Grundlegende Reformen gefordert
Die Regierung hat am Mittwoch ein Maßnahmenpaket für Klein- und Kleinstunternehmen beschlossen, das für Selbstständige einige Verbesserungen bringen soll. Eigentlich gehöre aber das ganze System von Grund auf reformiert, sind sich Selbstständige und die Sozialversicherung für die Gewerbliche Wirtschaft (SVA), einig.
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Das Maßnahmenpaket umfasst Erleichterungen und Ausnahmen bei den Beiträgen zur Sozialversicherung. So sollen unter anderem Unternehmerinnen während des Bezugs des verdoppelten Wochengelds von SVA-Beiträgen befreit werden. Für die Zahlung der Beiträge selbst soll ein Überbrückungsfonds für das erste Jahr eingerichtet werden, Nachzahlungen sollen länger und zinsfrei geleistet werden können.
Einfacher machen statt erklären
Die Änderungen seien im Prinzip begrüßenswert, meint Martina Schubert, selbstständige Beraterin gegenüber ORF.at. Laut Schubert - sie ist auf einem Ticket der Grünen im Wirtschaftsparlament, bezeichnet sich selbst aber als unabhängige Vertreterin der Selbstständigen und Einpersonenunternehmen (EPUs) - braucht es aber noch mehr. Denn das Grundproblem vor allem vieler EPUs sei, dass sie das Abgabensystem, das bei einer Gründung auf sie zurollt, schlicht nicht verstehen. So komme es oft zu finanziellen Engpässen, viele EPUs seien auch unter der Armutsgrenze.
Anstatt zu versuchen, die Höhe der Beiträge und ihr Zustandekommen zu erklären, sollte das zugrunde liegende System einfacher gemacht werden, sagt Schubert. „Selbstständige sollen sich auf ihre eigentliche Geschäftsidee und die Vermarktung konzentrieren können“, viele hätten zudem keine betriebswirtschaftliche Ausbildung und nicht alle ein kaufmännisches Gespür, um alle Kosten richtig einzuberechnen. Ein besonders wichtiger Schritt laut Schubert wäre, die diversen Abgaben wie Kranken- und Pensionsversicherung und Steuer zeitnaher abzuführen.
Kürzerer Bemessungszeitraum
Statt wie bisher drei Jahre zurück berechnet sollten SVA-Beiträge bereits innerhalb etwa eines halben Jahres bemessen und überwiesen werden - und zwar von den Selbstständigen selber berechnet. Auf Basis ihrer Eingaben-Ausgaben-Rechnung sollten die Selbstständigen kalkulieren, wie viel Abgaben sie leisten müssen, und diese gleich abführen. So könnten sie selbst auch schneller sehen, ob sich ihr Geschäft trägt oder nicht, ist Schubert überzeugt. Dafür will sich auch die Wirtschaftskammer Österreich einsetzen, ein entsprechender Antrag von Schubert wurde im Wirtschaftsparlament angenommen.
SVA: „Schon sehr komplex“
Peter McDonald, stellvertretender Obmann der SVA, würde das System ebenfalls gerne sehr vereinfachen, denn es sei „schon sehr komplex“. Es brauche einfachere Regeln und mehr Selbstverantwortung, so McDonald im Gespräch mit ORF.at. Dass viele Selbstständige laut Schubert mit der SVA nichts zu tun haben wollen, kann McDonald bedingt nachvollziehen. Die SVA habe sich in den letzten Jahren sehr vom Verwalter zum Dienstleister und Mitgestalter gewandelt, daher habe man auch die Urbefragung durchgeführt.
Die SVA selber sei durch den Gesetzgeber in ihrer Handlungsfähigkeit aber stark eingeschränkt, etwa bei den Pfändungen, wo ihr ein Ausgleich nicht erlaubt sei, argumentiert McDonald: „Wir dürfen auf keinen Beitragseuro verzichten.“ Die Zahl der Exekutionen sei zurückgegangen. Dass, wie von den Selbstständigen kritisiert, auch unter Existenzminimum gepfändet wird, komme „in der Regel“ nicht vor.
Streitfrage Urbefragung
In der von den Betroffenen zum Teil ebenfalls stark kritisierten Urbefragung gaben unter anderem über 80 Prozent der Befragten an, dass sie für eine Beibehaltung des Selbstbehalts sind. Kritik, dass die Fragestellung manipulativ war, weist McDonald von sich: Es gebe eben nur die Möglichkeit, entweder weiter den Selbstbehalt einzuheben oder die Beiträge zu erhöhen, verteidigt er die zur Abstimmung gestellten Möglichkeiten.
Arztbesuch für Selbstständige teurer
Der von vielen Selbstständigen und Aktionsgruppen kritisierte Selbstbehalt von 20 Prozent bei Arztbesuchen sei ein gutes Steuerungsmittel, das auch andere Krankenkassen einsetzen würden, nur nicht so transparent wie die SVA, ist McDonald überzeugt. Dass SVA-Versicherte durchschnittlich sechsmal pro Jahr zum Arzt gehen, und damit deutlich weniger als andere Versicherte, sieht er als Bestätigung. Und obwohl sie seltener zum Arzt gehen, sei die Lebenserwartung von SVA-Versicherten höher als anderer Versicherter.
Seit heuer gelte zudem ein Fünfprozentdeckel, niemand solle mehr als fünf Prozent seines Einkommens als Selbstbehalt zahlen müssen. Die SVA arbeite weiters daran, die im Gegensatz zu den Gebietskrankenkassen höheren Tarife für Ärzte runterzuverhandeln. Die Abschaffung des Selbstbehalts sei durch die Befragung aber vom Tisch.
Opfer des Sparpakets
Dass die ebenfalls heftig kritisierte Mindestbeitragsgrundlage erst 2018 stufenweise abgesenkt wird - statt wie bereits beschlossen 2015 -, findet McDonald „nicht gut“. Das sei ein Effekt des Sparpakets. Neben Belastungen hätte es aber auch Verbesserungen gegeben, wie die freiwillige Arbeitslosenversicherung. Der Absenkung der Mindestbeitragsgrundlage auf Geringfügigkeitsniveau, wie von Schubert gefordert, kann McDonald nichts abgewinnen. Stattdessen sollten sich die Werte in der Mitte annähern.
Gleiche Regeln für alle?
Überhaupt sollten Selbstständige und Unselbstständige gleich oder zumindest weniger unterschiedlich behandelt werden, sind sich McDonald und Schubert im Grunde einig. So sollte es einfacher werden, parallel selbstständig und unselbstständig zu arbeiten, meint McDonald. Die aktuell von vielen als Doppelbesteuerung betrachtete doppelte Krankenversicherung könnte dabei ebenfalls vereinfacht werden. Grundsätzlich müsse derzeit niemand doppelt zahlen, da nur vom jeweiligen Gehalt bzw. den Einnahmen Sozialabgaben berechnet würden, sagt McDonald.
Schubert geht mit ihren Forderungen weiter. „Es kann doch nicht normal sein, dass Selbstständige doppelt so oft von Armut betroffen sind“ wie Unselbstständige, zitiert sie entsprechende Statistiken. Aufgrund des hohen Marktdrucks würden allerdings viele, vor allem neue Selbstständige ohne Gewerbsschein, ihre Leistungen auch zu billig anbieten oder eben nicht alle anfallenden Kosten mitkalkulieren. Schubert fordert, dass die ersten 11.000 Euro Einnahmen daher abgabenfrei werden. Sie kritisiert zudem, dass bei Bezug von Krankengeld auch weiterhin SVA-Beiträge geleistet werden müssen - das Krankengeld werde damit zum Durchlaufposten.
System belastet kleine Einkommen stärker
Kleine und mittlere Einkommen von Selbstständigen seien zudem stärker belastet als höhere und müssten prozentuell mehr Sozialversicherungsbeiträge zahlen - ein Problem, das auch McDonald sieht. Bei einer Aufhebung der Höchstbeitragsgrundlage würden laut einer Analyse des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) einige hundert Mio. Euro mehr an Abgaben abgeführt, sagt Schubert.
Das Wichtigste sei, dass das System neue Geschäftsideen fördere und nicht durch Verwaltung zusätzlich belaste, so Schubert. Gerade kleine Betriebe seien besonders wendig und könnten schnell Nischen und neue Geschäftsfelder besetzen und so für neue Impulse sorgen. Dass einige dabei auch aufs falsche Pferd setzen, sei bei einer Neuordnung des Systems und zeitnahen Zahlungen auch nicht so tragisch, meint Schubert: Falsche Geschäftsideen könnte man so schneller erkennen.
Nadja Igler, ORF.at
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