Gedämpfte Freude für „Barfußläufer“
Die ersten warmen Tage locken die Massen hinaus an die frische Luft. Nach dem langen Winter lechzt der Körper nach Bewegung, und das eine oder andere Kilo sollte möglichst auch laufend oder walkend zum Verschwinden gebracht werden. Doch Sportmediziner warnen vor allzu viel Euphorie - denn auch beim Laufen ist weniger manchmal mehr.
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„Wer den Winter über nichts gemacht hat, der sollte die Laufsaison locker angehen“, rät Robert Fritz, Sportarzt und Leiter der Leistungsdiagnostik der Wiener Sportordination. Am Anfang reichen laut Fritz 20 bis 30 Minuten - dafür sollte man aber drei- bis viermal die Woche den inneren Schweinehund besiegen und die Laufschuhe anziehen. Längere Laufrunden - also 70 bis 90 Minuten am Stück - können Anfänger auch mit Nordic-Walking-Stöcken machen, so Fritz gegenüber ORF.at. „Und auf den eigenen Körper hören. Wenn man Muskelkater hat, dann war es zu viel.“
Wie schnell ist schnell genug?
Von Weisheiten wie „Laufen ohne Schnaufen“ hält der Laufexperte wenig. „Mit Formeln ist es wirklich sehr schwierig“, erklärt Fritz, „da jeder Mensch sehr individuell reagiert.“ Vor allem die landläufige Angabe zur maximalen Herzfrequenz - 220 minus Lebensalter - macht laut Fritz wenig Sinn. Die lässt sich bei gesunden Personen am besten dadurch bestimmen, dass man mit Pulsgurt ausgestattet „läuft, was geht“. Mit diesem Wert und dem Ruhepuls (Herzfrequenz gleich nach dem Aufwachen) kann mittels der Karvonen-Formel relativ einfach der optimale Trainingsbereich errechnet werden.
Karvonen-Formel
(Maximale Herzfrequenz, HFmax - Ruhepuls) x Trainingsfaktor + Ruhepuls = optimale Trainingsherzfrequenz. Beispiel: HFmax beträgt 187, Ruhepuls 80, der Trainingsfaktor ist für Untrainierte 0,5. Für mäßiges Ausdauertraining 0,6 und für intensives Training 0,8. (187 - 80) x 0,5 + 80 = 133. Untrainierte sollten daher mit einer HF von 133 laufen.
Noch genauer geht es mittels Laktattest. „Der hat nichts mit Hochleistungssport zu tun, sondern ist im Gegenteil perfekt für Anfänger geeignet, die nicht wissen, wie man loslegen soll“, beruhigt Fritz. „Wie schnell soll ich laufen, wann überlaste ich mich, wann tue ich zu wenig - das kann man über einen Belastungstest am Laufband unter medizinischer Aufsicht herausfinden“, erklärt Fritz. Gemeinsam mit dem Sportarzt wird dann ein Trainingsplan ausgearbeitet, um die jeweiligen Ziele bestmöglich erreichen zu können. Der Kostenpunkt liegt hier bei rund 200 Euro.
Wer abseits von Trainingsplänen und Wettkämpfen einfach nur joggen will, der sollte vor allem auf gutes Schuhwerk achten, rät Fritz. Dabei sei die Marke egal, „er sollte nur zum Fuß passen“. Bei der Bekleidung ist eigentlich alles erlaubt, was gefällt. „In der idealen Kleidung sollte man sich beim Weglaufen noch kühl fühlen, sonst ist man zu dick eingepackt.“ Notfalls helfen Haube und dünne Handschuhe, wenn es bei der morgendlichen Laufrunde noch frisch ist. Frei nach dem Motto: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung.

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Laufen wie barfuß - Minimalvarianten überschwemmen den Markt
Wie gesund ist Natural Running ?
Etwas kritischer sieht der Sportarzt den Trend zum Natural Running, auch „Barfußlaufen“ genannt. Fast jede Sportschuhmarke bietet dafür mittlerweile typgerechte - weil ungedämpfte - Schuhe an. Dahinter steckt die Idee, dass der Fuß beim Landen nicht auf der Ferse sondern am Mittelfuß aufgesetzt wird und so das Fußbett den Aufprall gut abfedert - das erfordert jedoch eine eigene Technik und birgt für ungeübte Läufer eine erhebliche Verletzungsgefahr. Laut Fritz sollten nur geübte Sportler, die drei- bis viermal in der Woche laufen, Natural-Running-Schuhe in ihr Training einbauen.
„Das fordert den Fuß und fördert den Muskelaufbau besonders der kleinen Muskeln im Fuß“, erklärt Fritz. Aber man werde relativ rasch feststellen, dass „mir nachher alles wehtut“. Um sich an die Schuhe zu gewöhnen, sollte man sie zunächst im Alltag anziehen, bevor man damit läuft, so Fritz, und gerade am Anfang „bitte nicht zu lange damit laufen“. Vor allem Personen mit viel Gewicht können ihren Bewegungsapparat rasch überbeanspruchen und schwere Verletzungen bis hin zu einem Ermüdungsbruch riskieren.
Studie warnt vor Knochenschäden
Der Trend entstand Anfang der 2000er Jahre in den USA und hat sich - auch dank tatkräftiger Unterstützung der Sportindustrie - rasch nach Europa ausgebreitet. Über die Jahre wurden die Modelle immer extremer und gipfelten im FiveFingers-Schuh von Vibram - einem Handschuh für Füße mit hauchdünner Sohle. Doch der Trend vom „natürlichen Laufen“ birgt auch Gefahren. Im Februar wurde eine erste Studie zum Minimal Running - zum Laufen mit Schuhen ohne Dämpfung - von der Brigham Young University im US-Bundesstaat Utah im Magazin „Medicine & Science in Sports & Exercise“ veröffentlicht.
Studienautorin Sarah Ridge teilte dafür 36 erfahrener Läufer in zwei Gruppen: Die eine lief ihr Trainingspensum weiter mit den herkömmlichen Schuhen, die andere baute den Vibram-FiveFingers-Natural-Running-Schuh ins Training ein. In der ersten Woche wurde nur eine Meile (1,6 km) damit gelaufen, in der zweiten dann zwei, in der dritten drei und später so lange, wie die Teilnehmer wollten.
Laufen wie barfuß
Der Sportaritkelriese Nike gehört zu den Wegbereitern des Natural Running. 2004 kam der Nike Free auf den Markt - ein Schuh, der wegen seines bunten Erscheinungsbildes zunächst aber eher die Clubs als die Laufstrecken eroberte. Heute hat jeder Sportschuhanbieter eine dieser Minimalvarianten im Angebot.
Nach zehn Wochen wurden alle Läufer einer genauen Magnetresonanztomographie (MRT) unterzogen. Keiner der Sportler hatte Verletzungen oder Veränderungen an den Sehnen oder Bändern. Doch jeder zweite der Natural-Running-Gruppe zeigte erste Anzeichen für Knochenverletzungen an den Füßen. Zwei hatten sogar Ermüdungsbrüche an der Ferse und am Mittelfußknochen. Nicht erklären kann die Studie jedoch, warum nicht alle Läufer der „Barfuß“-Gruppe Verletzungen zeigten.
„Einige Läufer scheinen durch ihre Biomechanik oder andere Faktoren besonders gefährdet zu sein“, wird Ridge in der „New York Times“ zitiert. Da die andere Hälfte der Teilnehmer gar keine Beschwerden hatte, will Ridge nicht generell vor dem Natural Running abraten. „Aber ich würde jedem raten, gerade in der Umstellungsphase sehr vorsichtig zu sein“.
Auch Spaß muss sein
Auch wenn nicht jeder Trend hält, was er verspricht, die gesundheitlichen Vorteile von regelmäßigem Laufen wurden durch zahlreiche Studien eindeutig belegt. Aber noch etwas hat sich gezeigt: Laufen hat nur einen positiven Effekt, wenn Spaß dabei ist. Wer sich zum Laufen zwingen muss, sollte sich vielleicht nach einer anderen Sportart umsehen. Spaß bringt auch gemeinsames Laufen. Für Frauen bietet zum Beispiel der Österreichische Frauenlauf unter dem Motto „Fit in zwölf Wochen“ im ganzen Land einmal wöchentlich kostenlose Lauftreffs.
Dass der Laufboom ungebrochen ist, zeigen jedes Jahr die neuen Teilnehmerrekorde bei Laufveranstaltungen wie dem Wiener City Marathon, für den heuer am 14. April der Startschuss fällt. Wer auf den Geschmack gekommen ist und auch die 42 km in Angriff nehmen will, sollte aber genügend Vorlaufzeit einplanen. Sechs Monate Training sind für einen Marathon vernünftig, so Fritz. Wer den Winter über regelmäßig trainiert, kann auch in acht bis zehn Wochen fit für den Marathon werden, so Fritz. Wenn nicht der späte Saisonstart einen Strich durch die Rechnung macht.
Gabi Greiner, ORF.at
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