Scheinselbstständigkeit steigt
In Österreich gibt es laufend mehr Selbstständige, doch ihre Lage entspricht nur selten dem Bild des geldscheffelnden Unternehmers mit vielen Angestellten. Vor allem Einzelunternehmen sind immer öfter von Armut betroffen.
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241.164 Einpersonenunternehmen (EPU) gibt es derzeit laut Angaben der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), die je nach Wirtschaftszweig zum Teil unter der Armutsgrenze verdienen. Die Probleme dabei seien vielschichtig, sagen Betroffene, Sozialversicherung und die Arbeiterkammer: Meist könnten EPUs auch mangels Marktmacht nicht stark verhandeln, es gebe zu viele Anbieter in einem Bereich, oder die Geschäftsidee sei erfolglos.
Ausweg aus Jobkrise
Immer öfter machen sich aber auch Menschen selbstständig, weil sie auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr unterkommen. Das betrifft ältere Personen, aber immer öfter auch junge Berufseinsteiger, berichtet die Arbeiterkammer. Dabei würden Leute teilweise „sehenden Auges in etwas hineingetheatert“, statt dass mit offenen Karten gespielt werde, sagt Josef Wöss, Leiter der Sozialpolitik der Arbeiterkammer (AK) Wien.
Für Firmen sind selbstständige Diensterbringer billiger als Angestellte, da der Arbeitgeberbeitrag bei ihnen entfällt. Auch für unerfahrene Arbeiternehmer sieht die Selbstständigkeit auf den ersten Blick finanziell besser aus als ein Angestelltenverhältnis, viele wissen allerdings nicht, dass sie vom erhaltenen Betrag selbst die Abgaben für die Sozialversicherung und die Steuer zu entrichten haben.
Harte Kalkulation für Selbstständige
Um einen Nettogewinn von 1.500 Euro nach Steuern und Sozialversicherung verbuchen zu können, muss ein EPU rund 2.500 Euro einnehmen - da wurde aber noch nichts investiert, es wurden keine Rücklagen gebildet und keine Fremdleistungen verrechnet. Alleine die Pensions- und Krankenversicherung macht dabei rund 26 Prozent aus. Angestellte müssen ähnliche Abgaben leisten, wobei die Beträge mit dem Arbeitgeber geteilt werden und daher nicht alles auf dem Gehaltszettel aufscheint. Die Beiträge müssen von Selbstständigen auch gezahlt werden, wenn die Geschäfte schlecht oder gar nicht laufen.
Bei der Kalkulation der Preise müssten die Selbstständigen zudem die ganze Administration, Buchhaltung, Akquisition von Geschäften und etwaige Stehzeiten miteinberechnen, sagt Selbstständigen-Vertreterin Martina Schubert, die auch EPUs berät. Auftraggeber gehen oftmals davon aus, dass sie nur die eigentlich geleisteten Stunden zahlen müssen und kalkulieren, dass sie bei Selbstständigen billiger kommen als mit Angestellten, für die sie auch Stehzeiten einberechnen müssten.
In einer vollständigen Kalkulation müssten allerdings auch Selbstständige ihre Stehzeiten verrechnen, so Schubert, ebenso wie das Risiko, wenn ein Geschäft einmal nicht klappt. Auch die für Angestellte üblichen fünf Wochen bezahlten Urlaubs, Feiertage, Entgeltfortzahlung bei Krankheit sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld müssten laut Wöss mitkalkuliert werden. Viele Selbstständige müssten in Summe daher deutlich höher kalkulieren, als sie es derzeit machen.
Genaue Regeln für Arbeitsverhältnis
Grundsätzlich kann sich eine Firma nicht aussuchen, ob sie eine Arbeit selbstständig oder im Angestelltenverhältnis vergibt. Bedingungen für einen Arbeitsvertrag sind etwa die Einbindung in die Unternehmensstruktur, Weisungsgebundenheit oder fixe Dienstzeiten, kurz eine persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit. Entsprechend urteilen auch die Gerichte immer wieder.
Trotz eindeutiger Regeln würde diese jedoch oft umgangen - etwa im Bereich der Erwachsenenbildung oder im Nachhilfebereich, so der Hauptverband der Sozialversicherungen. Hier sei auch der Markt gefragt, denn von etwa 25 Euro pro Nachhilfestunde bleibe einem Selbstständigen meist nicht genug über, aber niemand wolle mehr für diese Leistung zahlen. Auch die selbstständig tätigen privaten Pflegebetreuer seien eigentlich anzustellen, wie mehrere Seiten betonen.
Selbstständigkeit statt arbeitslos
Vor wenigen Jahren sei die Scheinselbstständigkeit noch negiert worden, sagt Peter McDonald, stellvertretender Obmann der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft (SVA), mittlerweile sei das Problem aber auch von der Politik anerkannt worden. Vor allem bei den neuen Selbstständigen ohne Gewerbeschein wird laut Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) „Schindluder“ getrieben, so Elisabeth Zehetner, in der WKÖ zuständig für die Bereiche Junge Wirtschaft und Gründerservice.
Für die Betroffenen selbst stellt sich die Situation je nach Ausgangslage dar, sagt Doris Lutz vom Projekt Focus 1, das in Prekarität geratenen Selbstständigen in Österreich Rat und Unterstützung bietet. Ältere Personen seien in solch einer Situation meist unglücklich über den Verlust der Absicherungen einer Anstellung. Jüngere hingegen würden mit viel Idealismus an die Sache herangehen und die Freiheiten schätzen. An Krankheit, Auftragslosigkeit und Pension möchten sie erst später denken. Ohne die vielen Scheinselbstständigen gäbe es laut Schubert auch deutlich mehr Arbeitslose in Österreich.
Nadja Igler, ORF.at
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