Themenüberblick

Bruderzwist und Bruderliebe

Ludwig Emil Grimm ging als bildender Künstler und Begründer der Willingshäuser Malerkolonie in die Kunstgeschichte ein. An Prominenz übertrafen ihn zwar seine „Märchenbrüder“ Jacob und Wilhelm, in ihrem Schatten stand er deshalb aber nicht. Und die beiden schoben mit ihren Kontakten auch die Karriere des kleinen Bruders an.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Gemälde von Ludwig Emil Grimm zweigt seine Brüder Jacob und Wilhelm

Public Domain

Jacob und Wilhelm Grimm (Ludwig Emil Grimm, 1843)

Am 4. April jährt sich der Todestag des „Malerbruders“ zum 150. Mal. Ausgerechnet in dem Jahr, in dem auch das Jubiläum der „Kinder- und Hausmärchen“ seiner großen Brüder gefeiert wird. Dabei wird nicht nur an die vor 200 Jahren erschienene Erstausgabe erinnert, sondern auch an den Todestag von Jacob, der ebenfalls 1863 starb - am 20. September. Wie auch immer: Das Grimm-Jahr ist auch das Jahr des Ludwig Emil Grimm.

Geboren wurde er als jüngstes von fünf Kindern am 14. März 1790 in Hanau. Schon in der Schule zeichnete er lieber, als im Unterricht aufzupassen - und er liebte die Natur, besonders den Wald. Als Jugendlicher studierte Grimm an der Akademie in Kassel bei verschiedenen Professoren und erhielt zusätzlich noch Privatunterricht - aber nichts davon befriedigte ihn wirklich. Also ging er nach München zum Kupferstecher Carl Ernst Christoph Hess. Er bewies beim Zeichnen, Radieren und Kopieren Talent.

Ausdrucksstarke Porträts

Schon früh stellte sich seine Begabung für die Porträtzeichnung heraus. Zeitlebens sollte er immer wieder ausdrucksstarke Gesichter zeichnen, die seinen eigenständigen, dunklen Stil bewiesen. Auch wenn er sich von seinen älteren „Gebrüdern“ in aller Freundschaft distanzierte, um nicht ständig mit ihnen verglichen zu werden, waren es vor allem sie, die ihm entsprechende Kontakte und Aufträge vermittelten.

Gemälde "Dorothea Viehmann"

Public Domain

Dorothea Viehmann (Ludwig Emil Grimm, 1815)

So kam er dazu, prominente Persönlichkeiten der damaligen Zeit zu malen, etwa den Dichter Heinrich Heine, den Geigenvirtuosen Niccolo Paganini - und natürlich seine Brüder. Am berühmtesten jedoch dürften bis heute seine Darstellungen für deren Märchenbücher sein. So bildete er etwa Dorothea Viehmann ab - jene Frau, die Jacob und Wilhelm die meisten der Hausmärchen erzählt hatte. Ihr Bildnis zierte bereits die erste Ausgabe im Jahr 1819. Auch zu den Geschichten selbst lieferte er Illustrationen, etwa zu „Brüderchen und Schwesterchen“.

Gemälde von Ludwig Emil Grimm

Public Domain

Erster Band der zweiten Ausgabe der „Kinder- und Hausmärchen“, Illustration zu „Brüderchen und Schwesterchen“ (Ludwig Emil Grimm, 1819)

Gelassen gegenüber „Gebrüdern“

In der zentralen Ausstellung zum Grimm-Jahr 2013, „Expedition Grimm“ in Kassel, sind auch Werke von Ludwig Emil zu sehen. Sie dokumentieren nach Angaben der Ausstellungsmacher unter anderem die Lebensverhältnisse der Familie. Zu sehen sind auch seine Titelbilder zur sogenannten Großen Ausgabe der „Kinder- und Hausmärchen“ (1819/1822). Zur Kleinen Ausgabe (ab 1825), mit denen die Märchen erst populär wurden, trug er ebenfalls Illustrationen bei - allerdings nicht ohne dass Wilhelm diese zuvor ausgiebig kritisiert hatte.

Im Gespräch mit der deutschen Nachrichtenagentur dpa sagt die Kunsthistorikerin Vera Leuschner, dass die Geschwister trotz aller Distanzierung und des gegenseitigen Neckens dank Ludwig Emils Toleranz und Gelassenheit gut miteinander auskamen. Das werde an den aufgeschriebenen Lebenserinnerungen des Malers deutlich. Leuschner hat das grundlegende Werkverzeichnis und weitere Bücher über den „Malerbruder“ mitveröffentlicht.

Mehr als Stars und Märchen

Es sind also Abbildungen von Stars und Märchenillustrationen, die man heute noch von Grimm kennt. Dabei sind es ganz andere Werke, die seine kunsthistorische Bedeutung ausmachen. Denn seine jugendliche Begeisterung für die Natur führte ihn bereits sehr früh zur Bild- und Gedankenwelt der Romantik. Nachdem er von 1814 bis 1816 in den Befreiungskriegen gegen Napoleon gekämpft hatte, stellte er in seiner Kunst vor allem Landschaften und Tiere dar.

Gemälde von Ludwig Emil Grimm "Die alte Zigeunerin Lore aus Ungedanken liest einem Mädchen aus der Hand"

Public Domain

„Die alte Zigeunerin Lore aus Ungedanken liest einem Mädchen aus der Hand. Im Hintergrund zwei weitere Mädchen“ (Ludwig Emil Grimm, 1826)

Gemeinsam mit Gerhardt Wilhelm von Reutern gründete Grimm 1825 die bis heute existierende Malerkolonie Willingshausen. Für sie standen die Landschaftsdarstellung und die Abbildung von Menschen aus dem Volk im Vordergrund. Beides war in der Malerei Deutschlands damals keine Selbstverständlichkeit und unüblich. Ähnlich der romantischen Literatur ist die Geschichtsschreibung auch in der Malerei uneins, ob man im Nachhinein pauschal das Nationalismusurteil über die Romantik aussprechen darf.

Eine Gegenthese lautet, dass die Darstellung von Land und Leuten in Text und Bild emanzipatorisches Potenzial hatte, weil sie weniger konzentriert auf kirchliche Motive und Herrschaftsmalerei war. Verkürzt gesagt: Dort, wo die oft korrupte Macht nicht zu Hause war, suchten die Romantiker das Gute, also in der Natur und im einfachen Leben. In Willingshausen spezialisierte man sich vor allem auf das Abbilden von Menschen in Trachten.

Gemälde von Ludwig Emil Grimm

Public Domain

„Schlafender Hirtenjunge“ (Ludwig Emil Grimm, 1812)

Kunst bis ins hohe Alter

Grimm heiratete 1832 die 13 Jahre jüngere Marie Böttner, mit der er eine Tochter hatte. Ab 1832 war er auch Professor an der Kasseler Kunstakademie. Grimms Frau verstarb 1842, zwei Jahre später heiratete er Friederike Ernst. Am 4. April 1863 erlag der Maler im Alter von 73 Jahren einer Lungenentzündung. Er hatte sich bis ins hohe Alter seiner künstlerischen Arbeit gewidmet.

Links: