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„Tschisi“ ja bitte, Amazon nein danke

Der Facebook-Gemeinde entgeht nur selten ein unternehmerischer Patzer, und verzeihen kann sie diese schon gar nicht: Amazon, Lidl, Vapiano - selbst Ikea musste sich ob seiner „Pferdebullar“ Spott gefallen lassen. Die User-Walls sind regelmäßig gespickt mit neuen Vorwürfen und sogar Boykottaufrufen. Das Soziale Netzwerk zeigt, wie „böse“ die großen Konzerne sind.

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Nach der Ausstrahlung einer ARD-Dokumentation über schlechte Arbeitsbedingungen von Zeitarbeitern in Deutschland erlebte der US-Konzern Amazon einen Sturm der Entrüstung. Vor allem im Internet machen viele Kunden ihrem Unmut Luft und drohen mit einem Boykott. Gegründet Mitte Februar, zählt die Protestgruppe „Amazon? Nein Danke“ mittlerweile mehr als 4.600 Mitglieder - 4.600 wütende Mitglieder. „Die Sklaverei ist noch immer nicht abgeschafft“, heißt es da etwa in einem Posting. Ein User vergleicht die Bedingungen des Versandhauses mit Käfighaltung.

Engagiert ist, wer viele „Likes“ verteilt

In diesen Protesten eine neuartige Form von Bürgerengagement zu sehen greift aber wohl zu kurz - oder geht zu weit. Denn vielfach beschränkt sich dieser Protest gegen Großkonzerne und ihre fragwürdigen Praktiken aufs „Sharen“, „Liken“ und riesengroße Portionen an Polemik. Und der „Shitstorm“ verschwindet meist so schnell wieder, wie er aufgetaucht ist.

Die viele Polemik bietet nur wenig Platz für sachliche Diskussion. Kommentatoren, die sich auf die Seite Amazons schlagen, werden gnadenlos niedergepostet. Eine konstruktive Sachdiskussion ist aber offenbar auch nicht erwünscht: So beurteilt ein Moderator der Gruppe das Zurückziehen mehrerer „Gefällt mir“ aufgrund eines Beitrages sehr pragmatisch: „Ich muss sagen, dass es mir allemal lieber ist, hier ein paar weniger Leute zu haben, dafür aber die Mehrheit hinter der Sache steht.“

Das mit „ein paar Leute weniger“ dürfte das Ganze auch gut treffen, denn vom deklarierten Ziel, 100.000 Menschen zum Amazon-Boykott zu bewegen, ist die Gruppe noch weit entfernt. Auch ob sich der weltgrößte Onlinehändler vom Boykott von gut 4.000 Kunden tatsächlich beeindrucken lässt, ist fraglich.

Jederzeit zu Empörung bereit

Während der Ansturm auf die Protestseite langsam abflaut, ist Amazon nicht der einzige Konzern, gegen den auf Facebook zum Boykott aufgerufen wird. Zalando musste sich - ganz nach Amazon-Manier - ebenfalls schlechte Arbeitsbedingungen vorwerfen lassen. Viel weiter verbreitet ist der Protest gegen die Firma aber aus anderen Gründen: Viele sehen sich unendlich genervt durch Zalandos TV-Werbung. In zahlreichen Gruppen wird gegen die Spots mobilgemacht - Seiten wie „Wir hassen die Zalando-Werbung“, „Zalando du nervst !!!“ und „Nieder mit hysterischer Zalando-Schlampe“ haben je Dutzende Fans.

Tiefkühllasagne mit dem Aufdruck "My Lidl Pony"

Facebook / Screenshot

Der Klassiker unter den spaßigen Pferdefleisch-Postings: „My Lidl Pony“-Lasagne

Ein gefundenes Fressen für die jederzeit zur Empörung bereite Facebook-Gemeinde war der Pferdefleischskandal. Lidl, in dessen Tortelloni hierzulande erstmals als Rind deklariertes Pferdefleisch festgestellt wurde, muss sich so manchen sarkastischen Seitenhieb gefallen lassen. Ein Facebook-User rät dem Diskonter, die Kilokalorienangaben auf den Lebensmitteln in PS zu ändern. Andere rufen etwas ernsthafter generell dazu auf, Billiglebensmittel zu boykottieren. Für einschlägig Interessierte wurde auch eine eigene gleichnamige Pferdefleisch-Witze-Gruppe erstellt; passend dazu auch die Seiten „Rettet die Rinder, esst Lasagne“ und „Meine Lasagne hat mehr PS als mein Auto“.

„Könnt eure Nudeln selber essen“

Prügel einstecken musste auch die Restaurantkette Vapiano. Auch ihr werden schlechte Arbeitsbedingungen vorgeworfen. „Kein Vapiano Konsum ohne ArbeiterInnenrechte" und „Könnt eure Nudeln selbst essen“ lautet die Antwort der Konsumenten. Im Gegensatz zu Lidl etwa, wo die Vorwürfe auf der Unternehmensseite unkommentiert stehen gelassen werden, antwortet Vapiano auf die Kritik, wenn auch nur mit einem Hinweis auf eine Pressemitteilung.

Nicht jeder kann Kritik einstecken

Ganz anders die Bäckerei Mann, die in der Kritik steht, ihren Mitarbeitern während Krankenständen weniger zu zahlen: Laut mehreren Usern wurden kritische Einträge auf der offiziellen Facebook-Unternehmensseite einfach gelöscht. Vor derartigen Social-Media-Patzern sind aber offenbar nicht einmal die „Großen“ gefeit: Mehrere Amazon-Mitarbeiter sahen sich nach Bekanntwerden des Skandals bemüßigt, als „Kunden“ besonders positiv über ihren Arbeitgeber zu berichten. Blöd nur, wenn das nötige Gespür dafür etwas zu wünschen übrig lässt, wie dieser Posting-Verlauf zeigt:

Screenshot der Seite bilderhoster.net

Screenshot bilderhoster.net

Ob die Einträge tatsächlich „echt“ sind oder nur ein Scherz eines Amazon-Gegners - manchmal schaden eifrige Mitarbeiter mehr, als sie nützen. Die Einträge wurden angeblich jedenfalls nach kurzer Zeit wieder gelöscht

Wo darf man denn nun überhaupt noch einkaufen, fragt sich ob der ganzen Skandale wohl zu Recht eine Facebook-Userin: „Wo und was kann man überhaupt noch kaufen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben? Bioeier? Irgendetwas von Nestlee? Fleisch?“, um daraufhin resigniert zum Schluss zu kommen: „Und nur Luft und Liebe reicht nicht, zumal die Luft auch nicht mehr die beste ist^^.“ Es sind aber ohnehin nicht immer nur die Konzerne, die für Entrüstung sorgen: Ein User fragt auf seiner Wall, ob man etwa angesichts des Ausgangs der Italien-Wahl dorthin überhaupt noch auf Urlaub fahren kann.

Wenn Facebook-User zur Rettung ausziehen

Das Engagement der Facebook-User richtet sich jedoch nicht immer nur gegen Organisationen. Gerade wenn es um Lebensmittel geht, gibt es auch Beispiele, in denen User für den Erhalt von Produkten mobilisieren: Monatelang etwa wurde in der Gruppe „Wir wollen das Tschisi-Eis zurück“ für die Marktwiedereinführung der Eissorte aus den 90ern gekämpft. Die Gruppe erhielt innerhalb kürzester Zeit Zigtausende Fans. Eskimo ließ sich überzeugen - seit Anfang März ist das Eis wieder im Handel, die Facebook-Gemeinde jubelt.

Zwei Männer starren auf ein Tschisi-Eis

Facebook / Screenshot

Revival dank fleißiger Facebook-Poster: „Tschisi“-Eis (wenn auch ohne Löcher)

Auch der angeschlagene Traditionskonzern Niemetz erhielt durch das Engagement schwedenbombenversessener Facebook-User Aufwind: Einer entsprechenden Unterstützergruppe traten mehr als 40.000 Mitglieder bei. Kunden kauften Supermarktregale buchstäblich leer, das Unternehmen stieß an seine Kapazitätsgrenzen. Die Produktion soll deshalb laufend ausgeweitet werden, hieß es zuletzt. Bleibt abzuwarten, ob der Enthusiasmus der Fangemeinde so plötzlich wieder verschwindet, wie er gekommen ist.

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