstieg wird wohl für viele zu teuer.

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