Wenn Teenager träumen
Jede Generation hat ihre Teeniestars. Vor ein paar Jahren waren es die deutschen Tokio Hotel, die derzeitige bekam Justin Bieber. Die Ein-Bub-Boyband gastierte am Samstag vor rund 15.000 Besuchern in der Wiener Stadthalle und machte seinem Ruf alle Ehre. Vor allem vor seinem Konzert herrschte Ausnahmezustand. Vorfreude ist doch die schönste Freude: Der Auftritt selbst war vergleichsweise harmlos.
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Biebers Musik ist freilich Nebensache: flacher Pop mit R&B-Elementen, da eine Ballade, dort ein Hip-Hop-Einsprengsel. Es wäre in der Musikgeschichte auch etwas völlig Neues, wenn ausgerechnet Teeniestars mit Innovationen punkten würden.
Seine bisher drei Platten (dazu kamen einige Remix- und Acoustic-Alben) landeten zwar alle an der Spitze der Charts, ein richtiger Nummer-eins-Hit fehlt aber: Nur in Frankreich („Baby“) und Kanada („Boyfriend“) schaffte er es. In Österreich war Rang 27 bisher das höchste der Gefühle.
Stimmung gut, Stimme weniger
Live schiebt die eine oder andere Nummer vielleicht eine Spur mehr an als auf Platte, insgesamt erwies sich aber alles als sehr dünne Suppe, aus mehreren Gründen. Tatsächlich sind die Songs abgesehen von ein paar Ausnahmen, bei denen zumindest der Refrain funktioniert, schlicht langweilig. Egal, weil das Publikum eh damit beschäftigt ist, Handyfotos zu machen.

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Die Musiker werkten brav im ersten Stock der zweistöckigen Bühne
Zeitweise sorgt der mitgebrachte MC mit „Jump, Jump“-Aufforderungen für mehr Bewegung im Saal als Bieber. Dessen Stimme wirkte recht kraftlos, beschränkt und im Zweifelsfall auch ziemlich nervig. Zeitweise war nicht zu hören, ob er eigentlich singt oder nur die Background-Angestellten. Immerhin durfte er zeigen, dass er ein bisschen Klavier, Gitarre und Schlagzeug spielen kann. Und schließlich trug auch der im Hall verpuffende Sound dazu bei, dass erst bei den letzten paar Nummern der Funke wirklich übersprang. Ganz super toll fanden es natürlich die Fans trotzdem.
Liebe ohne Leiden
Dass es um etwas völlig anderes geht, zeigt Benjamin Lasnier, der als „dänischer Justin Bieber“ gefeiert wird. Der 13-Jährige postet seit rund einem Jahr auf Instagram Fotos von sich selbst und hält mittlerweile bei über 800.000 Followern dort, sein Hund bei 46.000. Eine große Plattenfirma gab ihm sicherheitshalber einen Vertrag, obwohl ihn bisher wahrscheinlich nur sein Hund singen gehört hat.

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Mit Flügerln schwebte Bieber auf die Bühne. Seit MC Hammer hat sich übrigens niemand in der Popwelt getraut, Hosen mit soviel Freiheit im Schritt zu tragen.
Da wie dort: „Süß“ auszusehen gewinnt. Es sind Versprechungen fürs Leben, die große Liebe und die großen Gefühle. Von ewiger Treue singt Bieber, das ist es, wovon Teenager offenbar träumen. Bieber ist der Posterboy der romantischen Projektionen, und im Vergleich zu seinen Teeniestar-Vorgängern wirkt er viel näher am Leben der Fans. Bieber verdankt seine Karriere dem Web: Per YouTube wurde er entdeckt, per Twitter scheint er für alle nah und erreichbar.
Viel Herz, ein bisschen Anzüglichkeit
Mit mittlerweile 19 Jahren und dem einen oder anderen Skandälchen ist das Image mit der reinen Romantik zwar ein bisschen angekratzt, aber immerhin, er greift sich bei den Tanzszenen in Wien öfter ans Herz als in den Schritt. Das Kreischen der Fans ist freilich dann am lautesten, wenn Bieber Haut zeigt. Dass er dann unschuldig und überrascht in die Bühnenkameras schaut, ist ebenso durchschaubar gekünstelt wie jeder einstudierte Tanzschritt.
Bieber hat jedenfalls eines geschafft: Bei Teenagern herrscht Deklarierungszwang. Keine Meinung zu ihm zu haben, geht nicht. Egal ob Begeisterung oder Abgrenzung, man muss sich positionieren. Und das wiederum bestimmt auch die soziale Verortung unter den Gleichaltrigen.
Kreischen als Fanritual
Einigermaßen erstaunlich ist jedenfalls, dass sich das Phänomen von kreischenden weiblichen Jugendlichen seit über 50 Jahre kaum geändert hat: Schon bei Elvis in den 50er Jahren und den Beatles in den 60er Jahren bot sich ein ähnliches Bild. Auch wenn die Fans mittlerweile deutlich jünger sind, hat sich auch die Einschätzung von außen kaum verändert: Männliche Fans dürfen eigentlich machen, was sie wollen, weibliche werden sofort pathologisiert: Als „hysterisch“ werden Mädchen bezeichnet, also mit einem traditionell weiblich konnotierten Krankheitsbild abgewertet.

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Fans in unmittelbarer Nähe des Objekts der Begierde
Doch Fantum ist in seiner ausgeprägtesten Form eine der letzten Bastionen, die mit dem Unverständnis der Erwachsenen belegt ist. Es bleibt also eine der wenigen Möglichkeiten, sich von der Welt der Eltern abzugrenzen. Und zumindest mit historischem Blick kann Kreischen auch als politisches Ventil gedeutet werden, nämlich als eine der wenigen Möglichkeiten für junge Frauen, sich in der damals noch restriktiveren Gesellschaft öffentlich Gehör zu verschaffen.
Das Warten war auch schlimm
Vor und in der Stadthalle erwies sich das Gekreische jedenfalls als Selbstläufer. Irgendwer beginnt, wieso auch immer, der Rest folgt. Zumindest für den Großteil der Mädchen im Publikum ist es ein recht harmloser Spaß.
Vielleicht weniger das Konzert selbst als das Warten darauf sollte aber einigen zu viel werden. Knapp 200 Einsätze verzeichneten die Sanitäter, einen Gutteil davon schon Stunden vor Beginn vor der Stadthalle, wo Hunderte Mädchen ab den Mittagsstunden Richtung Einlass drängten.
Hartes Los für Erziehungsberechtigte
Als ausverkauft galt das Konzert, auch wenn in den hinteren Reihen recht viel Platz war. Zum Fangenspielen zum Beispiel, wie die Jüngsten bewiesen. Vielleicht war es hinten auch geräumig, weil sich alles vorne dicht drängte, und eine Zehnjährige halt weniger Platz braucht als einigermaßen Erwachsene bei anderen Konzerten. Der durchschnittliche Fan war also weiblich, zwischen fünf und 15 und hatte gerne irgendwo entweder die Initialen „JB“ oder irgendeinen „Bieber“-Schriftzug aufgemalt.
Zur Belastungsprobe wurden die Stunden in der Stadthalle aber auch für Erziehungsberechtigte. Die mussten entweder innen ausharren und sich ins Ohr kreischen lassen oder lange Zeit draußen im Regen warten, immerhin begann das gut 90-minütige Konzert doch mit einiger Verspätung.
Das Mastermind im Hintergrund
Bieber ist vor allem eines: eine Geldmaschine. Laut dem Wirtschaftsmagazin „Forbes“ verdiente Bieber 2012 rund 55 Millionen Dollar. Neben der Countrysängerin Taylor Swift ist er der einzige unter 30-Jährige, der unter den Bestverdienern im Pop ist. Wirtschaftliches Mastermind im Hintergrund ist sein Manager Scooter Braun: Plattenverkäufe sind bei den Einnahmen enden wollend, so die Erkenntnis, das Drumherum nicht: Es ist vor allem eine Unzahl an Merchandising-Artikeln, die die Kassen klingeln lassen. Und das Konzept ging perfekt auf.
Traum des Kindes, Trauma der Eltern
Und auch die Ticketpolitik kann sich sehen lassen. Der Stehplatz um 65 Euro gehört ohnehin schon zum Usus, um 185 Euro konnte man aus der Stadthalle ein Geschenksackerl mitnehmen, um 207 Euro durfte man noch dazu im vordersten Bereich vor der Bühne stehen. Das ultimative Angebot war aber ein persönliches Treffen mit dem Star inklusive gemeinsamen Fotos. Dafür hieß es aber recht lang das Taschengeld sparen.
Der Preis von 385 Euro lässt dramatische Szenen in etlichen Kinderzimmern („Mama! Papa! Bittteee!“) erahnen. Es ist aber - zumindest für Bieber und seinen Manager - gut angelegtes Geld. Investiert wird es in Start-ups, allen voran in der Social-Media-Ecke - also genau dort, wo sich mit jugendlichen Fans wieder verdienen lässt, wie etwa beim Musikstreamingdienst Spotify.
Was für ein Leben?
Dabei ist das Leben als Teeniestar wahrscheinlich jetzt nicht wirklich erstrebenswert. Was bleibt einem, wenn man den Fans mehrmals täglich irgendetwas per Twitter mitteilen muss und bei allen Dingen, die man nicht schreibt, von Paparazzi fotografiert wird?
Bei knapp 37 Millionen Followern auf Twitter und 52 Millionen Fans auf Facebook kann man davon ausgehen, dass wohl eine Handvoll wirkliche Wahnsinnige dabei sind, die auch nur einen falschen Halbsatz zum Anlass nehmen, um mit Liebesentzug oder Mord oder Selbstmord zu drohen. Alles schon mal da gewesen. Und blickt man auf die Lebensgeschichten diverser Kinderstars im Pop- und Filmbusiness, sind die Perspektiven jetzt nicht allzu rosig. Und auch bei Bieber stellten sich in den vergangenen Monaten schon entsprechende Erscheinungen ein.
Bleibt also die Frage, ob sich der Goldbub der Musikindustrie nicht irgendwann einmal ein anderes Leben wünscht. Auch wenn Bieber mit dem Stimmbruch die erste wirklich große Karrierehürde genommen hat, irgendwann hat jeder Teeniestar ein Ablaufdatum: Auch der glühendste Fan wird es einmal satt haben, nur einem Poster an der Wand einen Gute-Nacht-Kuss zu geben.
Christian Körber, ORF.at
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