Themenüberblick

Analysten und Wirtschaftsforscher einig

Noch am 20. Juni 2011 hat die EU hoch und heilig versprochen, die Sparer besser zu schützen. Im Fall einer Bankenpleite solle ihnen nichts passieren, die gesetzliche Deckungssumme für Sparer, die bereits im Zuge der Finanzkrise auf 100.000 Euro angehoben wurde, sollte auf dieser Höhe bleiben. Knapp zwei Jahre später bricht die Euro-Gruppe und damit die EU selbst ein Tabu und hebelt diese Regelung bei der Zypern-Hilfe aus.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Der immerhin einstimmige Beschluss der 17 Finanzminister der Währungsunion - inklusive des Vertreters des betroffenen Landes Zypern - stimmte einer Regelung zu, wonach Spareinlagen bis zu 100.000 Euro teilenteignet werden können, um den Staat vor der Pleite zu retten. Am Dienstag wurden dann Guthaben bis 20.000 Euro doch noch ausgenommen - trotzdem lehnte das zypriotische Parlament das Rettungspaket ab.

Sanfte Kritik von Faymann

Nach dem Aufschrei aus Zypern machte sich auch in ganz Europa Kritik breit - teilweise auch von Politikern aus Regierungen, deren Finanzminister das Paket mitbeschlossen hatten. So meinte Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ), es sei Aufgabe der EU, „Antworten zu finden, die die kleinen Leute und die Durchschnittseinkommen verschonen“. Das sagte Faymann bei einem gemeinsamen Treffen mit dem luxemburgischen Premierminister Jean-Claude Juncker mit österreichischen Sozialpartnern und hochrangigen Wirtschaftsvertretern.

Juncker befürchtet Vertrauensverlust

Denn wenn man versuchen wolle, „russische Oligarchen zu treffen, die sich auf einer kleinen Insel breitgemacht haben, fast schon im rechtsleeren Raum, dann muss man schon sagen, der zypriotische Arbeiter kann da eigentlich nichts dafür“, fügte der Bundeskanzler hinzu. Juncker selbst befürchtet nach dem Hilfspaket einen Vertrauensverlust. „Ich habe die große Besorgnis, dass es zu Vertrauenseinbrüchen nicht nur der Banken, sondern auch der Bürger kommt.“ Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) meinte, die Lösung sei sicher nicht das „Gelbe vom Ei“.

Fekter: „Eingriff notwendig“

Einigermaßen unbeirrt blieb nur Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP): Zypern sei ein „Sonderfall und keinesfalls mit der Situation in Österreichs Banken oder Staatsfinanzen zu vergleichen“, sagte Fekter am Montag. „Österreichs Banken stehen mit gesunden Beinen auf festem Grund“, der Staatshaushalt sei „am Reformpfad in Richtung Nulldefizit“, zudem „lassen wir unsere Sparer nicht im Stich“, die Einlagensicherung bis 100.000 Euro garantiere die kleinen Guthaben.

Demgegenüber sei der Eingriff in Spareinlagen in Zypern „notwendig, um die Pleite des Staates abzuwehren“, wobei Fekter darauf hinwies, dass die Aufteilung der Belastung zwischen großen und kleinen Sparguthaben von der zypriotischen Seite entschieden worden sei. Die EU hätte eine Staffelung von 3,5 bis 12,5 Prozent vorgesehen, die Europäische Zentralbank (EZB) habe allerdings „massiv Druck gemacht“, dass hohe Guthaben „signifikant nicht zweistellig“, also deutlich unter zehn Prozent, belastet werden.

Opposition empört

Bei den Oppositionsparteien in Österreich ist die Empörung über die Belastung von Sparern in Zypern groß. FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache fordert von der Regierung eine Garantieerklärung für die Sparkonten der Österreicher. Seiner Ansicht nach „wäre Zypern ein idealer Kandidat für ein Euro-Ausstiegsszenario“. BZÖ-Chef Josef Bucher sieht in der Maßnahme einen „Sündenfall“ und "ist empört über die Zustimmung von Fekter.

Die Grünen plädierten für Nachbesserungen beim Zypern-Hilfspaket. „So wie es jetzt da liegt, werden die Grünen nicht zustimmen“, sagte Vizeklubchef Werner Kogler. Er plädiert bei der Sonderabgabe auf Spareinlagen für eine Freigrenze von 25.000 Euro. Team-Stronach-Klubobmann Robert Lugar glaubt, dass „eine derart drastische Maßnahme zu diesem Zeitpunkt nicht nötig war“. Die Zwangsabgabe müsse gedeckelt werden, ab einer Einlage von 100.000 Euro befürwortet Lugar aber „durchaus eine ‚kräftige‘ Zwangsabgabe“.

Deutschland gibt Zypern selbst die Schuld

In Deutschland übte nicht nur die SPD Kritik, auch Regierungsmitglieder äußerten sich skeptisch. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) habe sich „sehr kritisch“ dazu geäußert, berichtete der „Spiegel“ (Onlineausgabe). Die Ablehnung einer Freigrenze verstehe kaum noch jemand, sagte Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP). Wenn jemand 10.000 oder 20.000 Euro in seinem Leben angespart und dafür Verzicht geleistet habe, verdiene er Unterstützung.

Allerdings hatte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) betont, dass die Einbeziehung der Kleinsparer kein deutscher Vorschlag gewesen sei. Die deutsche Regierung hätte vielmehr die Einlagensicherung respektiert, die für Konten bis zu 100.000 Euro gilt, sagte er der ARD. Die Verantwortung dafür schob er der zypriotischen Regierung, aber auch der EU-Kommission und der EZB zu. Diese müssten die Lösung nun dem zypriotischen Volk erklären.

Merkel lobte Einigung

Am Montag wiederum sah Deutschland die Schuld allein bei Zypern selbst: „Wie das Land den Beitrag aufbringt, wie es das staffelt, das war und ist Sache der zyprischen Regierung“, sagte der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert. Deutschland habe sich auch eine andere Staffelung vorstellen können, „aber es ist nicht unsere Entscheidung“.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte zuvor die Einigung gelobt. „Damit werden (...) die Verantwortlichen zum Teil mit einbezogen und nicht nur die Steuerzahler anderer Länder“, sagte sie in Mecklenburg-Vorpommern. „Es ist ein guter Schritt, der uns eine Zustimmung zu einer Hilfe für Zypern sicherlich leichter macht.“

WIFO: „Unsensibel und unnötig“.

Kritik kam von Wirtschaftsforschern: Der renommierte US-Ökonom Paul Krugman schrieb in der „New York Times“: „Das ist, als ob die Europäer ein Neonschild hoch halten, geschrieben in Griechisch und Italienisch, mit den Worten: ‚Es ist Zeit, einen Ansturm auf die Banken aufzuführen.‘“

Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), Karl Aiginger, begrüßte prinzipiell den Rettungsversuch: „Alle Investoren sollen wissen, dass wir kein Euro-Mitgliedsland im Stich lassen“, so Aiginger. Das sei ein wichtiges Signal. Die Reform des Bankensektors müsse nun europaweit vorangetrieben werden. Dass auch die kleinen Sparer zur Kasse gebeten werden, bezeichnete er aber als „unsensibel und unnötig“.

Wirklich „einmalig“?

„Meiner Meinung nach hätte man den Anlegerschutz für Beträge unter 100.000 Euro nicht antasten dürfen“, kommentierte der Leiter des Instituts für Höhere Studien (IHS), Christian Keuschnigg, die jüngsten Pläne für eine Zwangsabgabe auf zypriotische Bankguthaben. Interveniert hätte aber auf jeden Fall werden müssen. Der Anlegerschutz sei ein Grundpfeiler für die Systemstabilität. Das Zypern-Paket sei zwar als „einmalige“ Maßnahme paktiert worden, ob das glaubhaft sei, sei aber eine andere Frage.

Das Hilfspaket sei dringend notwendig gewesen, sagte jedenfalls der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), Ewald Nowotny. Man müsse eingreifen, weil das Bankensystem für Zyperns Wirtschaft eine ungewöhnlich zentrale Rolle spielt. Die Gefahr, dass durch Zypern ein Dominoeffekt ausgelöst wird, sieht er nicht - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Ökonom Schulmeister „über Dummheit empört“

„Ich bin empört über die Dummheit der EU-Eliten, weil sie nicht das Geringste von Wirtschaftsgeschichte zu wissen scheinen“, so der Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister. Die Euro-Politiker hätten keinen Fehler ausgelassen, der zwischen 1930 und 1933 gemacht worden sei - da wäre etwa die Sparpolitik generell, die Länder gegeneinander auszuspielen und Volkswirtschaften, die sich als Firmen begreifen. „Die Paradoxie besteht darin, dass es die Politiker gut gemeint haben“, so Schulmeister.

Für den Wirtschaftsforscher kann es einfach nicht angehen, dass ohne demokratische Legitimation über ein Wochenende beschlossen wird, die Spareinlagen mit einer Sondersteuer zu belegen.. „Da habe ich Olivenbauern und vergleichsweise kleine Hoteliers genauso wie russische Oligarchen, die ihr Schwarzgeld deponiert haben“, so Schulmeister. Es sei auch demokratiepolitisch „ein Wahnsinn“, die Leute derart „auszutricksen.“

Bank-Austria-Chef: Vertrauensbruch auf Zypern

Die Bank Austria macht zwar auf Zypern keine Geschäfte. Dennoch äußerte sich der Vorstandsvorsitzende der UniCredit-Tochter, Willibald Cernko, der auch dem heimischen Bankenverband vorsteht, kritisch zum EU-Kurs gegenüber dem Euro-Land Zypern - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Auch international waren Analystenstimmen vernichtend: Die Zwangsabgabe auf Bankeinlagen in Zypern hat nach Einschätzung der Ratingagentur Moody’s schwerwiegende Folgen. Auch für Gläubiger von Banken anderer europäischer Länder ergäben sich negative Implikationen, schreibt die Agentur. Unter anderem erhöhe die Entscheidung das Risiko der Kapitalflucht aus anderen Euro-Krisenländern. Zwar dürften die unmittelbaren Auswirkungen der Zwangsabgabe in Zypern begrenzt bleiben, schätzt Moody’s. Allerdings zeige der Beschluss, dass die Entscheidungsträger im Währungsraum offensichtlich gewillt seien, Verwerfungen auf den Finanzmärkten in Kauf zu nehmen.

„Spiel mit dem Feuer“

Die deutsche Berenberg Bank sieht ein Spiel mit dem Feuer. Im Juli 2011 hätten die Versicherungen der EU, dass es sich beim Schuldenschnitt in Griechenland um eine absolute Ausnahme handle, die Panik auf den Anleihemärkten nicht verhindern können, warnte Chefökonom Holger Schmieding. Das Risiko, dass die Zwangsmaßnahmen in Zypern zu Kapitalflucht in anderen Euro-Krisenländern führten, sei hoch.

Mit der Enteignung von Bankkunden tritt die Vertrauenskrise nach Einschätzung des Bankhauses Metzler in eine neue Phase. Die prozentualen Anteile seien bereits von den Spareinlagen abgezogen, obwohl das Parlament in Nikosia erst abschließend über die Maßnahme abstimmen müsse. „Die Zwangsenteignung wurde also durchgeführt, bevor sie national rechtskräftig wurde.“ Die Metzler-Experten interpretieren das offenbar als Form einer neuen Rettungsradikalität: „Der Markt muss geschützt werden, die Ängste und Nöte der ‚normalen‘ Bevölkerung werden bei den politischen Entscheidungen in Brüssel nur noch sehr am Rande berücksichtigt.“

Russlands Ex-Finanzminister verteidigt Regelung

Der frühere russische Finanzminister Alexej Kudrin verteidigte am Dienstag die Zwangsabgabe. Der Schritt sei „unausweichlich“ und nicht der schlechteste, sagte er. Im Licht eines drohenden Staatsbankrotts kämen Anleger bei einem Teilverlust von zehn Prozent ihrer Einlagen gut davon, so Kudrin.

Zugleich kritisierte er wie zuvor die Moskauer Machtführung, dass die EU im Alleingang der Zwangsabgabe zugestimmt habe. Der Westen müsse nun mit Russland versuchen, einen Kompromiss zu finden. In Moskau wurde noch am Abend der zypriotische Finanzminister Michalis Sarris zu Gesprächen über einen Ausweg aus der Krise erwartet.

„Wenn es zehn Prozent Einbußen gibt, können die Anleger doch ruhig durchatmen, weil im anderen Fall, wenn es keine Lösung gibt, die Verluste noch deutlich höher ausfallen werden“, sagte Kudrin der Agentur Interfax zufolge. Anleger müssten sich über Risiken solcher Zypern-Einlagen bewusst sein, so der Russe. „Wenn wir dieses Risiko nun zum Höhepunkt der Zypern-Krise mit zehn Prozent ansetzen würden, wäre das ein erfolgreicher und absolut guter Ausweg“, sagte Kudrin.

Links: