Vor Polizei in Haus verschanzt
Ein Mann, der als selbst ernannter Heiler 16 Menschen mit HIV und Hepatitis C infiziert haben soll, wurde am Freitag von einem Berner Gericht schuldig gesprochen. Er muss eine Haftstrafe von zwölf Jahren und neun Monaten absitzen. Der Angeklagte wies die Vorwürfe von sich. Die Aussagen der Opfer und ein medizinisches Gutachten wirkten sich allerdings belastend auf den 54-jährigen Musiklehrer aus.
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Der Anklage nach soll sich der Mann als Heiler ausgegeben und die Opfer - die meisten waren seine Musikschüler - mit HIV und teilweise auch Hepatitis C infiziert haben. Dafür habe er sich infiziertes Blut besorgt und die Menschen unter Vorwänden wie Akupunktur gestochen. Als sich mehrere Betroffene in einem Krankenhaus behandeln ließen, kam die Sache ans Licht. Die Gründe für seine Tat sind nach wie vor unklar.
„Öffnen des dritten Auges“
Manchen Opfern habe er eine Akupunkturbehandlung versprochen, einen Test ihres Schmerzempfindens oder das „Öffnen des dritten Auges“. Ein betroffener Schweizer Manager sagte, dass starke Migräneanfälle und leichte Epilepsie ihn auf Empfehlung einer Bekannten zu dem „Wunderheiler“ geführt hatten. Eine spezielle Akupunktur würde Linderung schaffen, versrpach ihm der Angeklagte. In dessen Wohnzimmer musste sich der Mann auf den Bauch legen und einen Stein fixieren. Nach einem kurzen Stich in den Rücken war die Behandlung beendet.
Mitunter habe er die Opfer auch unangekündigt mit einem unbekannten Gegenstand gestochen. In manchen Fällen habe er vorab ein Getränk serviert und dann die vorübergehende Bewusstlosigkeit der Opfer ausgenützt, hieß es in der Anklageschrift. Alle Infizierungen sollen zwischen 2001 und 2005 erfolgt sein. Aufgrund von Anzeigen nahm die Justiz im Jahr 2005 Ermittlungen auf.
24 Stunden vor Polizei verschanzt
Vor Prozessbeginn Anfang März hatte sich der Berner 24 Stunden lang vor der Polizei in seinem Haus verschanzt, statt an der Verhandlung teilzunehmen. Einmal kam er kurz aus dem Haus heraus, bewaffnet mit einem Schwert und einem Messer. Danach verschwand er wieder in der Liegenschaft, ohne dass die Polizei auf ihn zugreifen konnte. Die Beamten mussten das Haus schließlich stürmen und nahmen den bewaffneten Mann fest. Seitdem saß er in Untersuchungshaft.
Wegen mehrfacher schwerer Körperverletzung und des Verbreitens von Krankheiten hatte die Staatsanwaltschaft 15 Jahre gefordert. Die Anwälte der Opfer wollten vor der Urteilsverkündung sicherstellen, dass der Verurteilte im Falle eines Schuldspruchs nicht mehr auf freien Fuß kommt. Das Urteil kann er allerdings anfechten. Sie verlangten deshalb vom Gericht die Anordnung einer Sicherheitshaft.
Verteidiger forderte Freispruch
Der Mann beteuerte von Beginn an seine Unschuld. Sein Verteidiger hatte am Montag einen Freispruch gefordert, da zu viele Zweifel an der Schuld des Mannes bestünden. Der Mann verfolgte die Urteilsverkündung ohne große Regung. Der Angeklagte habe die Taten nicht nur abgestritten, sondern habe den Opfern ungeschützten Geschlechtsverkehr und intravenösen Drogenkonsum unterstellt, wie die Schweizer Zeitung „Tagblatt“ berichtete.
Der Mann behauptete, das Krankenhaus, das Gericht sowie die Aids-Hilfe hätten die Opfer „aktiv auf mich gehetzt“. Einige seiner Patienten hätten ihn um sein Haus beneidet. Keinesfalls hätte er verseuchtes Blut abzapfen oder bei sich lagern können, weil er an einer Blutphobie leide. Diese Behauptungen hätten sich als „absurd“ erwiesen, sagte Gerichtspräsident Urs Herren. Er sprach von einem „skrupellosen, hinterhältigen, sinnlosen und menschenverachtenden“ Vorgehen.
Vier weitere Opfer aus Familie des Täters
Ursprünglich ging die Berner Justiz 21 verdächtigen HIV-Infizierungsfällen nach, wie Staatsanwalt Hermann Fleischhackl in seinem Plädoyer sagte. Doch vier mögliche Opfer stammen aus der Verwandtschaft des Verurteilten. Sie haben die Schweiz inzwischen verlassen und sich weiteren Einvernahmen entzogen. Bei einem fünften Infizierten - dem Mann, der sich jahrelang von dem „Heiler“ verseuchtes Blut abzapfen ließ - ist bis heute unklar, wie er sich angesteckt hat.
Während des Prozesses waren aus Sicherheitsgründen nur akkreditierte Journalisten im Gerichtssaal zugelassen. Sie mussten vorab versichern, Stillschweigen über die Namen der Opfer zu bewahren. Viele hätten nämlich ihre Erkrankung bis heute geheim gehalten. Einige Opfer waren bei den Verhandlungen gar nicht erst erschienen. Sie hatten erklärt - darunter auch die Verwandten des Angeklagten -, nichts mit dem Prozess zu tun haben zu wollen.
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