„Postrevolutionäres Chaos“
Der politische Umbruch in Ägypten geht auch an den Baudenkmälern des Landes nicht spurlos vorbei. Da die Polizei an vielen Orten nicht mehr präsent ist, wird das Machtvakuum für illegale Grabungen genutzt. Dorfbewohner bauen ohne Erlaubnis Grabanlagen unterhalb der Pyramiden. In mehrere Lager, in denen die Funde der Archäologen aufbewahrt werden, wurde eingebrochen.
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Nach Angaben von Archäologen ist seit dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak im Februar 2011 nur Luxor von diesen Machenschaften verschont geblieben. Besonders schlimm soll es dagegen in der Oase Fajum und an einigen entlegenen Felsengräbern und Tempeln im Süden sein. In Dahschur, wo ein Team des Deutschen Archäologischen Instituts unter Leitung von Nicole Alexanian ein Gebiet unterhalb der Knickpyramide des Snofru untersucht, sieht die Wüste inzwischen auf Luftbildern durch die vielen Raubgrabungen wie ein Termitenhügel aus.
Raubgräber vermuten Schätze
„Im Frühjahr 2012 haben die Raubgräber sogar in unserem Grabungsschnitt ein Loch gegraben, weil sie glaubten, dort seien Schätze zu finden“, sagt Alexanian. Die unbewaffneten Wächter hätten gegen die Übermacht der Räuber nichts ausrichten können. Auch als Bewohner eines angrenzenden Dorfes mit Baumaschinen anrückten, um einen Friedhof so zu erweitern, dass er bis an das Gebiet reicht, in dem die Archäologen arbeiten, geschah erst einmal nichts.
Kamal Wahid, der Direktor der antiken Stätten von Dahschur und Sakkara, kennt die Probleme. Doch auch er ist oft machtlos. „Die Polizei arbeitet nicht mehr richtig, das ist Teil des postrevolutionären Chaos, das momentan herrscht“, sagte er. Er hofft aber, dass er das Problem mit der Friedhofserweiterung in Dahschur bald lösen kann. Den Dorfbewohnern soll ein anderes Gebiet zugewiesen werden, das allerdings vorab erst von Archäologen untersucht werden soll.
Touristen bleiben weg
Obwohl die Nekropole von Sakkara, deren Wahrzeichen die Stufenpyramide des Djoser ist, mit dem neu eröffneten Serapeum seit einigen Monaten eine weitere Attraktion zu bieten hat, verirren sich nicht viele Touristen auf das Gelände. Das Serapeum mit seinen riesigen Sarkophagen, in denen einst die heiligen Apis-Stiere ihre letzte Ruhe fanden, ist nahezu menschenleer.
Die Berichte über Demonstrationen und Straßenschlachten haben die Touristen abgeschreckt. Das hat eine Negativspirale in Gang gesetzt, denn wenn wenige Menschen Eintrittskarten lösen, um die Baudenkmäler aus der Pharaonenzeit zu besichtigen, bleibt auch weniger Geld für Ausgrabungen und für die Restaurierung dieser monumentalen Bauten. Auf der Stufenpyramide steht zwar noch ein Baugerüst, aber wann die Absicherungsarbeiten an dem mehr als 4.600 Jahre alten Bauwerk abgeschlossen werden, weiß derzeit niemand zu sagen.
„Angst, dass bald alles zerstört sein wird“
„Ich habe Angst, dass alles, was ich für den Schutz unserer antiken Stätten erreicht habe, bald zerstört sein wird“, klagt Sahi Hawass, der ehemalige Minister für Altertümer. Der ägyptische Archäologe hatte vor seiner Entlassung im Sommer 2011 Mauern bauen lassen, um die antiken Stätten zu schützen. Außerdem legte er sich mit jedem an, der versuchte, mitten im Antikengebiet zu bauen oder Souvenirstände aufzubauen.
Auch die Häuser und Moscheen der islamischen Altstadt von Kairo bleiben von den Beutezügen der Schmugglerbanden nicht verschont. Inmitten mittelalterlicher Häuser wurden in den vergangenen Jahren hässliche moderne Gebäude mit bis zu sechs Stockwerken errichtet. Von historischen Gebäuden wurden Dekorationselement, Gitter und Holzarbeiten abmontiert.
Kritik an islamistischer Regierung
„Ich kenne einen Mann im Altstadtviertel Darb al-Ahmar, dem hat man Geld für sein antikes Fenster geboten“, ereifert sich Jasmin al-Dorghami, die Herausgeberin der Zeitung „Al-Rawi“, die sich mit Kunst und ägyptischer Geschichte befasst. Sie glaubt, dass sich die Regierung der Islamisten nicht genug für den Erhalt des historischen Erbes Ägyptens interessiert: „Die internationale Gemeinschaft sollte deshalb mehr Druck auf unsere Regierung ausüben, um sie zu zwingen, diese Stätten zu schützen, außerdem könnten westliche Staaten und die arabischen Golfstaaten helfen, indem sie die Einfuhr von Antiquitäten aus Ägypten verhindern.“
Anne-Beatrice Clasmann, dpa
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