Jean Paul und die Gegenwart
Das Jean-Paul-Jubiläum hat viele Verlage auf den Plan gerufen. Nicht nur Biografien des Autors sind gefragt – auch neue Zugänge auf das verquere Werk werden erschlossen und Neueditionen seiner Texte gewagt. Gleichzeitig darf man auch selbst versuchen, sich das Werk des Autors vielleicht über die weniger komplizierten Texte zu erschließen. Ein Überblick:
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Der Übersetzer Michael Lehmann hat etwa eine auf eigene Faust geplante Neuausgabe von Jean Pauls berühmtem Roman „Flegeljahre“ aus den Jahren 1804/05 gewagt. Lehmann versucht dabei eine „Übersetzung“ der Sprache Jean Pauls in, wie er es selber formuliert, „gemäßigt modernes Deutsch“. Dabei verfährt er editionstechnisch wie zu Zeiten Jean Pauls. Er gibt das Werk als Fortsetzung heraus – und wartet demgemäß auf eine entsprechende Rezeption beim Lesepublikum. Lehmann möchte nach eigenen Worten nicht den Sprachkünstler Jean Paul „einebnen“, sondern für neue Lesergruppen erschließen: Die „zarte Patina“ seiner Texte bleibe erhalten.
Jean Paul: Flegeljahre, Band 1: Das Van der Kabel’sche Testament, in modernes Deutsch übertragen von Michael Lehmann. Verlag neulesen, 120 Seiten, 18 Euro.

Haymon
Annäherung über das Prinzip Zettelkasten
Einen Zugang zum Schreib- und Arbeitsstil Jean Pauls suchen beim Tiroler Haymon Verlag der Schriftsteller Bernhard Setzwein und der Zeichner Christian Tanhäuser. Sie legen ein „Abecedarium“ vor, das in alphabetischer Zettelkastenform Werk und Biografie Jean Pauls erschließt. In dieser Form eines Jean-Paul’schen Wörtervorrats stößt man auf Schlüsselbegriffe des Werk des Autors ebenso wie auf kuriose Details, etwa den Geruch von „Lausewenzel“, diesem „allerschlechtesten Tabak“, der ihn schon zu Kindertagen quält.
Die Begleitung des Bandes mit Holzschnitten entspricht auch einer Präsentationsform der Werke Jean Pauls, man denke an „Das Kampaner Tal“, das ja auch eine Behandlung der „Unsterblichkeit der Seele, nebst einer Erklärung der Holzschnitte unter den 10 Geboten des Katechismus ist“ und gerade in der Bildbeschreibung Jean Pauls Methode wilder Gedankenflüge umreißt.
Bernhard Setzwein, Christian Thanhäuser: Jean Paul von Adam bis Zucker. Ein Abecedarium. Mit Holzschnitten und Federzeichnungen von Christian Thanhäuser. Haymon, 264 Seiten, 19,90 Euro.

Haffmanns/Tolkemitt
„Chinese in Rom“: Eine wilde Collage
Ulrich Hohlbein, bekannter Kolumnist der „Zeit“, „FAZ“ und „Süddeutschen Zeitung“, legt mit dem Band „Ein Chinese in Rom“ ein, wie es im Untertitel heißt, „untendenziöses Doppelporträt“ von Goethe und Jean Paul vor. „Goethe und Jean Paul hätten kongeniale Brüder sein können“, so die Annäherung des Autors, „doch sie nahmen sich beide mit Widerwillen wahr.“
Gegen die, wie es hier heißt, „lustlos akademische Aufarbeitung“ des Doppelverhältnisses werden Werkteile wild gegeneinandergehalten, nicht immer zum Wohl des Lesers. Der Humor von Hohlbein schießt oft daneben, und fast möchte man statt dieses Werks doch lieber den Klassiker der Zeit um 1800, Karl August Böttigers „Literarische Zustände. Begegnungen und Gespräche im klassischen Weimar“ empfehlen, der den Gossip der Zeit wenigstens aus erster Hand empfangen hat.
Ulrich Holbein: Ein Chinese in Rom. Jean Paul und Goethe. Ein untendenziöses Doppelporträt. Haffmanns & Tolkemitt, 320 Seiten, 19,90 Euro.

dtv
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Bleibt die Frage, ob man sich dem Werk Jean Pauls ganz einfach direkt und ungeschützt annähern kann. Jean-Paul-Experte Helmut Pfotenhauer, der maßgeblich die deutsche Autobiografieforschung um 1800 geprägt hat, empfiehlt als Einstieg zu Jean Paul dessen „Selberlebensbeschreibung“.
Bevor man sich den großen Textgebirgen widme, solle man die kompakten Erzählungen zur Hand nehmen, „Das Leben Fibels“ etwa und auch „Das Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal“, ein ganz früher Text des Autors aus dem Jahr 1790, der anschließen in den großen Debütroman „Die unsichtbare Loge“ eingefügt wird. Dtv hat den „Wutz“ in einer liebevoll kommentierten Edition vorgelegt, die die kompakte Edition der Erstausgaben fortsetzt.
Als Annäherung an die großen Stellen des Autors, vor allem seinen genialen Blick von oben, ist die Erzählung „Das Kampaner Tal“ eine gewinnende Lektüre. Für alle, die den gesamten Jean Paul lesen möchten, bleibt die von Norbert Miller herausgegebene historisch-kritische Gesamtausgabe, die im Hanser-Verlag erhältlich ist, unerlässliche Ausstattung.
Norbert Miller (Hg.): Jean Paul: Sämtliche Werke 1. Abteilung, sechs Bände. Erzählende und theoretische Werke. Hanser Verlag, 6.390 Seiten, 300,40 Euro.
Gerald Heidegger, ORF.at
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