Vollständig nachhaltige Fischerei als Ziel
In nächtlichen Verhandlungen haben sich die EU-Staaten auf eine Kehrtwende in der Fischereipolitik geeinigt. Das teilte der Verhandlungsleiter, der irische Fischereiminister Simon Coveney, Mittwochfrüh in Brüssel mit. Die Einigung werde „die Art, wie Europa Fisch fängt, verändern“, jubelte Coveney. EU-Fischereikommissarin Maria Damanaki sprach von einer „ganz neuen Realität“.
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Damit das Vorhaben umgesetzt werden kann, braucht es noch die Zustimmung des Europaparlaments. Die Reform war von den Volksvertretern vorangetrieben worden, nachdem auf Ministerebene seit einem halben Jahr Stillstand geherrscht hatte: Schon im letzten Sommer gab es eine Grundsatzeinigung zu nachhaltiger Fischerei, die Lösung aller heiklen Fragen war damals jedoch auf die lange Bank geschoben worden. Die Neuerungen setzen beim Thema Beifang an - versehentlich gefangenen Fischen, die zurück ins Meer geworfen werden.
Bisherige EU-Regeln an Beifang mitschuldig
Derzeit werden in der EU jährlich rund 1,9 Millionen Tonnen Fisch - zumeist tot oder zumindest verletzt - nach dem Fang ins Wasser zurückgeworfen. Das entspricht 25 bis 40 Prozent des gesamten Fangs. Schuld daran sind zu einem Gutteil die EU-Regeln selbst: Abgesehen von zu kleinen oder überhaupt ungenießbaren Meerestieren entledigen sich die Fischer vor allem deshalb der Tiere, weil sie für deren Fang keine Genehmigung haben oder der Beifang die zulässige Quote für den gewünschten Fang drücken würde.

Reuters/Jose Manuel Ribeiro
Portugiesische Fischer sortieren ihren Fang
Nun geht die Union in Richtung Deregulierung: Beifang soll künftig in einer gewissen Höhe erlaubt sein. Die zulässige Menge soll Jahr für Jahr reduziert werden. Da die Regeln tatsächlich eine radikale Neuorientierung in der europäischen Fischerei bedeuten, sind die Fristen großzügig bemessen: In fünf Jahren dürften noch sieben Prozent der ungewollt gefangenen Fische ins Meer zurückgeworfen werden, sagte Coveney. Zudem wird dieses Rückwurfverbot in den unterschiedlichen europäischen Gewässern erst nach und nach bis 2019 eingeführt.
Hoffen auf Einsicht der Fischer
Für die Fischerei als ohnehin immer wackeligerer EU-Wirtschaftszweig bedeutet die Umstellung eine erhebliche wirtschaftliche Belastung. Damanski will für die Fischer EU-Subventionen erreichen, um etwa in neue Netze für gezielteren Fang investieren zu können. Da Kontrollen der Reform kaum möglich sind, muss auf die Einsicht der Fischer gezählt werden. Doch auch ihnen ist bewusst, dass - wie Damanski vor den Verhandlungen betonte - bereits die Hälfte aller europäischen Fischgründe überfischt ist.
Fischerei ist, was man in einem Binnenland wie Österreich gerne übersieht, ein wichtiger und hoch subventionierter Wirtschaftsfaktor in der EU. Nach Angaben der EU-Kommission gibt es in der Union rund 140.000 Fischer, die mit ihren etwa 85.000 Schiffen jährlich an die 5,1 Millionen Tonnen Fisch fangen. Die Zahl der Beschäftigten in der fischverarbeitenden Industrie beziffert die Brüsseler Behörde mit rund 120.000. Circa 70 Prozent der in der EU verzehrten Fische stammen allerdings aus Drittländern.
Umweltschützer kritisieren zu lasche Regelung
Während sich Vertreter der Fischereibranche in ersten Reaktionen vorsichtig positiv zu der Einigung äußerten, kritisierten Umweltschützer die Regeln als zu wenig weitgehend. Der WWF sprach von einem „kraftlosen Kompromiss“, Greenpeace lobte zwar einen ersten Schritt in die richtige Richtung, findet es jedoch „inakzeptabel, dass auch zukünftig essbarer Fisch weggeschmissen werden darf“. Auch EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek (Grüne) kritisierte, die EU-subventionierte Überfischung der Meere würde so fortgesetzt.
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