Tiere töten in freier Wildbahn
Im Wildjahr 2011/2012 sind in Österreich laut Statistik Austria 270.000 Rehe, 121.000 Hasen, 56.000 Füchse, knapp 50.000 Hirsche und mehr als 26.000 Wildschweine geschossen worden. Für Tierschützer ist das Massenmord, für Jäger eine erfolgreiche Jagdsaison. ORF.at sprach mit einem Jagdgegner, einem Jäger und einem offiziellen Jagdvertreter.
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Erich Artner ist seit 53 Jahren Jäger. Als Kind spielte er im burgenländischen Lutzmannsburg mit Steinschleudern und Luftdruckgewehren, danach folgten Kleinkaliberwaffen und schließlich der Jagdschein. Heute ist er Hegeringleiter. In Hegeringen sind mehrere Reviere zusammengefasst, die von verschiedenen Jägern betreut werden. Die Augen des 76-Jährigen leuchten, wenn er auf dem Hochstand sitzt und von seinen Jagderlebnissen und Naturbeobachtungen erzählt.

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Jäger und Hegeringleiter Erich Artner auf einem Hochstand am Waldrand
Elmar Völkl arbeitet beim Verein gegen Tierfabriken und widmet sich dem Kampf gegen die Jagd. Gemeinsam mit seinen Mitstreitern taucht Völkl unangemeldet bei Jagden auf, filmt und ruft die Polizei, wenn er etwas für gesetzwidrig hält. Wenn der quirlige 36-Jährige von der Hilflosigkeit erzählt, die er bei Treibjagden empfindet, hat er Tränen in den Augen.
Ernten oder ermorden?
Artner liebt Wildgulasch und Leber. Völkl ist Veganer. Und dennoch: Eigentlich, könnte man meinen, müssten die beiden an einem Strang ziehen. In der Theorie ist die Jagd tierfreundlich, zumindest verglichen mit Massentierhaltung. Glücklich und fidel leben Reh, Hirsch und Wildschwein im Wald, bis sie aus heiterem Himmel von einem Schuss getötet werden, ohne zu leiden.
Aber Jäger und Jagdgegner trennen Welten. Es ist kein Wunder, dass sie nicht zusammenkommen - es spießt sich schon an der Frage, was ein Tier überhaupt ist. Völkl vergleicht Tiere mit Menschen. Sie leben in Sozialverbänden und haben ähnliche kognitive Fähigkeiten wie wir. Wenn hingegen der oberste burgenländische Jäger, Peter Prieler, ein Mann mit einem Vollbart, der sich über den Lippen zwirbelt, seinem Ärger über die Kritik „sogenannter Tierschützer“ Luft macht, dann stellt er Tiere mit Pflanzen gleich: „Dann dürfen wir auch kein Getreide mehr abschneiden - das stirbt ja auch.“

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Artner vor Trophäen
Wenn der Schuss nicht sitzt
Lässt man diese grundlegende philosophische Frage beiseite, bleiben noch viele weitere Konfliktfelder. Das größte Tierleid, sagt Völkl, entsteht, wenn Tiere nicht ordentlich getroffen werden. Schwer verletzt schleppen sie sich in den Wald, wo sie entweder doch erschossen werden oder unter großen Schmerzen verbluten. Das sei an der Tagesordnung und passiere andauernd.
Spricht man mit Angestellten von Waldbesitzern, hört man mitunter von fehlender Nachschau: Wenn es regnet, kann es schon einmal vorkommen, dass ein Jäger das angeschossene Tier erst am nächsten Tag sucht. Landesjägermeister Prieler spricht von Einzelfällen und sagt, einem Jäger, der so etwas tue, dem gehöre „über den Schädel gehaut“. Dass man nicht immer mit dem ersten Schuss trifft, sei natürlich richtig, aber es komme eben nicht oft vor.
Wie lang man auf „seinen“ Bock wartet
Nicht nur in dieser Hinsicht ist den Tierschützern besonders die Treibjagd ein Dorn im Auge, die man von der klassischen Ansitzjagd unterscheidet. Bei Ansitzjagden wartet ein Jäger auf dem Hochsitz darauf, bis ihm ein Tier vor die Flinte läuft. Artner meint, man müsse im Schnitt gut 15-mal erfolglos ausharren, bis man dabei Erfolg hat. Schieße man dann endlich „seinen“ Bock, dann freue man sich „besonders“. Die Tiere wittern den Jäger, einfach herumsitzen reicht nicht, man muss die Sache strategisch angehen und alle möglichen Faktoren mitbedenken.
Bei Treibjagden hingegen werden Tiere den Jägern in einem Waldstück entgegengetrieben und auf einen Schlag in großer Menge geschossen. Zahlen für ganz Österreich gibt es dazu nicht. Um aber eine Größenordnung zu vermitteln: Artner erzählt, dass in seinem Zuständigkeitsbereich während der letzten Saison rund die Hälfte der Wildschweine bei Treibjagden erlegt wurde. Diese Art von Jagden kommt immer wieder ins Gerede, weil es nicht selten zu Unfällen kommt. Erst unlängst wurde ein Treiber versehentlich erschossen.

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Elmar Völkl vom VGT
„Herumballern“ bei Treibjagden?
„Es kann mir keiner erzählen, dass dabei genau gezielt wird“, kritisiert Tierschützer Völkl: „Da wird auf alles geschossen, was sich bewegt.“ Und auch Artner gesteht ein, dass es angesichts der Jagdunfälle kein Wunder sei, wenn der Eindruck entstehe, es würde dabei „herumgeballert“. Landesjägermeister Prieler bemüht sich zu relativieren - verglichen mit Autounfällen passiere bei Jagden nur sehr wenig. Wie auch immer: Was könnte man tun, damit Jäger besser treffen?
Jeder Jäger muss eine strenge Jagdprüfung ablegen. Ein Waidmann, der etwas auf sich hält, beweist zusätzlich regelmäßig am Schießstand, dass er vom Umgang mit der Waffe etwas versteht, sagt Artner. Aber den von den Jagdverbänden empfohlenen Schießübungen unterzieht sich nicht jeder. Gesetzliche Pflicht sind sie nicht - leider, wie Artner meint. Landesjägermeister Prieler pflichtet ihm bei. Jemandem, der seltener jage, würde eine Überprüfung guttun, und geübten Jägern könne sie egal sein, die hätten ohnehin nichts zu befürchten.
Bevölkerungsexplosion im Wald
Treibjagden sind laut Prieler eine Notwendigkeit. Nur so könne man eine große Menge Tiere in kurzer Zeit schießen. Das wiederum sei unabdingbar, um die Abschusspläne zu erfüllen. In diesen legen Behörden in Rücksprache mit Jägern fest, wie viel Wild getötet werden muss. Das Hauptargument für die Jagd ist, dass es die Population der Tiere zu regulieren gilt, damit Schäden in Wald und Feld hintangehalten werden können.
Besonders die Zahl an Wildschweinen ist in den letzten Jahren regelrecht explodiert. Die Jäger machen dafür gute Jahre bei Eicheln und Bucheckern - der Hauptnahrung der Tiere -, milde Winter und den vermehrten Anbau von Mais verantwortlich. Tierschützer Völkl sieht auch die Jäger als Schuldige. Wissentlich würden sie durch die Fütterung im Winter die natürliche Regulierung verhindern, um mehr abschießen zu können. Abschüsse bringen Geld.

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Jagd als Naturerlebnis - hier in einem Wald bei Lutzmannsburg
Braucht der Wald die Jäger?
Zum Teil stimmt das schon, meint der erfahrene Jäger Artner. Ursprünglich war es wichtig, den Bestand zu halten. Zum Beispiel sollten keine Bachen (also Wildsäue) geschossen werden, damit für Nachwuchs gesorgt bleibt. Heute werden Jäger dazu angehalten, auch sie zu schießen. Das Umdenken vom Bestandwahren zum drastischen Reduzieren des Bestandes ist freilich noch nicht bei jedem Jäger vollzogen.
Oberjäger Prieler versichert, ins Gewicht falle die Fütterung kaum noch. Noch 2011 hatte er in einem Infoblatt auf der Website des Jagdverbands gewarnt: „Unter gewissen Umständen stellen sogar wir Jäger eine Belastung für die Wildtiere dar. Falsch angelegte Fütterungen, nicht angepasste Jagdmethoden, zu hoher Jagddruck und falsch verstandene Kirrungen, die manchmal schon in Mast ausarten, sind zu hinterfragen und zu ändern.“ Kirren nennt man das Lockfüttern von Wild, damit es dorthinkommt, wo man es dann schießen kann.

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Der burgenländische Landesjägermeister Peter Prieler
Wenn Jagdgäste im Gehege schießen
Das wichtigste Argument der Jäger, sie müssten jagen, um den Bestand zu regulieren - die Tierschützer halten es für kompletten Humbug. Die Population könne man auch auf andere Art und Weise reduzieren. Würden nämlich die Jäger nicht so viel „Raubzeug“ (etwa Füchse) schießen, würden Raubtiere wie Wölfe ausgesetzt und würde das Wild nicht mehr gefüttert - schon bald hätten sich die Bestände selbst reguliert. In jenen Nationalparks, wo nicht gejagt werden darf, sei das so.
Für erbitterten Streit sorgen auch Gatterjagden, bei denen Tiere innerhalb eines eingezäunten, naturnahen Grundstücks geschossen werden (oft von Jagdgästen des Grundbesitzers) und Zuchtjagden - bei denen extra aufgezüchtete Tiere (meist Fasane und Wildenten) nur für die Jagd freigelassen werden. Tierschützer sprechen von Perversion und Profitgier - Jäger von einer Form der Landwirtschaft.
Zwischen Naturdoku und Horrorfilm
Jäger Artner posiert auf Nachfrage voll Stolz vor seinen Trophäen. Er erzählt vom lustigen Beisammensein der Jäger, das heute etwas zu kurz komme, er beschreibt die Traditionen, wo man dem Tier nach dem Tod mit dem Jagdhorn Respekt zolle. Er erinnert sich an Beobachtungen, die das viele Warten auf dem Hochstand wert seien. Wenn etwa Jungtiere herumtollen oder Rehböcke gegeneinander kämpfen - Bilder, die man sonst nur aus „Universum“-Dokumentationen kennt. Artner schwärmt von Wildmahlzeiten mit der Familie.
Völkl hingegen sagt, es zerreiße ihm das Herz, wenn er sehe, wie grausam Menschen sein könnten und das für legitim hielten: „Das ist erschütternd, berührend. Wenn man mitten in dem Jagdgeschehen steht und es fallen sprichwörtlich die angeschossenen Fasane links und rechts von einem zu Boden und man möchte dieses Unrecht nur beenden und sieht das Leid links und rechts und man weiß nicht mehr, was man noch tun kann, um das irgendwie zu beenden. Ich darf die Tiere nicht zum Tierarzt führen, weil sie nicht mein Eigentum sind.“
Die Bilderwelten liegen denkbar weit auseinander - eine traumhafte Naturdoku auf der einen, ein Horrorfilm auf der anderen Seite. Am Ende muss wie so oft der Konsument entscheiden, ob und von wem er mit welchem Fleisch versorgt werden will: Massentierhaltungsware unklarer Herkunft, solche aus Österreich, Biofleisch, Wild - oder ganz einfach weniger Fleisch, oder sogar, irgendwann, gar keines mehr.
Simon Hadler, ORF.at
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