Vom Talmud bis zur Hitler-Parodie
Jüdischer Humor ist jedem ein Begriff, aber kaum jemand kennt ihn in all seiner Tradition und all seinen Facetten. Das Jüdische Museum hat sich nun in der umfangreichen Ausstellung „Alle meschugge? Jüdischer Witz und Humor“ dem Thema angenähert - Lachen erlaubt.
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Marcus G. Patka, der die Schau gemeinsam mit Alfred Stalzer kuratierte, sagt gegenüber ORF.at, dass er vor allem jene Geräusche im Museum mag, die eigentlich nicht eingeplant waren. Einige Gruppen wären schon vor der Eröffnung zu Besuch gewesen. Und immer wieder lache jemand laut auf, der mit Kopfhörern bei einer der Multimediastationen steht.
Der jüdische Witz hat lange Tradition - auch deshalb, weil es im Judentum ausdrücklich erlaubt ist, über Gott und die Religion zu lachen, schon im Talmud gebe es Beispiele dafür. Sigmund Freud, der in seinem Buch „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten“ viele jüdische Scherze analysierte, hielt die Triebabfuhr für eine Wurzel des Spaßens. Was sonst mit Tabus belegt ist - man kann es sich ein Stück weit von der Seele lachen.

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Georg Kreisler als Puppe von Arminio Rothstein
Der Schinken vom Karpfen
Im Judentum gibt es viele Regeln für das Alltagsleben - über sie wird gerne gelacht. Vor allem die Haltung, Gebote de jure einzuhalten, aber de facto zu brechen, wird in vielen Witzen thematisiert. Patka gibt einen wieder, in dem es um das Verbot geht, Schweinefleisch zu essen: „Ein Jude geht zum Fleischer, zeigt auf den Schinken und sagt: ‚Ich hätte gerne den Karpfen da.‘ Sagt der Fleischer: ‚Aber das ist vom Schwein.‘ Darauf der Jude: ‚Ich habe Sie nicht gefragt, wie das Tier heißt, ich wollte nur ein Stück davon haben.‘“
Dem jüdischen Alltagsleben ist folgerichtig ein Schaukasten gewidmet. Ein Großteil der Ausstellung handelt allerdings vom jüdischem Humor im Kulturleben des 20. Jahrhunderts, mit einem Hauptaugenmerk auf Österreich und vielen Seitenblicken internationaler Natur. Schließlich wäre eine Ausstellung über jüdischen Humor ohne die Marx Brothers und Woody Allen undenkbar. Ihnen und anderen Künstlern sind kleine Personalen gewidmet - man könne sich schließlich, so Patka, anhand der Geschichten Einzelner besser ins große Ganze der Geschichte einfühlen.

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Vom Simpl über Billy Wilder bis Woody Allen - ein breiter Bogen
Witze als Gefahr für Diktatoren
Ab 1900 jedenfalls mischten jüdische Migranten aus Osteuropa die Unterhaltungsindustrie in Wien auf. Im Theater, am Kabarett und auf Revuebühnen wurde der triste Alltag weggelacht, mit Radio und Film neue Medien erschlossen. Im Jüdischen Museum sind rare Filmaufnahmen, Fotos und Plakate zu sehen. Klingende Namen der damaligen Szene sind Karl Farkas, Fritz Grünbaum, Hermann Leopoldi, Friedrich Hollaender, Kurt Tucholsky und Ernst Lubitsch - sowie das Kabarett Simpl. Das deutschnationale Spießbürgertum rümpfte die Nase angesichts der Freizügigkeit und der gerne respektlosen Witze.
Diktaturen, sagt Patka, fürchten den Witz. Der heilige Schauer geht verloren, sobald man über etwas lacht. Gleichzeitig kann Humor ein Herrschaftsinstrument sein, wenn er streng kontrolliert wird. Zunächst seien jüdische Künstler aus Deutschland vor den Nazis nach Wien geflohen. Das kritische Kabarett wurde forciert - vor allem im Keller des Wiener Kaffeehauses Prückel. Nach der Machtübernahme Adolf Hitlers in Österreich flohen die meisten der Künstler erneut.
Ausstellungshinweis
„Alle meschugge? Jüdischer Witz und Humor“, bis 8. September, Jüdisches Museum Wien, sonntags bis freitags 10.00 bis 18.00 Uhr.
Zur Ausstellung erscheint ein reich illustriertes Begleitbuch (424 Seiten, mit ca. 700 Abbildungen) mit Essays, Porträts und wissenschaftlichen Beiträgen von rund 40 Autoren im Amalthea Verlag zum Preis von 34,95 Euro, das im Bookshop Singer im Museum erhältlich ist bzw. via E-Mail unter info@jmw.at geordert werden kann.
Lachen im Angesicht des Todes
In Nazi-Deutschland wurde zunächst der Jüdische Kulturbund etabliert, der harmloses Witzereißen erlaubte und den Nazis als Feigenblatt nach außen diente. Selbst in Gefangenenlagern und Ghettos, von denen aus Menschen in Vernichtungslager weitertransportiert wurden, gab es Kabarettbühnen. Nicht selten, so Patka, seien Häftlinge aufgetreten und dann am nächsten Tag Richtung Konzentrationslager abgeführt worden.
Die Nazis selbst machten sich über Juden auf perfide Art und Weise lustig. Im Film „Der ewige Jude“ etwa, von dem ein Plakat in der Ausstellung hängt, wurden Ausschnitte aus witzigen jüdischen Filmen gezeigt, um sie gegen die Juden ins Rennen zu führen. Zu Witzfiguren und bösartigen Fratzen stilisiert, versuchte man den Juden ihre Ehre zu nehmen.

Sammlung Schulenburg
Der Kabarettist Fritz Grünbaum
Wortwitz und beißend kritischer Humor
Nach dem Krieg kehrten einige der jüdischen Künstler nach Wien zurück - manche wie Karl Farkas und Gerhard Bronner wollten zwar nicht, sahen sich jedoch aus familiären Gründen dazu gezwungen. Gemeinsam mit Georg Kreisler sowie später Louise Martini und Helmut Qualtinger bildeten sie den Kern der neuen Wiener Kabarettszene. Wortwitz wechselte mit beißend kritischem Humor ab. Immer wieder war die Abrechnung mit dem Nationalsozialismus Thema.
International lösten Nazi-Parodien - man denke an den Film „The Producers“ 1968 (später als Musical adaptiert) und Daniel Levys Film „Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“ - Debatten über die Frage aus, ob man das Grauen lächerlich machen dürfe. In seinem Buch „Ich darf das, ich bin Jude“ schreibt der deutsche Kabarettist Oliver Polak in Anspielung auf den umstrittenen ehemaligen Vorstand des Zentralrats der Juden in Deutschland: „Lassen Sie uns ganz unverkrampft miteinander umgehen. (...) Ich vergesse die Sache mit dem Holocaust – und Sie verzeihen uns Michel Friedman.“
Lachen als selbstbewusstes Statement
Humor ist nicht der schlechteste Angelpunkt, von dem aus man jüdische Geschichte betrachten kann - zumindest entsteht dieser Eindruck, wenn man die zahlreichen Fotos, Plakate, Exponate und Multimediadokumente auf den zwei Stockwerken des Jüdischen Museums betrachtet. Das Lachen, sagt Kurator Patka, kann einem schon einmal im Hals stecken bleiben. Aber hier wird Humor als selbstbewusstes Statement einer Religionsgemeinschaft vorgeführt, die keineswegs - wie mitunter behauptet wird - in einer ewigen Opferrolle verharrt.
Simon Hadler, ORF.at
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