Themenüberblick

Erlebnis Arbeit

„Das hab’ ich bei der BBC gesehen.“ Im Nachrichtengeschäft gibt es Sätze, die in Debatten automatisch Geltungskraft haben sollen. Nicht nur beim Nachrichtenmachen, auch beim Thema Großraumbüro scheinen die Briten erfahren zu sein. Zuletzt ist die BBC auch tonangebend unter allen Medien, die über das Arbeiten im großen Raum lästern. Im Deutschland der 80er hatte die „Bild“ so etwas wie die Meinungsführerschaft zu diesem Thema.

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Das Übel, es sitze im „Open Plan Office“ (so der englische Fachausdruck), suggerierte jüngst der Titel eines Features auf der Website der BBC. Ein Radiokollege belegte mit einigen Tonbeispielen, warum sich das Arbeiten in großen Strukturen so anfühle, als würden einen Klingeltöne, Mailnotifications und andere „Nebengeräusche“ des Arbeitens in den Wahnsinn treiben.

Daily Telegraph Büro

Corbis/Arcaid/English Heritage/H Bedford Lemere

In manchen Arbeitsbereichen gab es auch in Medienbetrieben von Anfang an nur den großen Raum: So setzte man Anfang des 20. Jahrhunderts eine Zeitung, hier den „Daily Telegraph“

Neue Räume, neue Konzepte

„Das Großraumbüro ist Gegenstand zahlreicher Dispute, und mancher fragt sich, wie es dazu kommen konnte.“ Diese Frage stellt ein Unternehmen, das eigentlich die Antwort wissen muss: Es ist die Firma Quickborner Team aus Hamburg, das seit Mitte der 1960er Jahre für zahlreiche Konzerne und öffentliche Auftraggeber Büroszenarien entworfen hat - „im Dialog“, wie es heißt.

Plan eines Großraumbüros

Public Domain

Büroorganisation über „Cubicles“: Der Arbeitssaal des 19. Jahrhunderts hielt sich weit ins 20. Jahrhundert hinein

„Der Bürosaal aus dem 19. Jahrhundert“ sei die „Mutter des Großraumbüros“, analysiert Quickborner Team. Tatsächlich ist es aber die Verbindung von Großraumbüroplanung und Unternehmensberatung, maßgeblich mitetabliert durch Quickborner Team, die das Großraumbüro bei Firmenmitarbeitern unter Verdacht brachte und bringt.

Faktor: Kosten

„Einer der Gründe, warum das Großraumbüro eingeführt wurde, ist natürlich der Kostenfaktor“, erinnert Franklin Becker, Leiter des International Workplace Studies Program an der Cornell University. Sein Institut untersucht seit über 15 Jahren, wie und unter welchen ökonomischen Bedingungen Unternehmen ihre Arbeit strukturieren. Maßgebliche Studien wie „Offices That Work“, erschienen 2001, stammen von Becker.

Mit „Cubicles“ und offenen Arbeitsplatzstrukturen könne man zunächst mehr Leute auf geringerem Raum unterbringen als in herkömmlichen Büros mit einer kleinteiligen Arbeitsraumstruktur, so Becker: „Zunächst ging es nicht um bessere Kommunikation, Flexibilität oder mehr Kreativität, wenn man Leute in einem großen Raum zusammensetzte, es ging um den Raumbedarf pro Person.“

Hauptsitz der Firma S.C. Johnson & Son

cc by-sa: Jeff Dean

Landmark beim Thema Großraum: Frank Llyod Wrights Johnson Wax Headquarters (heute: Johnson & Johnson), Racine, Wisconsin, 30er Jahre

Unsichtbare Zellen

„Stellen Sie sich vor, man setzt Sie in einen zwei mal zwei Meter großen Raum - Sie würden sich wohl eingekerkert fühlen in einer klassischen Raumstruktur“, illustrierte Becker gegenüber der BBC geänderte Raumerfahrung in der unsichtbaren Weite des großen Raumes. Bei einer großen Zahl an Mitarbeitern könne man den Quadratmeterbedarf enorm senken, so Becker: „Open Plan ist irgendwie die Norm geworden.“

BBC-Büro 1932

Corbis/BBC

So sah einmal bei der BBC das „Department for Innovation“ aus. Für das Nachdenken bevorzugte man den großen Raum statt Bürozellen. Platz zu sparen war noch nicht so wichtig.

Hohe Immopreise, kleiner Arbeitsraum

In Zonen, wo Immobilienpreise in die Höhe geschossen seien, habe man nun einmal die Effizienz des Arbeitsraumes besonders ins Auge gefasst, findet auch die am Londoner University College tätige Architektin und Arbeitsumweltberaterin Alexis Marmot. Wie so viele in der Branche verbindet sie Grundsatzrecherche zum Thema Arbeitsumgebung mit konkreter Beratertätigkeit über eine private Firma.

Corbis/Anthony West

Fassade der BBC

In Zeiten steigender Immobilienpreise kommt der Büroraum zwangsläufig unter Reorganisationsdruck

Marmot verweist auf einen Effizienzvorteil offener Arbeitsbereiche: In geschlossenen Büros wirft der innerbetriebliche Aufstieg eines Mitarbeiters mit der Rang- eine Raumfrage auf. Im Großraumbüro ließen sich solche Prozesse deutlich eleganter lösen.

Abschied von einem Begriff

Bei Quickborner Team hört man den Terminus Großraumbüro nicht mehr so gerne. Grund: die negative Aufladung des Begriffs, vor allem die „Idelogiedebatte“ über das Großraumbüro in den 1980er Jahren, in Deutschland maßgeblich unter der „Bild“-Zeitung geführt.

JCB-Büro

Corbis/David Reed

„Großraumbüro“ war früher: Ein Blick in die 70er Jahre, hier die Londoner Zentrale von JCB

Bei Planern spricht man mittlerweile lieber von Bürolandschaften. Diese hätten sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert, sagen die Hamburger Experten. Das Arbeiten im großen Raum in den 60er und 70er Jahren sei ein anderes als in der Gegenwart, erinnert man in zahlreichen Unterlagen und Verweisen auf die bekannten Auftraggeber aus der Unternehmensbranche.

Für die 60er und 70er Jahr seien etwa folgende Merkmale prägend gewesen: Großabteilungen mit vorwiegend Routineaufgaben, einfache Grundrisse, Stellwände, Pflanzenschmuck und Schallschluckdecken als Gestaltungselemente und ein Pausenraum als informeller Treffpunkt. Möglich, dass sich bei dieser Beschreibung mancher Büromitarbeiter denkt: Das wurde doch eben erst in unserem „neuen“ Großraumbüro eingeführt.

„Bürolandschaft der dritten Generation“

Im Moment gälten die Gesetze einer „Bürolandschaft der dritten Generation“, die sich ab den 1990er Jahren durchgesetzt habe. Die „Kommunikationsqualität“ sei das entscheidende Gestaltungsmerkmal. Das Büro sei eine Ideenwerkstatt und Kommunikationszentrale. Prägend sei auch das „reversible“ Büro, also eines, das sich mit neuen Anforderungen verändern könne.

Stadtwerke Karlsruhe, 1975-77 (Mobiliarordnung)

Quickborner Team

Beispiel Stadtwerke Karlsruhe (1974), Teil 1: Büroorganisation im 3-D-Modell

Organisationen seien heute mit einem nie da gewesenen Druck konfrontiert, sich rasch auf neue Herausforderungen in ihren Geschäftsfeldern umzustellen, schrieben Becker und William Sims bereits 2001 in einem Paper der Cornell-Universität: „Agilität war dabei mehr eine Frage des Überlebens denn eine eigenständige Entscheidung.“ Der Kostendruck sei größer geworden. Zudem habe sich die Einstellung der Mitarbeiter zur Arbeitswelt verändert. All das stelle Herausforderungen dar, eine neue Arbeits- und Bürowelt zu entwerfen.

Stadtwerke Karlsruhe, 1975 -77

Quickborner Team

Beispiel Stadtwerke Karlsruhe (1974), Teil 2: Umsetzung der Planung in der Realität

Viele Ansprüche, ein Arbeitsplatz

Dass Mitarbeiter heute einen deutlich ausgeprägteren Anspruch hinsichtlich ihrer „Work-Life-Balance“ formulieren, reflektieren auch die Quickborner-Überlegungen: Auf der einen Seite müssten Organisationsänderungen rascher und preisgünstiger verwirklicht werden. Auf der anderen Seite stehe bei den Mitarbeitern der Anspruch an eine ausgeglichenere „Work-Life-Balance“.

„Modernen Büroarbeitern geht es neben angemessenem Gehalt und Aufstiegschancen zunehmend um eine ausgeglichene Work-Life/Privat-Life-Integration“, hält Quickborner-Chef Matthias Petzecker den „Standpunkt des Organisationsberaters“ fest: Aus Facharbeitern würden flexible Prozess- und Projektteams - „Besprechungen finden nicht mehr formell in Besprechungsräumen statt, sondern informell und spontan in Meeting-Points, Klausurräumen und Teeküchen“.

Der Soziologe Niklas Luhmann

APA/dpa/Universitaet Bielefeld

Wo es menschelt, steckt ein System: Niklas Luhmann und die Verbielefeldisierung des soziologischen Vokabulars - wirksam ab Ende der 80er Jahre

So ganzheitlich wie bei Luhmann

Von einem „ganzheitlichen Zugang“ in der Büroumstrukturierung ist in den Konzepten der Büroorganisatoren die Rede, und ein bisschen wirkt es so, als hätten die Masterminds der Unternehmens- und Büroberatung ihre Studienzeit im selben Niklas-Luhmann-Seminar verbracht. Es wimmelt in allen Papieren nur so von systemtheoretischen Phrasen, angereichert um das Vokabular, das man aus der systemischen Strukturarbeit und unterschiedlichen Change-Management-Curricula kennt. Ein Wust von externen und internen Bedürfnissen werde der Bürolandschaft der Gegenwart abverlangt, konstatieren nicht zuletzt auch Becker und Sims.

Das Bloomberg-Modell: Der Chef als Hahn im Korb

Transparentes Arbeiten ist nicht nur eine Frage der räumlichen Architektur. Bei dem Medienunternehmen Bloomberg in New York ist man stolz darauf, dass jeder Mitarbeiter sofort sehen könne, woran ein anderer Mitarbeiter gerade arbeite. Informeller Treffpunkt ist eine große Cafeteria mit großem Gratisangebot an Snacks und Getränken; wer das Gebäude verlässt, fällt im gläsernen Bürosystem auf.

Bevor Michael Bloomberg sein Amt als Bürgermeister von New York antrat, sprach er als Erstes von einer neuen, offenen Form der Büroorganisation. Der Bürgermeister müsse in der Mitte sitzen, lautete das Motto Bloombergs. Alle Fachressortchefs und deren Stäbe sollen sich um das Epizentrum der Macht gruppieren. Die Gesichter im Büro Bloombergs porträtierte die „New York Times “ im Jahr 2010 unter dem Titel „Open City“.

Großraumbüro der BBC

BBC

Gemeinsames Arbeiten bei der BBC in London: In den Zwischenräumen stehen Sitzgruppen für die Kurzbesprechung

Zurück im Scriptorium?

„Heute hier, morgen da“ lautet das Arbeitsmotto wiederum in der umgestalteten Zentrale von Vodafone Deutschland in Düsseldorf: Freie Arbeitsplätze statt fixer eigener Schreibtische sind Konzept. Das Arbeiten erinnert, was die Büroorganisation anlangt, schon mehr an den Besuch einer moderne Unibibliothek, in der es unterschiedliche Arbeitstische und -zellen gibt. Möglicherweise bewegt sich das moderne Arbeiten im großen Raum überhaupt mehr in die mittelalterliche Schreibstube zurück, wo man ja nach übereinstimmender Meinung das erste Mal das Modell des gemeinsamen Arbeitens im Sitzen erprobte.

„Die Kollegin war in Pilates“

Das Großraumbüro produziert in jedem Fall viel Energie, vor allem soziale Energie. Dass es bald so viele Sozial-Knigges zum Arbeiten im gemeinsamen Raum gibt wie Theoriewerke, kann nicht verwundern.

Büro von John Mcaslan & Partners  London 2009

Corbis/VIEW/Hufton + Crow

Großzügigiger Großraum: Der „Entspannungsbereich“ im Büro von John Mcaslan & Partners, London 2009

Jüngst versuchte der eben erst an einen neuen Großraumstandort umgezogene Wiener „Standard“ eine Gegenüberstellung einer Pro- und Kontra-Stimme zum Großraumbüro. Die Pro-Stimme las sich dabei so: „Im Großraumbüro arbeiten ist wie leben in der WG. Man nimmt Anteil am Alltag der anderen. Schön ist das. Ein Kollege erstickt beinahe an einem Brösel, ein anderer stolpert schimpfend über die Designermistkübel (...), und die Kollegin, die morgens ‚in Pilates‘ war, erzählt allen Interessierten, dass ihr schlecht ist.“

Bürolampe

inamariemohl.com

„Denk mal“ - keine Selbstverständlichkeit im großen Raum des Büros: Vorschlag der schwedischen Designerin Ina Marie Mohl

Für die ganz Verzweifelten am Sozialtalk hat die schwedische Designerin Ina Marie Mohl eine Lösung gefunden: „Denk Mal“ heißt eine besondere Form von Lampenschirm, die nicht als Lampe, sondern als soziales und akustisches Abschottungsinstrument dient. Der hier proklamierte „Raum im Raum“ kann via Seilzug vom Plafond heruntergelassen werden. In Mohls Vorschlag steckt vielleicht eine Grunderkenntnis, die alle, die in großen Räumen gemeinschaftlich arbeiten, gemacht haben: Manchmal hilft gegen zu viel Mit-Menschlichkeit nur eine unsichtbare Käseglocke.

Gerald Heidegger, ORF.at

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