„Fragile Kontruktion“
Der luxemburgische Regierungschef Jean-Claude Juncker hat sich besorgt über antieuropäische Stimmungen in EU-Mitgliedsländern geäußert. Die im Zuge von Rettungsaktionen wie in Zypern hochkommenden Nationalismen zeigten, „wie fragil die europäische Konstruktion trotz der Erfolge der vergangenen Jahrzehnte ist“, sagte Juncker dem Bonner „General-Anzeiger“ (Mittwoch-Ausgabe).
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„Ich habe immer vermutet, dass unter der Oberfläche noch vieles brodelt“, sagte er. Doch das Ausmaß der aktuellen Reaktionen überrasche ihn. Er kritisierte damit in dem Interview seinen Nachfolger als Chef der Euro-Gruppe, Jeroen Dijsselbloem, den er allerdings nicht beim Namen nannte.

APA/AP/Virginia Mayo
Juncker und Dijsselbloem im Jänner, als die Welt noch in Ordnung war
„Ungeschicklichkeit größeren Ausmaßes“
Den ursprünglichen Plan, in Zypern auch Kleinanleger für die Sanierung des Landes zahlen zu lassen, nannte Juncker „eine Ungeschicklichkeit größeren Ausmaßes“. Das Vertrauen in das Bankensystem sei damit europaweit beschädigt worden, kritisierte der frühere Vorsitzende der Euro-Gruppe. Dijsselbloem hatte vor dem Europaparlement am Donnerstag die volle Verantwortung dafür übernommen. „Es war eine gemeinsame Entscheidung. Wenn irgendjemand die Verantwortung übernimmt, dann bin ich es“, hatte der Niederländer in Brüssel vor EU-Abgeordneten gesagt.
Kritik in Scherz verpackt
Juncker hatte bereits zuvor Dijsselbloem indirekt angegriffen. Er befürchtete nach dem ersten, wieder zurückgezogenen Zypern-Hilfspaket einen Vertrauensverlust. „Ich habe die große Besorgnis, dass es zu Vertrauenseinbrüchen nicht nur der Banken, sondern auch der Bürger kommt“, sagte Juncker vor Journalisten in Wien Ende voriger Woche. Er kritisiere offiziell nicht den Zypern-Beschluss. „Aber es ist der erste, der ohne mein Zutun zustande kommt, insofern ist er mangelhaft“, scherzte der ehemalige Euro-Gruppe-Chef.
Dijsselbloem in Interview zu ehrlich?
Da Zyperns Finanzkrise vor allem von seinen maroden Großbanken herrührte, gehört zum Rettungsplan für den angeschlagenen Inselstaat eine Verkleinerung der größten Bank und die Schließung der zweitgrößten Bank. Dabei werden Bankkunden mit Einlagen über 100.000 Euro einen Großteil ihres Geldes verlieren.
Der Neueinsteiger Dijsselbloem, er ist erst seit November niederländischer Finanzminister und seit Februar „Mr. Euro“, hatte erneut für Aufregung gesorgt, als er zu Wochenbeginn in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters sagte, auch in Zukunft könnten notfalls Einlagenbesitzer zur Kasse gebeten werden. Banken sollten sich in erster Linie selbst retten. Er relativierte seine Äußerungen, nachdem sie einen Kursrutsch des Euro und bei Bankaktien ausgelöst hatten.
Luxemburg Rute ins Fenster gestellt
Dijsselbloem stellte auch Luxemburg die Rute ins Fenster. Mit Blick auf Luxemburg und Malta hatte er explizit dazu aufgerufen, mögliche Risiken durch die Finanzbranche zu regeln, „bevor es zu Schwierigkeiten kommt“. Dahingehend könnte Junckers Kritik auch eigennützig gewesen sein. Denn auch Luxemburg hat einen aufgeblähten Finanzsektor.
Der Kleinstaat gilt eigentlich als wirtschaftlich grundsolide, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bescheinigte ihm in einem Bericht vom Dezember das höchste Pro-Kopf-Einkommen der OECD-Staatengruppe. Zudem sei Luxemburg vergleichsweise gut durch die Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen.
Keine Rettung aus eigener Kraft möglich
Doch die OECD mahnte auch, dass das Land trotz bereits umgesetzter Regulierungen im Bankenbereich zu stark von seinem riesigen Finanzsektor abhängig sei, der ein Drittel des BIP erwirtschaftet - zum Vergleich: In Zypern waren es 45 Prozent.
Die luxemburgischen Banken gelten allerdings als weit seriöser als die zypriotischen. Sie litten laut OECD kaum unter der Finanzkrise, weil ihnen als „sicherer Hafen“ manche Anlagergelder zuflossen. Dennoch: Eine schwere Verschärfung der Euro-Krise könnte auch das luxemburgische Geschäftsmodell ins Wanken bringen. Die Einlagen in luxemburgischen Finanzinstituten entsprechen mindestens 500 Prozent des BIP. Der Wert liegt weit höher als in anderen Euro-Ländern.
Das kleine Luxemburg könnte die Banken dann aus eigener Kraft nicht retten - ganz zu schweigen von den internationalen Schockwellen. Allein bei der Rettung der maroden Dexia-Bank gab Luxemburg 2011 eine Garantie von 2,55 Milliarden Euro oder 8,5 Prozent seines Bruttosozialprodukts ab.
Luxemburgs Regierung nicht erfreut
Die Regierung von Luxemburg wies am Mittwoch jeden Vergleich des luxemburgischen Finanzsektors mit dem Bankensystem in Zypern scharf zurück. Luxemburg sei „besorgt“ über Warnungen vor „angeblichen Risiken“ in Euro-Ländern durch eine im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt überdimensionierte Finanzbranche, erklärte die Regierung am Mittwoch.
Der luxemburgische Finanzsektor sei „ein wichtiger Zutrittspunkt“ für internationale Investitionen für die Euro-Zone. „Dieser Sektor trägt also zur allgemeinen Wettbewerbsfähigkeit aller Mitgliedsstaaten bei.“ Zudem hob die Regierung die „effiziente Kontrolle“ der Branche hervor.
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