Soziale Beziehungen entstehen
„Teilen statt besitzen“ wird zunehmend zum Trend. Das bekannteste Konzept ist Carsharing, geteilt werden inzwischen aber auch Couch und Mixer. Als ideales Medium für kollaborativen Konsum hat das Internet das traditionelle Teilen und Tauschen dynamisiert und ansprechende Formen für die digitale Gesellschaft entwickelt. Immer mehr Plattformen verbinden die Nachfrage des einen mit den Angeboten des anderen.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Anklang findet die neue Form des Konsums vor allem bei Menschen, die nicht viel für Status und Besitz übrig haben, aber auf die Verlockungen der Konsumwelt nicht verzichten wollen. So hat sich eine Bewegung entwickelt, die die Brücke zwischen ökologischer und hedonistischer Lebensweise spannt. Nicht der Verzicht steht bei den meisten im Vordergrund, sondern ein ressourcenschonender Umgang mit Konsumgütern.
Digitale Generation vom Modell angetan
Dass vor allem die jüngere Generation von dem Lebensmodell angetan ist, liegt nicht zuletzt daran, dass sie sich nicht an Besitz binden möchte und auch das nötige Geld dafür gar nicht hat. Das entspricht ihrem Wunsch nach einer Kombination aus Mobilität und Flexibilität. Eine finanzielle Bindung an jahrzehntelange Kredite wollen viele vermeiden. Die urbane und technikaffine Generation, die mit digitalem Überfluss aufgewachsen ist, adaptierte für sich die Teil- und Leihkultur. Sie ist quasi prädestiniert dafür.
Hier haben Filesharingplattformen in den 1990er Jahren einiges aufgewirbelt. Wer mit Websites aufwächst, die medialen Content von Filmen bis Musik zum Teil gratis bereitstellen, entwickelt ein anderes Verständnis von Besitz. Die ältere Generation hingegen kann sich mit dem „kollaborativen Lebenskonzept“ nicht so richtig anfreunden. Es scheitert am mangelnden Vertrauen. Einer Studie des Instituts Campbell Mithun zum „Wachstum kollaborativen Konsums“ zufolge geben 67 Prozent der Teilnehmer Vertrauensmangel als größtes Problem bei der Nutzung von Sharingservices an. Eine mögliche Lösung befindet sich im Anlegen von Onlineprofilen, die bei Transaktionen mehr Informationen über eine Person liefern.
Ressourcenschonung und Ökologie
Aber wohin führt der Weg einer gemeinschaftlichen Nutzung von Gegenständen? Ist das Konzept tatsächlich ein ressourcenschonender Lebensstil? Das Sharingmodell kann zum Teil sogar mit höherem Konsum verbunden sein, da das Teilen von Gütern logistisch aufwendiger im Transport sein kann. Hans Holzinger, Nachhaltigkeitsexperte und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg, sieht aber durchaus Chancen für die Entwicklung: „Der Ressourcenverbrauch kann dadurch drastisch, und zwar um fünf bis zehn Prozent, verringert werden.“
„Spannend ist auch der Kontrapunkt zur gegenwärtigen Konsumfixierung, der sich daraus ergibt“, so Holzinger. Jenseits aller ökologischen Überlegungen steht zudem der soziale Gedanke, der Menschen durch Leih- und Tauschkreise aus der sozialen Isolation holen und der Anonymität in der Großstadt entgegenwirken soll. Das „Was mein ist, ist auch dein“-Konzept stärkt durch die Bildung einer Gemeinschaft auch die Nachbarschaft und das Vertrauen der Menschen in andere. Soziale Beziehungen entstehen.
Erfolgreiches Geschäftsmodell Carsharing
Zu den erfolgreichsten Sharingkonzepten zählen bisher jedoch Carsharing und Plattformen zur günstigen Privatzimmervermittlung - hinter beiden Projekten steht ein Geschäftsmodell mit gewaltigen Profiten. Das Carsharingmodell car2go des Automobilherstellers Daimler und des Mietwagenkonzerns Europcar ist in Österreich seit Dezember 2011 vertreten.
Medienberichten zufolge sind die User vom unkomplizierten Autoleihservice begeistert. Ein großes Wachstum ist - zumindest in Wien - aber nicht spürbar. Die ursprüngliche Car2go-Flotte von 500 Smart-Fahrzeugen wird Mitte Februar um nur 100 Stück aufgestockt. „In Wien als einzigem Car2go-Gebiet nutzen rund 37.000 Kunden die Leihautos und haben bisher 850.000 Mieten absolviert“, sagte Car2go-Pressesprecher Andreas Leo gegenüber ORF.at.
Branche wächst: Umsatz steigt um 25 Prozent
Die Website Airbnb, die Angebote von Privatunterkünften als Hotelalternative liefert, schaffte 2009 den Absprung. Inzwischen ist Airbnb Marktführer und stellt einen riesigen Pool an Adressen in über 36.000 Städten weltweit zur Verfügung. Im Gründungsjahr 2009 wurden etwa 100.000 Nächtigungen gebucht. Im Jahr darauf wurde die Seite international bekannt und erreichte 2011 mit zwei Millionen gebuchten Nächtigungen die kritische Masse.
Marktbeobachtern zufolge könnte es Airbnb heuer auf 100 Millionen Übernachtungen bringen. Das hätte laut „Forbes“-Magazin einen Umsatz von etwa einer Milliarde Dollar (etwa 770 Mio. Euro) zur Folge - ein gewaltiger Sprung von den im Jahr 2012 erwirtschafteten 150 Millionen Dollar (etwa 115 Mio. Euro). Den Umsatz der Sharingbranche schätzte „Forbes“ für 2013 auf umgerechnet 2,6 Milliarden Euro - ein Plus von 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In der Gesamtwirtschaft nimmt die Ökonomie des Teilens zwar noch einen kleinen Teil ein, sie hat sich aber zu einem ernstzunehmenden Geschäftszweig entwickelt.
„Kleine Gegenstände sind zu billig“
„Auch Couchsurfing ist deshalb so erfolgreich, weil man damit eine wesentlich kostengünstigere Übernachtung als in einem Hotel erhält“, erklärt der Salzburger Nachhaltigkeitsexperte Holzinger. Nicht nur kostengünstig, sondern kostenlos sind die Sofas, Betten und Zimmer, die man etwa auf der Website Couchsurfing.org findet. Nur flexibel muss man sein. Und das ist die jüngere Generation, die laut Holzinger „heute mehr Bildung genießt, dafür unter Jobmangel leidet“. Ökonomische Überlegungen spielen ihm zufolge bei der Suche nach einem alternativen Lebens- und Konsumkonzept also eine große Rolle.
Welches Potenzial haben nun kleine Sharingwebsites als Lebensentwurf, um große Konsumveränderungen in der Gesellschaft zu bewirken? „Kleine Gegenstände wie Bohrmaschine und Mixer sind einfach zu billig. Diese Sharingkonzepte werden sich langfristig nicht durchsetzen“, vermutet Holzinger. Das Geld steht also trotz aller ökologischen Ansprüche im Vordergrund - ob man es nun verdient oder spart.
Foodsharing gegen Wegwerfgesellschaft
Über das Netz werden aber nicht nur Kleidung und Gebrauchsgegenstände des täglichen Bedarfs angeboten. Auch ein Entwurf, der sich gegen die Wegwerfgesellschaft und die Verschwendung von Lebensmittel wendet, hat es auf den Markt der Smartphone-Apps geschafft. Auf der Website Foodsharing.de (derzeit nur in Deutschland) können User überflüssige Lebensmittel und Einkäufe einstellen. Mit einem Klick können diese gesichert und anschließend abgeholt werden. Die App bietet neben einer Fahrradroute zur Abholadresse auch die Möglichkeit, sich mit anderen zum gemeinsamen „Reste“-Kochen zu treffen.
Immer wieder heißt es, dass der Konsum der Bevölkerung an seine Grenzen gestoßen ist. Wenn das Vertrauen der Konsumenten in Regierungen erstarrt, wächst das Vertrauen unter den Menschen. Dass die „Shareconomy“ gerade in diesen Jahren erblüht, mag also keine Überraschung sein. Das „gelebte Teilen“ zielt unter anderem darauf ab, die Lebensqualität zu erhöhen.
Gemeinschaftsgärten haben Erlebnischarakter
Ein alter Hase in der Teilkultur sind Gemeinschaftsgärten. Ihren Ursprung haben sie im New York der 1970er Jahre und erfreuen sich seit Jahren auch in Österreich großer Beliebtheit. Mit den Zielen, Begrünungsprojekte, soziale Handlungsorte und politische Partizipation zu ermöglichen, entstanden in den vergangenen Jahren die ersten Gemeinschaftsgärten in Österreich. Neben einem Bezug zur Natur - speziell in urbanen Gebieten - haben Gemeinschaftsgärten auch einen Erlebnischarakter für die jüngere Generation.
Ein anderes Nachbarschaftskonzept ist beispielsweise der öffentliche Bücherschrank in Wien, aus denen sich jeder ein Buch herausnehmen kann und idealerweise dafür ein anderes hineinlegt. Das Projekt versteht sich als Leseinitiative, soll aber auch die Nachbarschaft stärken, indem sich ein dynamischer Kreislauf aus Geben und Nehmen entwickelt. Einem ähnlichen Auftrag hat sich die 2001 in den USA gegründete Onlineplattform Bookcrossing verschrieben. Betagte und bereits gelesene Bücher sollen vor dem Schicksal des Verstaubens im Kellerregal bewahrt werden und neue Leser erfreuen.
Ideen, die die Welt verändern
Der innovative Charakter von kollaborativem Konsum wird auch durch die App Whyownit ersichtlich - nicht zuletzt, weil es das Mobilitätsbedürfnis der jungen Konsumenten befriedigt. „Warum es besitzen?“, fragte sich Philip Gloeckler und machte sich an die Entwicklung einer entsprechenden App. Whyownit ermöglicht es Nutzern, Gegenstände für den Alltagsgebrauch je nach Bedarf mit Freunden aus dem digitalen Umfeld zu teilen. Die Devise lautet: „Nicht alles besitzen müssen und doch dem Konsum frönen“. Die iOS-App ist ein Vorreiter im deutschsprachigen Raum. An einer Android-Anwendung wird laut eigenen Angaben derzeit gearbeitet.
Im Jahr 2011 zählte die „Times” das Konzept von Sharingplattformen zu den „Top Zehn Ideen, die die Zukunft verändern“. Nachhaltigkeitsforscher Holzinger relativiert den um sich greifenden Trend: „Es ist eine spannende Entwicklung, sie wird aber nicht die Welt retten. Dafür braucht es politische Reglementierungen, eine tiefgreifende Ressourcen- und Steuerpolitik“.
Eva Zelechowski, ORF.at
Links: