Wenn das Leben zum Film wird
Die „schöne neue Welt“ könnte bald Realität werden, befürchten Datenschützer. Allerdings wird die Überwachung nicht von Geheimdiensten ausgehen, sondern von durchschnittlichen Gadget-Freaks: Mit der neuen Google-Brille kann man permanent filmen - und dadurch ins Netz streamen, was man gerade sieht.
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Die Google-Datenbrille ist noch Zukunftsmusik - doch im The 5 Point Cafe in Seattle ist sie bereits verboten. Das Lokal, in dem man rund um die Uhr ein warmes Frühstück oder einen großen Burger bekommt, verkündete auf seiner Facebook-Seite vorausschauend, dass Gäste mit Minicomputer auf der Nase ausdrücklich nicht willkommen seien.
Das Versprechen, jenen, die sich nicht daran halten, in den Hintern zu treten, machte das kleine Restaurant auf einen Schlag weltberühmt. Dabei könnte die erste Gelegenheit, das Verbot anzuwenden, noch weit entfernt sein. Der Internetkonzern Google ist gerade dabei, erste Exemplare seiner Datenbrille „Google Glass“ unter Testnutzern zu verteilen. Die Auserwählten müssen dafür 1.500 Dollar (1.145,91 Euro) lockermachen.
Nirgends vor Kameras sicher
Hinter dem PR-Gag der 5-Point-Betreiber steckt aber ein ernsthaftes Problem. Auf die Gesellschaft kommen mit Geräten wie Googles Wunderbrille neue Datenschutzfragen zu. Schon jetzt kann man dank Smartphones und Kamerahandys überall auf einem Foto oder Video und damit binnen Sekunden im Internet landen. Neue tragbare Kameracomputer wie Google Glass könnten dieses Phänomen noch verstärken.
Die Horrorvision der Datenschützer ist vor allem die Verbindung von Gesichtserkennungssoftware und Millionen von Livestreams durch die Google-Brille. Im schlimmsten Fall füttert man einer App einen beliebigen Namen - und wenn gerade jemand mit der Datenbrille in der Nähe dieser Person ist, klinkt man sich in die Übertragung ein. Das heißt: Man könnte jede beliebige Person zu fast jeder beliebigen Zeit beobachten, wenn genügend Menschen die Google-Brille tragen - das Ende der Privatsphäre.

Reuters/Carlo Allegri
Google-Gründer Sergey Brin und Designerin Diane von Furstenberg bei der Vorstellung ihrer Frühling-Sommer-Kollektion 2013. Mit dabei: Google-Brillen
„Gefilmt, veröffentlicht, verfolgt“
Schon jetzt ist es leicht, jemanden mit Handykameras heimlich zu filmen. Mit der Datenbrille ist es unmöglich, einzugreifen - weil niemals jemand außer dem Träger weiß, ob die Kamera gerade aktiviert ist oder nicht. In Großbritannien hat sich eine Gruppe namens „Stop the Cyborgs“ zusammengeschlossen, um auf die Gefahren der neuen Technologie hinzuweisen, wie die britische BBC berichtete.
Die Gruppe möchte die Brille nicht verbieten lassen, fordert aber klare Regelungen - und eine Anpassung der Technik an die Anforderungen des Datenschutzes. So soll klar erkenntlich sein, wann man gefilmt wird und wann nicht. In dem Manifest der britischen Datenschützer heißt es ohne Polemik: „Es ist wichtig für die Gesellschaft und die Demokratie, dass Menschen plaudern und leben können, ohne befürchten zu müssen, gefilmt, veröffentlicht und verfolgt zu werden.“
Emotionale Debatte
Andernorts wird die Debatte weit emotionaler geführt. „Gawker“ titelt seinen Artikel mit „If You Wear Google’s New Glasses You Are An Asshole“ und schließt sich einer Definition von „Arschloch“ des Magazins „Atlantic Monthly“ an, die sinngemäß lautet: Ein Arschloch ist, wer anderen die Bedingungen der Kommunikation aufzwingt. Ähnlich emotional und polemisch - aber stringent durchargumentiert - werden in dem Blog „Reluctant Habits“ 35 Gründe zusammengefasst, die gegen die Google-Brille sprechen.
Edward Champion vertritt dort die Meinung, dass Google Glass der Gesellschaft mehr Probleme bereiten wird als andere Techniken seit langer Zeit. Er leuchtet die Nachteile einer verschwindenden Privatsphäre aus. So laufe man Gefahr, ständig auch für lässliche Vergehen oder unpassendes Verhalten an den Pranger gestellt zu werden. Auch Stalker hätten mit Google Glass freie Bahn auf ihre Opfer. Und, um nur einen weiteren Punkt zu nennen: Werbung werde Tür und Tor geöffnet, noch weiter in unseren Alltag einzudringen.
Google selbst agiert zur Privatsphärenproblematik zurückhaltend: Die Datenbrille sei erst in einem frühen Stadium. Man erwarte, dass sich genauso wie bei Handys der Umgang und die sozialen Normen mit der Zeit entwickeln werden, hieß es vom Unternehmen gegenüber ORF.at.
Ganze Generation an neuen Minigeräten
Die Google-Brille, an der der Internetgigant schon seit Jahren arbeitet, ist ein Lieblingsprojekt des Mitgründers Sergey Brin. Ein kleiner Bildschirm vor dem rechten Auge soll Informationen aus dem Netz wie Routenanweisungen oder Antworten auf Suchanfragen anzeigen. Das Gerät soll sich nahtlos ins Leben der Träger einfügen - theoretisch zumindest, denn Erlebnisse aus dem Alltag sind noch rar.
Dank neuer technischer Möglichkeiten für immer kleinere Computerteile wird Googles Datenbrille erst der Vorreiter einer ganzen Generation winziger Geräte sein. So sammelt das schwedische Start-up Memoto gerade Geld für eine ansteckbare Minikamera, die alle 30 Sekunden ein Foto schießen und damit das Leben ihrer Nutzer in Bildern festhalten soll. Auch Olympus schickt ein Konkurrenzprodukt für Google Glass ins Rennen.
Google-Brille aus dem Hause Foxconn
Google will seine Computerbrille jedenfalls laut einem Medienbericht vom Auftragsfertiger Foxconn in Kalifornien produzieren lassen, schrieb die Finanznachrichtenagentur Bloomberg am Donnerstag. Foxconn ist vor allem als umstrittener Hersteller von Apple-Geräten wie iPhone und iPad-Tablet bekannt. Die in Taiwan beheimatete Firma hat ihre Werke größtenteils in China, wo laut Kritikern Angestellte unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten müssen. Ein Foxconn-Sprecher wollte sich gegenüber Bloomberg nicht zur Auftragsvergabe äußern.
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