„Psycho“ als ewige Thriller-Messlatte
Alfred Hitchcocks „Psycho“ ist ein Monolith der Filmgeschichte. Nicht umsonst wurden Motive des Thrillers, vom Mord in der Dusche bis zum Stakkato-Gekreische der Violinen aus der Filmmusik, zu oft kopierten Popkultur-Klischees. So sehr Künstler aus allen Genres den Film immer wieder als Reibebaum nützen - die 109 Minuten blanker Provokation aus dem Jahr 1960 stehen bis heute für sich.
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Seinen großen Wurf lieferte Hitchcock dabei selbst unter wachsendem Druck der Kollegenschaft ab. Zum Ende der 1950er Jahre schien der „Master of Suspense“ berechenbar geworden und lieferte recht brav Großproduktionen mit Stars ab, die bei aller Raffinesse auch den damaligen Blockbuster-Regeln gehorchen mussten. Die Dramaturgie von Hitchcocks früheren Thrillern war da schon Allgemeingut geworden - und er sah überall „Hitchcock-Filme“, die nicht von ihm waren.
Ein billiger Film musste her
Vor allem sah Hitchcock mit Neid auf Regisseure mit weniger Budget, aber auch weniger Zwängen - etwa die jungen französischen „Film noir“-Regisseure, aber etwa auch Regiegroßmeister Orson Welles: Der hatte, längst zum schwarzen Schaf der Branche geworden, zwei Jahre vor „Psycho“ mit „Touch of Evil“ („Im Zeichen des Bösen“) die Latte für düstere Thriller so hoch gelegt, dass Hitchcock sich offensichtlich provoziert fühlte. Die Eröffnungsszene von „Psycho“ verweist mit ihrer Kamerafahrt jedenfalls direkt auf Welles’ Film.

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Janet Leigh als Marion Crane
Aber auch in der Blockbuster-Welt bediente man sich damals schon selbstverständlich aus Hitchcocks Trickkiste, wofür etwa die frühen James-Bond-Filme als Beleg dienen können. Hitchcock war somit, obwohl er beim Dreh von „Psycho“ schon 60 Jahre alt war, filmisch in der Midlife-Crisis angekommen. Als weitere Zutat für das Beschreiten neuer filmischer Wege kam eine Reihe von Zufällen, etwa ein missglückter Poker um die Höhe seines Produktionsbudgets. Hitchcock war gezwungen, einen für seine Verhältnisse billigen Film zu drehen.
Aus Not wird Tugend
Wie oft bei Hitchcock, ist aber auch bei „Psycho“ unklar, wo die Not und wo die Tugend anfängt: Das körnige Schwarz-Weiß-Filmmaterial und die Beschränkung auf fast immer dasselbe 50-Millimeter-Objektiv beim Dreh war billig - entsprach aber auch der Formensprache etwa der frechen jungen Thriller-Regisseure, denen Hitchcock offenbar zeigen wollte, wo Gott wohnt. Der Verzicht auf Starschauspieler drückte weitere Kosten, lenkte die Zuschauer aber zugleich umso weniger von der erzählten Geschichte ab.
Tabubrüche am laufenden Band
Hitchcock wollte wohl auch sich selbst beweisen, dass er kein Auslaufmodell war. Fast manisch bemüht sich der Film um Tabubrüche, vom Handwerklichen bis zum Inhaltlichen. Den dramaturgischen Kniff, die nach allen Regeln der Filmkunst eingeführte Hauptdarstellerin sterben zu lassen und somit gut ein Viertel der Erzählzeit in einen einzelnen Schockeffekt investiert zu haben, haben sich etwa bis heute nicht viele andere Regisseure getraut.

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Anthony Perkins als Norman Bates
Dazu kamen für damalige Zeiten schockierend offene Darstellungen von Sexualität und Gewalt. Sich selbst stellte Hitchcock noch dazu die Fleißaufgabe, neue filmische Mittel einzusetzen. Die waren ihm dann - angespanntes Budget hin oder her - auch einiges Geld wert. Für die berühmte Duschszene ließ sich der Regisseur nicht nur eine Woche und 77 Kamerapositionen lang Zeit, sondern bestellte nur für eine einzige Drehposition einen riesigen Nachbau des Duschkopfs, um exakt die gewünschte Aufnahme zu bekommen.
Mythos im Lieferumfang inkludiert
Hitchcocks Lust an der Innovation ging zudem über die Arbeit am Film hinaus. Auch im Hinblick auf das Marketing war er wegen mangelnder Unterstützung seines Filmverleihs auf sich gestellt und machte daraus eine Tugend. Die damalige PR-Kampagne für „Psycho“ kann als Urvater allen Mystery-Marketings gelten. Hitchcock ließ etwa „Warnungen“ vor dem schockierenden Inhalt verbreiten und verbot das Zuspätkommen - ein recht einfacher Weg, um Schlangen vor den Kinos zu schaffen. Doch es funktionierte. „Psycho“ schuf sich seinen eigenen Mythos.
Vor dem Mythos gingen auch die Kritiker in die Knie. Schrieben die meisten anfangs noch naserümpfend über den Film und stießen sich dabei vor allem an dem für Hitchcock ungewohnten „billigen“ Aussehen des Films, revidierten sie schließlich kleinlaut ihre Urteile. Heute ist der Streifen ein Fixstarter in den unzähligen „ewigen Bestenlisten“ der Filmwelt. Nicht umsonst hat „Psycho“ andere Regisseure immer wieder zu Sequels, Remakes und Spinoffs verführt - alle mit der Gemeinsamkeit, dass sie an das Original nicht im Mindesten heranreichen können.
Lukas Zimmer, ORF.at
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