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„Zeit für Politik ist gekommen“

Der inhaftierte Chef der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Abdullah Öcalan, hat am Donnerstag zu einer historischen Waffenruhe aufgerufen. Die Kämpfer sollten sich zudem aus der Türkei zurückziehen, hieß es einer in Diyarbakir vor Hunderttausenden Menschen in kurdischer Sprache verlesenen Erklärung Öcalans.

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Die Botschaft des auf einer Insel im Marmarameer inhaftierten Öcalan wurde von Politikern der Kurdenpartei BDP verlesen. Öcalan hatte einen „historischen Aufruf“ bereits angekündigt: Er ließ zu Wochenbeginn erklären, dass er eine Lösung für eine Entwaffnung ohne Zeitverzug anbieten wolle.

Hunderttausende bei Kundgebung

AP

Begeisterung bei der Verlesung der Botschaft

„Demokratisierung in der ganzen Türkei“

Der seit Jahrzehnten tobende Konflikt müsse politisch gelöst und die Tür für einen demokratischen Prozess nun aufgestoßen werden. „Das ist nicht das Ende, das ist der Beginn einer neuen Ära.“ Alle würden große Verantwortung für die Demokratisierung im Zusammenleben der Volksgruppen und ein Leben auf Grundlage von Freiheit und Gleichheit tragen. „Es ist Zeit für Einheit und Zusammenarbeit, nicht für Konflikt“, mahnte Öcalan demnach.

PKK-Chef Öcalan

AP Photo/Turkish Intelligence Service

Anfang 1999 wurde Öcalan in Kenia festgenommen und in die Türkei gebracht. Eine Todesstrafe wegen Hochverrats und Terrorismus wurde in lebenslange Haft umgewandelt.

„Die Zeit ist gekommen, um der Politik den Vorrang zu geben“, erklärte Öcalan. „Wir sind in einem Stadium angekommen, in dem sich unsere bewaffneten Elemente aus der Türkei zurückziehen sollten.“ Sein Vorschlag werde auf die militärischen und politischen Aspekte einer Lösung der Kurdenfrage eingehen. „Unser Ziel ist eine Demokratisierung auf dem Gebiet der ganzen Türkei“, wurde Öcalan zitiert.

Hunderttausende warteten auf Erklärung

Die Erklärung wurde zum kurdischen Neujahrsfest in Diyarbakir vor rund 250.000 Menschen verlesen. Mit Fahnen und Plakaten warteten sie dort auf den Aufruf, wie kurdische und türkische Medien berichteten. Fernsehbilder zeigten ein Meer von Menschen und Fahnen. „Freiheit für Öcalan, Status für Kurdistan“, lautete das Motto der Feiern zum Neujahrsfest Newroz. Die Nachricht wurde mit riesiger Begeisterung aufgenommen.

Verhandlungen schon seit Monaten

Öcalan verhandelt seit Ende vergangenen Jahres mit Vertretern des türkischen Geheimdiensts über einen Aufruf zur Waffenruhe. Ein Gewaltverzicht der PKK soll nach vorab bekanntgewordenen Informationen mit einer verfassungsrechtlich verankerten Garantie der politischen und sozialen Rechte der Kurden belohnt werden.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagte bereits zu, dass der türkische Staat PKK-Kämpfer bei einem möglichen Rückzug in den Norden des Irak nicht angreifen werde. Die PKK unterhält ihr Hauptquartier im Nordirak. Sie hatte in der vergangenen Woche im Nordirak bereits acht verschleppte Türken freigelassen. Das galt als vertrauensbildende Maßnahme, die die Weichen für eine Friedenslösung stellen soll.

Regierung begrüßt Erklärung

Der türkische Innenminister Muammer Güler begrüßte den Aufruf. Öcalan habe die „Sprache des Friedens“ gewählt, sagte er laut der Nachrichtenagentur Anadolu. Er werde nun die „Konsequenzen“ abwarten und genau schauen, was in der Realität passiere, sagte Güler demnach. Erdogan kritisierte, dass in Diyarbakir keine einzige türkische Fahne zu sehen gewesen sei. Das widerspreche Öcalans Botschaft des Friedens zwischen Kurden und Türken. Er hoffe aber, dass die Türkei die Probleme überwinden werde.

Auch die US-Regierung begrüßte den Aufruf Öcalans. Das sei ein „positiver Schritt“ zur Beendigung von über drei Jahrzehnten „tragischer Gewalt“, sagte Außenamtssprecherin Victoria Nuland am Donnerstag. „Diese Gewalt hat zu viele Opfer gefordert, sie hat zu viele Menschen ihrer Zukunft beraubt, sie muss enden“, sagte sie.

Wie geht es weiter?

Kaum klar ist, wie es nun weitergehen soll. Ankara erwartet einen endgültigen Gewaltverzicht der PKK mit einer Zerstörung oder Übergabe der Rebellenwaffen. Möglicherweise kann das mit der Hilfe der kurdischen Autonomiebehörden im Norden des Irak geschehen. Hochrangige Anführer der PKK sollen die Möglichkeit erhalten, ins Exil zu gehen. Ob sich ein Land findet, das die Berufsrebellen aufnehmen will, ist aber offen.

Unklar ist bisher auch, wie die Türkei die Waffenruhe der PKK politisch beantworten will. Die Rede ist von einer Absicherung der Minderheitenrechte in der neuen Verfassung, die derzeit von den Parteien im Parlament - unter Mitarbeit der kurdischen BDP - erarbeitet wird.

Die PKK wird von der Türkei, der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft. Sie kämpft seit Anfang der 1980er Jahre für Unabhängigkeit oder größere Autonomie der Kurdengebiete in der Türkei. Kurdische Organisationen beklagen eine systematische Diskriminierung ihrer Volksgruppe durch den türkischen Staat. Rund 45.000 Menschen fanden durch den Konflikt den Tod.

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