Sämtliche Transaktionen verboten
Um einem massenhaften Ansturm auf die Konten angesichts der Angst der Bankkunden vor der Zwangsabgabe zuvorzukommen, hat die Zentralbank Zyperns das gesamte Bankensystem quasi lahmgelegt. Über ein entsprechendes Schreiben von Zentralbank-Chef Panicos Demetreades von Samstag berichteten am Sonntag griechischsprachige Medien.
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Demetreades verbietet demnach darin „vorläufig und bis auf weiteres“ sämtliche Transaktionen wie Auszahlungen oder Überweisungen innerhalb und außerhalb Zyperns, sogar innerhalb derselben Bank. Bereits erteilte Aufträge seien auszusetzen, heißt es weiter in dem Schreiben.
Banken könnten auch länger schließen
Die Situation auf Zypern wurde am Sonntag immer unübersichtlicher. Das milliardenschwere Rettungspaket für Zypern mit der umstrittenen Zwangsabgabe auf Bankeinlagen droht im Parlament des Mittelmeer-Staates zu scheitern. Eine Mehrheit für das Hilfspaket ist unsicher, da sich die Mitte-rechts-Regierung nur auf eine knappe Mehrheit stützen kann. Die nötige Abstimmung wurde von Sonntag auf Montag verschoben.
Die Regierung prüft nach Medienberichten, die Banken des Landes notfalls auch am Dienstag geschlossen zu halten, um einem Kundenansturm zuvorzukommen. Am Montag sind die Banken wegen eines Feiertags ohnehin geschlossen. Die Regierung werde die Institute auch länger schließen, sollte es im Parlament keine rasche Entscheidung über die umstrittene Sonderabgabe geben.
Zwischen 6,75 und 9,9 Prozent
Die Finanzminister der Euro-Gruppe hatten in der Nacht zu Samstag beschlossen, die zypriotischen Bankkunden an der Rettung des Landes zu beteiligen. Sie sollen eine Sonderabgabe von 6,75 Prozent auf Guthaben bis 100.000 Euro und 9,9 Prozent auf höhere Beträge zahlen. So sollen geschätzt 5,8 Milliarden Euro zusammenkommen, wie Euro-Gruppe-Chef Jeroen Dijsselbloem nach der Einigung in Brüssel sagte. Insgesamt soll das Hilfspaket ein Volumen von bis zu zehn Milliarden Euro haben.
Präsident stellt Kompensation in Aussicht
Zyperns Präsident Nikos Anastasiades warb am Sonntagabend im Fernsehen für das EU-Rettungspaket und versuchte zugleich, die von Abgaben bedrohten Kleinsparer zu besänftigen. „Ich kämpfe weiter dafür, dass die Beschlüsse der Euro-Gruppe dahingehend differenziert werden, dass die Auswirkungen auf die kleinen Sparer eingeschränkt werden“, sagte er.
Die Verluste für die Sparer würden die Zinsen von zwei Jahren kaum übersteigen, sagte Anastasiades, und die Maßnahme sei einmalig. Außerdem würden die Kunden umgehend mit Aktien der betroffenen Banken entschädigt. Treuen Kunden stellte Anastasiades eine weitere Kompensation in Aussicht: Wer sein Geld für die nächsten zwei Jahre im Land lasse, soll 50 Prozent der verlorenen Summe in Form von Optionen auf die Gewinne aus den vermuteten Gasvorkommen vor der Küste Zyperns erhalten.
„Schlimmste Krise seit türkischer Invasion“
Mit teilweise dramatischen Worten warb der Staatschef im Fernsehen für die Beschlüsse des jüngsten Euro-Gruppe-Treffens. Zypern befinde sich im Notstand. Das Land durchlebe seine schlimmste Krise seit der türkischen Invasion und der Teilung der Insel 1974. Anastasiades umriss noch einmal die Alternativen einer ungeordneten Staatspleite oder einer schwierigen, aber kontrollierten Situation, die die Chance auf einen Neubeginn biete. Er habe sich für das Zweite entschieden, trotz seiner ursprünglichen Zusage, dass die Bankguthaben nicht angetastet würden. Er übernehme dafür die volle Verantwortung.
Wie eine den Beratungen nahestehende Person der Nachrichtenagentur Reuters am Sonntag berichtete, führte die Regierung in Nicosia Gespräche mit den Geldgebern, um die Höhe der Sondersteuer zu verändern. Bei den Verhandlungen gehe es um die Möglichkeit, Konten mit weniger als 100.000 Euro nur mit 3,0 statt bisher geplant mit 6,7 Prozent zu belasten. Im Ausgleich solle die Belastung für größere Geldbeträge auf 12,5 Prozent von den bisher vereinbarten 9,9 Prozent steigen, hieß es weiter.
Russen verloren an einem Tag 3,5 Mrd. Euro
Rund ein Drittel der Einlagen in Zypern sind in der Hand ausländischer Kontoinhaber - vor allem reicher Russen und Briten. Zypern steht im Ruf, ein sicherer Hafen für Schwarzgeld zu sein und wenig gegen Geldwäsche zu unternehmen. Die Zwangsabgabe aber trifft alle Bankkunden. Die russischen Guthaben in Zypern belaufen sich nach Expertenschätzung auf bis zu 20 Milliarden Dollar (15,3 Mrd. Euro), sagte der Abgeordnete und Vorsitzende des Verbandes russischer Regionalbanken, Anatoli Axakow, am Sonntag der Nachrichtenagentur Interfax. „Das Vertrauen in Zypern als sicherer Anlageort wird zunichtegemacht“, urteilte er.
Die russische Ausgabe des Wirtschaftsmagazins „Forbes“ veranschlagte auf ihrer Website die russischen Guthaben in Zypern noch deutlich höher. Die Ratingagentur Moody’s habe am 1. September 2012 allein die Guthaben russischer Unternehmen in Zypern auf 19 Milliarden Dollar geschätzt. Hinzu kämen zwölf Milliarden Dollar, die russische Banken in dem EU-Land anlegten. Die Guthaben von natürlichen Personen aus Russland in Zypern schätze die Wirtschaftspresse auf acht bis 35 Milliarden Dollar, schrieb die russische „Forbes“-Ausgabe. „Die Russen haben an einem Tag bis zu 3,5 Milliarden Euro verloren“, titelte die Magazinwebsite.
Ansturm auf Banken und Bankomaten
Nach dem Bekanntwerden der Pläne hatten am Samstag viele Menschen versucht, ihre Konten zu räumen. Kurzzeitig kam es zu einem Ansturm auf einige wenige Genossenschaftsbanken, die geöffnet hatten. Die Menschen wurden von den Angestellten informiert, dass das Onlinesystem der Banken außer Betrieb sei. Später schlossen auch die wenigen geöffneten Filialen.
Als die Automaten wieder funktionierten, konnten Kunden laut Medienberichten zwar bis zum Tageslimit Geld abheben, auf den Konten war aber bereits die Abgabe abgebucht respektive das Konto für diesen Betrag gesperrt.
„Zypern wurde geschlachtet“
Bürger machten ihrer Wut vor Kameras Luft. Sie fühlen sich getäuscht, nachdem die Regierung ihnen noch am Freitag versichert hatte, die Einlagen seien sicher. „Zypern wurde geschlachtet“, titelte am Sonntag die Zeitung „Charavgi“. „Horrorszenarien für die Wirtschaft“, hieß es in der Zeitung „Fileleftheros“. Die Wochenzeitung „Machi“ sah in ihrer Schlagzeile eine „Solidaritätsguillotine“ über die Bankkunden niedersausen, und „Simerini“ titelte: „Ungeordneter Rückzug angesichts des ungeordneten Bankrotts“.
Harte Kritik kam auch vom Erzbischof der Insel, Chrysostomos. Er sprach von einer „Gemeinheit der Europäer“ gegenüber seinem Land. Es müssten die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden, sagte das Kirchenoberhaupt in seiner Sonntagspredigt: „Das Volksempfinden verlangt, dass einige ins Gefängnis gehen.“ Zugleich empfahl er den Gläubigen, Ruhe zu bewahren.
Parteien fühlen sich hintergangen
Vor dem Präsidentenpalast in Nikosia kam es am Abend zu einer ersten Kundgebung. Anastasiades hat keine starke Mehrheit im Parlament. Die beiden Mitte-rechts-Parteien DISY und DIKO, die ihn stützen, haben nur 28 von 56 Sitzen, nachdem ein Abgeordneter der liberal-konservativen DIKO seine Fraktion verlassen hat.
Auch die Parteien fühlten sich hintergangen. Sie seien über den Schritt nicht informiert gewesen, lautete der Vorwurf. Ein erstes Treffen der Parteichefs mit Anastasiades verlief ohne Ergebnis. Am Sonntag beschlossen die beiden größten Oppositionsparteien, die kommunistische AKEL und die sozialdemokratische EDEK, das Rettungspaket abzulehnen. Zypern werde als Finanzplatz zerstört, sagte der EDEK-Vorsitzende und amtierende Parlamentspräsident Giannakis Omirou nach der Sitzung des Zentralkomitees seiner Partei.
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