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Andere Regierung, andere Atompolitik

Ein Erdbeben der Stärke 9,0 und ein dadurch ausgelöster Tsunami haben in Japan am 11. März 2011 weite Landstriche zerstört - und damit auch die Lebensgrundlage Hunderttausender Menschen. Doch das Problem, das Japan infolge des GAUs im AKW Fukushima hat, ist unsichtbar und noch dauerhafter - die Strahlung. Für die Regierung kein Grund, nicht wieder zur Atomkraft zurückzukehren.

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Die Reaktorkatastrophe in Fukushima ist zum eigentlichen Inbegriff der Tragödie geworden, wenngleich die schlimmste Atomkatastrophe seit Tschernobyl selbst zumindest offiziell kein einziges direktes Todesopfer gefordert hat. In dieser Hinsicht drastischer stehen die unmittelbaren Folgewirkungen des Tsunamis zu Buche, bei dem nach heutigem Stand mehr als 15.800 Menschen ums Leben kamen und 260 Küstenstädte zu einem großen Teil zerstört wurden.

Zerstörung und Strahlung

Viele Menschen werden zwei Jahre nach der Katastrophe noch vermisst, die Leichen konnten nicht gefunden werden. Tausende Menschen müssen noch immer in Behelfsunterkünften leben - die Infrastruktur in ihren ehemaligen Wohnorten ist nach wie vor nicht vorhanden. Doch auch durch die Strahlung um das havarierte Atomkraftwerk Fukushima Daiichi werden nach wie vor Zehntausende Menschen an der Rückkehr in ihre Häuser gehindert. Deswegen veranlasste der Staat mit enormem Aufwand die breitflächige Dekontaminierung, um die Belastung überall unter ein Millisievert pro Jahr zu senken.

Zerstörter Reaktorblock in Fukushima

AP/Tokyo Electric Power Co.

Sinnbild einer atomaren Katastrophe: das zerstörte AKW Fukushima

Doch auch das wirft Probleme auf: Zum einen werden die Methoden, etwa den Strahlen mittels Erdbewegung beizukommen, von vielen angezweifelt. Die Strahlung setzt sich vor allem in den vielen bewaldeten Gebieten fest - ihr sei nach Meinung von Experten nicht nachhaltig beizukommen. Alle zwei Millionen Bewohner der Katastrophenprovinz Fukushima sollen langfristig Gesundheitschecks unterzogen werden, kündigte die neue Regierung an. Katastrophenhelfer fordern indes mehr Unterstützung für die seelische Versorgung der Menschen.

Schweigeminute für Opfer

Japan gedachte Anfang März mit einer Gedenkminute der Opfer der Erdbeben-, Tsunami- und Atomkatastrophe. Um 14.46 Uhr Ortszeit, dem Zeitpunkt, als am 11. März 2011 ein Erdbeben der Stärke 9,0 Japan heimsuchte, legten die Menschen in den Katastrophengebieten eine Schweigeminute für die fast 19.000 Todesopfer ein. In Tokio gedachten Kaiser Akihito und seine Gemahlin Kaiserin Michiko mit Angehörigen der Opfer der schlimmsten Katastrophe in Japan seit 1945.

Atomausstieg rückgängig gemacht

Doch die Politik betreibt ein zweischneidiges Krisenmanagement. Einerseits brüstet sich die Regierung unter Neo-Ministerpräsident Shinzo Abe mit einer deutlichen Aufstockung des Etats für den Wiederaufbau und Maßnahmen zur Dekontaminierung, andererseits kündigt sie an, die derzeit heruntergefahrenen AKW sobald wie möglich wieder in Betrieb nehmen zu wollen. Von einem Totalausstieg hat sich die Politik weit entfernt: Entsprechende Ankündigungen der letzten Regierung unter Abes Vorgänger Yoshihiko Noda im September 2012, bis 2030 aus der Atomenergie aussteigen zu wollen, zerschlugen sich mit dem politischen Machtwechsel.

Nachfolger Abe versuchte von Beginn an, die Medien einzusetzen, um die Folgeprobleme des GAUs in Fukushima herunterzuspielen - schließlich war es auch seine Partei LDP gewesen, die für die jahrelange Atompolitik vor der Katastrophe verantwortlich war. Die neue Botschaft des im Herbst an die Macht zurückgekehrten Abe ist dabei klar: Bis 2040 soll der von seinem Vorgänger beschlossene Atomausstieg rückgängig gemacht sein. Die Entscheidung, wann die Atomreaktoren im Land wieder angefahren werden, will Abe auf Grundlage neuer Sicherheitsstandards treffen.

Gerüst mit Planen um einen Reaktorblock in Fukushima

Reuters/Issei Kato

Ein Mantel um das AKW soll den Austritt radioaktiver Strahlung verhindern

Neue, strikte Standards

Vor dem GAU in Fukushima hatten solche Sicherheitsuntersuchungen den japanischen AKWs stets bescheinigt, die sichersten der Welt zu sein. Die künftigen Standards, die die neue Atomaufsichtsbehörde im Juli in Kraft setzen will, sollen die striktesten der Welt sein, heißt es nun. Ohnehin dürfte Abe erst nach der Oberhauswahl im Juli grünes Licht zum Wiederanfahren der Reaktoren geben. Nach der Fukushima-Katastrophe waren sämtliche Reaktoren im Land heruntergefahren worden. Für rund zwei Monate, zwischen Mai und Juli vergangenen Jahres, war Japan völlig frei von Atomstrom. Derzeit sind von den landesweit 50 Reaktoren nur zwei in Betrieb - im AKW Oi in der Provinz Fukui.

Verstrahltes Wasser ins Meer?

Unterdessen ist die Atomruine Fukushima nach Darstellung der Regierung und des Betreibers TEPCO unter Kontrolle. Nach TEPCO-Angaben wird es allerdings noch bis zu 40 Jahre dauern, bis das Kraftwerk vollständig gesichert ist. Rund 20.000 Arbeiter halfen bisher, die Reaktoren unter Kontrolle zu bringen. Ein großes Problem bereiten derzeit die Unmengen Wasser, die weiterhin zur Kühlung der beschädigten Reaktoren benötigt werden. 360.500 Kubikmeter verstrahlten Wassers hätten sich bereits angesammelt, die Auffangbehälter seien fast voll, warnte die Zeitung „Mainichi Shimbun“ vor kurzem. Gerüchten zufolge erwägt TEPCO ein erneutes Ableiten ins Meer.

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