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Ermittlungspannen aufgedeckt

Wolfgang Priklopil war mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Einzeltäter. Das ist das Ergebnis des internationalen Ermittlerteams, das den Entführungsfall Natascha Kampusch seit Juli 2012 noch einmal aufgerollt hatte. Dass damit alle Verschwörungstheorien für immer verstummen, davon geht Kommunikationsexperte Roland Burkart nicht aus.

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„Die Evaluierung hat ergeben, dass Wolfgang Priklopil die Entführung mit hoher Wahrscheinlichkeit alleine durchgeführt hat“, sagte der Präsident des deutschen Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, bei der Präsentation des Evaluierungsberichtes am Montag. Ein endgültiger Beweis nach wissenschaftlichen Kriterien sei nicht möglich, „weil Herr Priklopil nicht mehr am Leben ist“, so Ziercke.

Auch Verbindungen des Entführers zu Rotlicht-, Sado-Maso- oder Pädophilenszene „konnten trotz umfangreicher Ermittlungen nicht festgestellt werden“. Sehr wohl festgestellt wurden von der Kommission aber „Ermittlungspannen“ und „Fehleinschätzungen“ bei den Ermittlungen.

Zeugin hat sich „objektiv geirrt“

Die Aussage einer jungen Zeugin, die Kampuschs Entführung beobachtet und von zwei Tätern berichtet hatte, bezeichnete Ziercke als „subjektiv glaubwürdig“, dennoch habe sich das Mädchen „objektiv geirrt“. Denn sie habe das Auto des Entführers mit einem anderen Wagen verwechselt, den sie wenig später an einer Kreuzung gesehen habe und in dem tatsächlich zwei Männer gesessen seien. Auch in Priklopils Auto und Haus seien keine Hinweise auf weitere Täter gefunden worden.

Herbert Anderl (Ex-Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit), der deutsche BKA-Präsident Jörg Ziercke und Sektionschef Christian Pilnacek vor der Präsentation des Endberichts der Expertenkommission zum Fall Kampusch

APA/Helmut Fohringer

Herbert Anderl (Ex-Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit), der deutsche BKA-Präsident Jörg Ziercke und Sektionschef Christian Pilnacek (v. l. n. r.) mit dem Endbericht

Festgestellt wurden laut Ziercke allerdings „Ermittlungsfehler in einzelnen Stadien“ der Untersuchung des Entführungsfalles sowie „Fehleinschätzungen“, etwa, dass Hinweisen auf Priklopil aus der Anfangsphase der Entführung nicht nachgegangen wurde. Allerdings verwies Ziercke darauf, dass das Verlies, in dem Kampusch festgehalten wurde, wohl auch bei einer Hausdurchsuchung ohne konkreten Hinweis nicht hätte gefunden werden können.

Kampusch nicht noch einmal befragt

Das Expertenteam bestand aus einer 13 Mann starken operativen Gruppe und einem siebenköpfigen Lenkungsausschuss, dem auch ausländische Ermittler zur Seite gestellt waren. Beamte des BKA und der US-Bundespolizeibehörde FBI waren zehn Tage lang zu Recherchen in Wien. Insgesamt 18 Lokalaugenscheine und 84 Befragungen wurden durchgeführt, 270.000 Aktenseiten noch einmal durchforstet und insgesamt 10.000 Arbeitsstunden in den Bericht investiert, hieß es bei der Pressekonferenz.

Nicht noch einmal befragt wurden allerdings Kampusch und der Freund des Entführers, Ernst H. Das sei angesichts der ohnehin vorliegenden Protokolle nicht erforderlich gewesen, sagte Ziercke. Auch die früheren Höchstgerichtspräsidenten Johann Rzeszut (OGH) und Ludwig Adamovich (Verfassungsgerichtshof), die mit ihrer Kritik an den Ermittlungen die Evaluierung ins Rollen gebracht hatten, wurden nicht neuerlich einvernommen. Die neuerliche Evaluierung des Falles habe auf jeden Fall Sinn ergeben, sagte Werner Amon (ÖVP), Vorsitzender des für die Causa Kampusch zuständigen Unterausschusses des Innenausschusses.

„Medieninteresse wird nicht erlahmen“

Doch auch wenn nun ein Endbericht vorliegt, der Fall werde damit trotzdem nicht für immer aus den Medien verschwinden, ist sich Kommunikationsexperte Burkart sicher. Der Fall sei aufgrund seiner Außergewöhnlichkeit auch weiterhin für Schlagzeilen gut. „Es hängt von der Entwicklung ab. Sobald sich etwas an der Faktenlage ändert, wird wieder darüber berichtet werden“, sagte der Uniprofessor gegenüber der APA.

Der Fall Kampusch

Die damals zehnjährige Natascha Kampusch wurde am 2. März 1998 entführt und mehr als acht Jahre lang von Wolfgang Priklopil im Keller seines Hauses in Strasshof (Niederösterreich) gefangen gehalten. Erst am 23. August 2006 gelang der mittlerweile 18-Jährigen die Flucht, Priklopil beging daraufhin Suizid.

Dass das Interesse an der Causa Kampusch nicht erlahmen wird, liege einfach an ihrer „Absurdität und Dramatik“. „Es gibt auf der Welt vielleicht fünf vergleichbare Fälle“, so Burkart. Zwar sei er „kein Prognostiker“, die Entführung könnte aber tatsächlich eine ganze Journalistengeneration bis zur Pension begleiten - nicht zuletzt, weil Medien auch ein kommerzielles Interesse an der Geschichte haben.

„Medienmeute“ muss gefüttert werden

Die Berichterstattung könnte auch sofort wieder aufflammen, sobald eine prominente Person - wie in der Vergangenheit etwa der ehemalige Verfassungsgerichtshof-Präsident Adamovich - die Einzeltätertheorie bezweifeln würde. „Man muss sich etwa nur vorstellen, Bundespräsident Heinz Fischer würde sagen, dass er neue Hinweise hat“, meinte Burkart.

Doch auch das Opfer selbst sorgt immer wieder für Schlagzeilen. So präsentierte Kampusch Anfang des Jahres unter großem medialen Echo die Verfilmung ihres Martyriums in dem Streifen „3096 Tage“. Burkart hatte die offensive Strategie stets verteidigt: Die Berater hätten gar keine andere Wahl, als „die Medienmeute zu füttern“, um so die Berichterstattung zumindest lenken zu können. Selbst wenn Kampusch durch ihre Leidensgeschichte Profit schlage, könne man ihr das nicht vorhalten.

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