Wahl schickt Euro auf Talfahrt
Mit einer Protestwahl gegen Wirtschaftsmisere und Korruption haben die Italiener ihr krisengeplagtes Land an den Rand der Unregierbarkeit gebracht. Nach Auszählung fast aller Stimmen ist klar, dass bei der Parlamentswahl in der drittgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone kein Lager den entscheidenden Vorsprung erzielte.
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Das Linksbündnis von Pier Luigi Bersani eroberte zwar das Abgeordnetenhaus für sich, teilte das Innenministerium in der Nacht auf Dienstag nach Auszählung von 99,9 Prozent der Stimmen mit. In der zweiten Parlamentskammer, dem Senat, konnte nach Auszählung fast aller Stimmen indes keines der Lager die für die Mehrheit nötigen 158 Sitze erringen. Eine stabile Regierung ist nur garantiert, wenn eines der Lager die Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments erringt.
Wie das Innenministerium mitteilte, erlangte das Bündnis von Bersani von der Demokratischen Partei (PD) 29,55 Prozent der Stimmen. Die Mitte-rechts-Allianz des früheren Regierungschefs Silvio Berlusconi erlangte demnach 29,18 Prozent der Stimmen im Abgeordnetenhaus.
Rennen um Senat ohne Sieger
Die nötige Mehrheit von 158 Sitzen im Senat ist jedoch für beide Lager in weiter Ferne. Die Linke erlangte dem Innenministerium zufolge 31,63 Prozent der Stimmen und kam auf 97 Sitze. Die Mitte-rechts-Allianz erreichte demnach zwar 30,71 Prozent der Stimmen, kam aber auf 110 Sitze. Die Zeitung „Corriere della Sera“ sah gar gemessen an den Mandaten die Linke bei 121 und Mitte-Rechts bei 117 Sitzen. Das komplizierte italienische Wahlrecht führt dazu, dass im Senat die Partei mit den meisten Stimmen nicht automatisch die Mehrheit der Sitze hat. Denn die bevölkerungsstärksten Regionen stellen proportional mehr Sitze. Selbst eine Koalition mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Mario Monti würde Bersani nicht die nötigen Mandate verschaffen, um den Senat zu dominieren.
„Sehr heikle Lage“
Bersani sagte in der Nacht auf Dienstag, die Wahl habe eine „sehr heikle Lage“ geschaffen. Sein Bündnis hatte sich kurz zuvor offiziell zum Sieger im Abgeordnetenhaus erklärt. PD-Vizechef Enrico Letta hatte davor bereits vor Neuwahlen gewarnt, sollte Berlusconi im Senat gewinnen, ruderte in der Nacht jedoch zurück: Sein Lager habe die Verantwortung, eine Regierung zu bilden. Und das dürfte schwierig werden.
Der Mitte-rechts-Block um Berlusconi feierte Montagabend bereits: „Wir sind die Koalition mit der relativen Mehrheit im Senat. Das ist ein außerordentliches Ergebnis, für das wir uns bei Berlusconi bedanken“, sagte der Chef von Berlusconis Mitte-rechts-Partei Popolo della Liberta (PdL), Angelino Alfano, bei einer Pressekonferenz in Rom, während die Stimmen noch gezählt wurden.

Reuters/Yara Nardi
Spannende Stimmenauszählung in Italien
Erfolg für Grillos Protestbewegung
Der eigentliche Gewinner des Abends war jedoch der Komiker Beppe Grillo, dessen Bewegung Fünf Sterne auf Anhieb zur stärksten Einzelpartei in der Abgeordnetenkammer wurde. Sein Erfolg gilt als Ausdruck der Enttäuschung von Millionen Italienern über die etablierten Parteien. „In dreieinhalb Jahren sind wir zur absolut stärksten Partei im Land aufgerückt“, sagte der Kabarettist nach der Wahl. „Wir werden eine außerordentliche Kraft sein: 110 Leute im Parlament und einige Millionen draußen. Was für ein wunderbares Abenteuer“, so Grillo.
Der Erfolgsblogger bedauerte den unerwartet starken Wahlerfolg der Mitte-rechts-Allianz Berlusconis. „Das Land Berlusconi zurückzugeben wäre ein Verbrechen gegen die Galaxis“, wetterte Grillo. „Wir sind das wahre Hindernis für die etablierten Parteien. Berlusconi und Bersani haben das Land in den Ruin getrieben“, so Grillo. Er schloss aus, dass seine Protestbewegung angesichts der unklaren Machtverhältnisse eine Allianz mit den Traditionsparteien im Parlament eingehen könne. Um zu überleben, werden Berlusconi und Bersani eine Große Koalition aufbauen, prophezeite Grillo. „Sie werden aber maximal sechs Monate weitermachen können“, so der 64-Jährige.
Monti als großer Verlierer
Der große Verlierer ist weit abgeschlagen an vierter Stelle die Liste des bisherigen Regierungschefs Mario Monti. Er wurde als möglicher Koalitionspartner Bersanis gehandelt, eine Koalition mit Berlusconi lehnen die Linken ab. Monti zeigte sich Montagabend wegen der Gefahr der Unregierbarkeit in seinem Land besorgt. „Italien muss eine Regierung garantiert werden. Es ist noch zu früh, um an Lösungen zu denken, wir stehen vor einer gravierenden Verantwortung“, sagte der 69-Jährige. Italien brauche eine tragfähige Regierung und nicht ein Kabinett, das nur zu überleben versuche. Über sein Abschneiden zeigte er sich „sehr zufrieden“.
Entsetzen unter politischen Beobachtern
Politische Beobachter hielten angesichts des sich abzeichnenden Patts erschrocken den Atem an. Von einem „historischen Tag“ mit einem „Schockwahlergebnis“ sprach der Chefredakteur der renommierten Tageszeitung „Corriere della sera“, Ferruccio de Bortoli, in einer Videostellungnahme auf der Website der Zeitung.
Das Ergebnis zeige das „Unbehagen und die Empörung der Italiener gegenüber der politischen Klasse“ und müsse daher sehr ernst genommen werden. Zugleich sei es aber auch das Produkt eines Wahlkampfs, in dem Versprechungen gemacht wurden, die unmöglich erfüllt werden könnten, so der Leiter der konservativen Traditionszeitung in Mailand. Sicher sei, dass das Parlament unregierbar sei, da es nicht die gleiche Mehrheit im Senat und der Abgeordnetenkammer gebe.
US-Börsen und Euro auf Talfahrt
Die Aussicht auf ein Patt zwischen den politischen Lagern setzte am Montagabend dem Euro-Kurs stark zu. Die Gemeinschaftswährung sackte im New Yorker Handel auf Kurse unter 1,31 Dollar ab. Die Mailänder Börse reagierte nach den ersten Prognosen zum Wahlsieg von Bersanis Mitte-links-Bündnis positiv und kletterte gleich um vier Prozent ins Plus. Doch als sich im Senat ein Verlust abzeichnete, gab der Leitindex FTSE MIB am Abend nach und rutschte kurzzeitig in ein leichtes Minus, bevor er zum Börsenschluss wieder leicht ins Plus wechselte.
Die Wall Street verbuchte angesichts des unklaren Wahlausgangs Verluste: Der Dow Jones Industrial verlor in der letzten Handelsstunde seine zuvor mühsam verteidigte Gelassenheit völlig und verzeichnete das größte Tagesminus seit dem 7. November vergangenen Jahres. Immer wieder neue Hochrechnungen, die einmal die eine und einmal die andere Seite auf der Siegerstraße sahen, verunsicherten die Anleger schließlich völlig. Der Dow Jones verlor 1,55 Prozent auf 13.784,17 Punkte. Der marktbreite S&P-500-Index sank um 1,83 Prozent auf 1.487,85 Punkte. An der Technologiebörse NASDAQ gab der Composite-Index um 1,44 Prozent auf 3116,25 Punkte nach.
Italien steckt seit Jahren in der Rezession und leidet an einem nur noch von Griechenland übertroffenen Schuldenstand. Eine Rückkehr von Berlusconi könnte die Krise wieder verschärfen, befürchten Experten.
Schnee bremste Wahlbeteiligung
Die Wahlbeteiligung blieb angesichts des schlechten Wetters hinter den Erwartungen zurück. Vor allem der starke Schneefall im Norden am Sonntag könnte der Grund dafür gewesen sein, dass sich deutlich weniger Menschen beteiligten als 2008. Bei Schließung der Wahllokale am Montag um 15.00 Uhr betrug die Wahlbeteiligung 75 Prozent, teilte das Innenministerium am Montag mit. Das sind 5,7 Prozent weniger als bei der Parlamentswahl im Jahr 2008. Damals gingen noch über 80 Prozent wählen.
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