Sicherheit als erster Schritt
Jede vierte Frau in Österreich erfährt laut einer Wiener Studie mindestens einmal im Leben physische Gewalt. Beratungsstellen und Gewaltschutzzentren für Betroffene gibt es. „Wir wünschen uns Antiaggressionstrainings für Täter. Das ist ein blinder Fleck und wird kaum finanziert. Dabei ist Täterarbeit gleichzeitig Opferschutz“, so Andrea Brem, Geschäftsführerin der Wiener Frauenhäuser.
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„Unser Ziel ist vor allem, dass die Bewohnerinnen nicht zu lange in der Kriseneinrichtung bleiben müssen, wo viele stark traumatisierte Frauen und Kinder zusammenleben“, sagt Brem im Gespräch mit ORF.at. Sie sollen so rasch wie möglich in eine der 52 in Wien verfügbaren Übergangswohnungen ziehen, wo sie bis zu eineinhalb Jahre wohnen können.
Insgesamt 175 Plätze in Wien
Insgesamt stellen die Wiener Frauenhäuser 175 Plätze zur Verfügung. „Wir haben mit diesem Frauenhaus, das 2012 eröffnet wurde, neun weitere Plätze dazugewonnen, aber vor allem bessere Wohnbedingungen für die Frauen und Kinder in der Krise erhalten“, so Brem. Die Lebensqualität konnte durch Einzelzimmer stark verbessert werden.

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Einzelzimmer bieten mehr Privatsphäre und eine Rückzugsmöglichkeit
Finanziert werden die Wiener Frauenhäuser hauptsächlich von der Stadt Wien. Brem zeigt sich zufrieden. Es gebe aber auch Fälle unter den 30 Frauenhäusern in Österreich, die jährlich um ihr Überleben kämpfen müssten - besonders im ländlichen Gebiet. 35 Jahre nach der Gründung des ersten Frauenhauses müsse inzwischen klar sein, dass alle Einrichtungen finanziell abgesichert sein müssen. Die aktuellsten Zahlen für Wien belegen den Bedarf. Im Jahr 2011 suchten 651 Frauen und 630 Kinder Schutz in den Wiener Frauenhäusern. Insgesamt gab es 9.054 Kontakte und 1.384 Beratungen.
Antiaggressionstraining gefordert
Wie lange die Frauen in der Kriseneinrichtung bleiben, sei unterschiedlich. Meist ist es ein halbes Jahr. „In besonders schweren Fällen, wenn die Gefahr vom Partner weiterhin bestehen bleibt, können Betroffene im Rahmen eines Opferschutzprogramms in eine andere Stadt ziehen und werden dort betreut“, so Brem. Was sich die Sozialarbeiterin wünscht, sind verpflichtende Antiaggressionstrainings für die Täter.
Das Thema wird ihrer Ansicht nach als einer unter vielen blinden Flecken in der Debatte über und Verhinderung von Gewalt gegenüber Frauen übersehen. Dafür gebe es derzeit keine Finanzierung. Es gibt einige Therapieplätze in der Männerberatung, allerdings nicht verpflichtend. Dabei sei Täterarbeit gleichzeitig Opferschutz.

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In der Gemeinschaftsküche können sich die Frauen austauschen und entspannen
Jenes Wiener Frauenhaus, das ORF.at besucht hat, ist ein belebtes Wohnhaus mit hellen, freundlich eingerichteten Einzelzimmern und Spielräumen, in denen die Kinder viel Platz zum Toben haben. Es ist ein Ort, an dem gemeinsam gekocht, gelacht und geweint wird. Die Bewohnerinnen führen viele Gespräche mit Betreuerinnen und untereinander und „niemand ist hier alleine. Das hilft“, sagt Agnieszka (Name von der Redaktion geändert, Anm.). Die 27-Jährige ist im neunten Monat schwanger und wohnt mit ihrer kleinen Tochter seit drei Wochen im Frauenhaus und betont, sie fühle sich hier endlich sicher.
„Viele wollen sich nicht trennen“
Viele Frauen finden im Frauenhaus wieder zu sich selbst und sind überzeugt, der Gefahrensituation endgültig entkommen zu sein. „Das kann sich aber schnell wieder ändern, besonders wenn das Baby da ist“, sagt Astrid Steinkellner, die in dem Haus als Betreuerin arbeitet und für Organisation und Personalleitung zuständig ist. Viele Frauen würden zu ihrem Partner zurückkehren.

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Andrea Brem, Sozialarbeiterin und Leiterin der Wiener Frauenhäuser
Die Vorstellung, mit einer Trennung die Familie zu zerstören, sei für einige Frauen nicht zu ertragen. „Viele wollen sich nicht trennen, sie wollen nur nicht mehr misshandelt werden“, sagt Brem. Die Doppelbindung aus Liebe zum Partner und den Misshandlungen durch ihn erschwere die Situation. Häufig dächten die Frauen, dass nur Alkohol und Arbeitslosigkeit das Problem seien.
Gewaltschutzgesetz verbesserte Lage
Dass Gewalt jede Frau treffen kann, zeigt eine österreichische Studie zur Gewalt an Frauen und Männern, wonach jede vierte Frau zumindest einmal im Leben Opfer von physischer Gewalt wird. In österreichischen Frauenhäusern sind laut den Betreuerinnen des Wiener Frauenhauses jedoch nicht alle Bevölkerungsschichten anzutreffen.
Seit Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes 1997 kommen laut Brem hauptsächlich Frauen aus sozial schwachen Familien und jene, die vor einer lebensbedrohlichen Situation fliehen, ins Frauenhaus. Viele Frauen können dank der gesetzlichen Lage in ihrer Wohnung bleiben, und der Mann muss ausziehen. Es kommt laut Steinkellner stark auf die verfügbaren Ressourcen an. „Ich traue mich auch zu sagen, dass die Scham bei Frauen aus besser gestellten Familien größer ist, häusliche Gewalt öffentlich zu machen. Stattdessen lassen sich die Frauen scheiden und beenden so ihr Leid“, so Brem.
„Eine Folge von Neoliberalismus“
Ihrer Ansicht nach habe in den letzten Jahren ein Wandel stattgefunden. Früher sei freier in der Öffentlichkeit über familiäre Gewalt gesprochen worden, während in den letzten fünf, sechs Jahren das Thema wieder stärker tabuisiert werde. „Es wird wieder häufiger von einer gewissen Schicht gesprochen, in der Frauen von Gewalt betroffen sind. Ganz banal kann man hier aber auch von einer Folge des Neoliberalismus sprechen. Nach dem Motto: Wenn ich mich anstrenge, dann schaffe ich es. Und wenn er mich schlägt, habe auch ich versagt.“ Von der politischen Dimension rücke das Thema wieder ins Private. „Es ist aber ein gesellschaftliches Problem, kein familiäres“, betont Brem.
„Mehr Aufmerksamkeit im öffentlichen Diskurs braucht zudem psychische Gewalt. In diesen Fällen sind nämlich keine Hämatome und Beweismittel zu sehen, die von Gewalt sprechen. Das erschwert die Lage der Frauen und die Beweisführung vor den Behörden“, so Steinkellner. „Und die Kreativität der psychischen Gewalt ist unerschöpflich“, sagt Brem. Die Betreuerinnen erzählen vom „Psychoterror“ wie dem Ausschrauben von Duschköpfen, damit sich die Frau nicht waschen kann, und brutalen Schlafentzugsmethoden, um Frauen einzuschüchtern.
Mütter kämpfen um Besuchsrecht für Kinder
Ein weiteres - unbeachtetes - Problem für Frauen, die im Frauenhaus Hilfe suchen und möglicherweise auch noch arbeitslos sind, sei das Besuchsrecht für ihre Kinder. Häufig beginnt ein erbitterter Kampf darum, die Kinder zu sehen, etwa wenn das Gericht entschieden hat, dass sie beim Vater besser aufgehoben seien und er zu keiner gemeinsamen Lösung bereit sei. Brem zufolge komme das mindestens genauso häufig vor wie Fälle von Vätern, die sich um Besuchsrechte bemühen. „Die Problematik der Mütter wird aber im Gegensatz zu jener der Väter in der Öffentlichkeit nicht thematisiert“, beklagt Brem.
„Stolz auf Frauenbetrieb“
Die Betreuerinnen und Sozialarbeiterinnen zeigen viel Leidenschaft bei ihrer Arbeit in der Kriseneinrichtung. „Ich bin stolz, in einem der der wenigen Frauenbetriebe zu arbeiten“, sagt Steinkellner. Es seien die Herausforderungen und die unzähligen positiven Entwicklungen der Frauen, die sie immer wieder antreiben.

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Astrid Steinkellner: „Bin stolz, in einem Frauenbetrieb zu arbeiten“
Die Frage, ob sie die traurigen Geschichten manchmal zu nah an sich heranlassen, verneinen beide. „Wenn die Frauen zu uns kommen, haben sie ja das Traurigste überstanden“, so Brem. „Traurig macht es mich nur, wenn eine schwer misshandelte Frau nach drei Tagen wieder zu ihrem Mann zurückkehrt“, sagt die Geschäftsführerin der Wiener Frauenhäuser. „Vor einigen Jahren ist eine Frau aus unserem Haus wieder zurückgegangen und wurde von ihrem Mann ermordet. Das sind beklemmende Momente.“
Die Datenlage zu gewaltbetroffenen Frauen in Österreich ist laut Birgitt Haller, Leiterin des Instituts für Konfliktforschung in Wien, generell unbefriedigend. Das Problem sei, dass sie aufgrund der Dunkelziffer nicht genau erfasst ist. Ob Gewalthandlungen öffentlich werden, hänge nicht zuletzt davon ab, ob die Betroffenen darüber sprechen wollen oder können.
Gewalt gegen ältere Frauen
Ein Thema, das in der öffentlichen Debatte zum Beispiel kaum erwähnt wird, ist Gewalt gegen ältere Frauen. „Dazu gibt es überhaupt keine Zahlen“, so Haller. Dabei sind es nicht immer junge Frauen, die Hilfe im Frauenhaus suchen. „In unserem Haus ist die älteste Bewohnerin 74 Jahre alt“, so Brem. Es sei für ältere Frauen aber noch schwieriger, ihren Partner und gleichzeitig die gewohnte Umgebung zu verlassen. Die Perspektiven seien – meist mit einem Platz im Altersheim verbunden – trostlos. Problematisch wird es außerdem, wenn ein Mann im Zuge der Demenz gewalttätig wird, weil er dann von der Frau abhängig ist. In dem Fall müsste zuerst der Mann versorgt werden, bevor die Frau gehen kann.
Betrieb ist im Frauenhaus immer. Es gebe keine Jahreszeit, in der die Zahl der Betroffenen besonders hoch oder niedrig ist. „Was wir aber beobachten können, ist, dass besonders viele Frauen den Notruf der Frauenhäuser (057722) wählen, wenn sich Mordfälle von Männern an ihren Ehefrauen in den Medien häufen. Die ohnehin schon vorherrschende Angst vor dem Partner steigt dann an“, erzählt Brem.
Eva Zelechowski, ORF.at
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