Die Retterin des Universums
Mitten im Sumpfland der US-Südstaaten lebt eine Gruppe von Menschen, die sich gegen Naturgewalten und die Zwänge der sogenannten Zivilisation wehren - darunter ein kleines, mutiges Mädchen, das in „Beasts of the Southern Wild“ zur Heldin einer ganzen Generation wird.
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„Eine wahre Ode auf den Sinn des Lebens, die Liebe und die Hoffnung“, urteilte die Jury in Cannes, als die Goldene Kamera für den besten Debütfilm an „Beasts of the Southern Wild“ verliehen wurde. Und bevor der Film auch beim Sundance Film Festival den großen Preis der Jury gewonnen hatte, hieß es in der „New York Times“ („NYT“) enthusiastisch: „Eine der besten Produktionen, die in den letzten zwei Jahrzehnten auf dem Festival gezeigt wurden.“
Kleiner Film, hohe Wellen
Warum hat der kleine Erstlingsfilm eines bis dahin weitgehend unbekannten Regisseurs so hohe Wellen geschlagen? Weil Benh Zeitlin (geb. 1982 in New York) mit seinem Debüt schafft, was einfach klingt und doch nur den Besten seines Fachs gelingt: die Zuschauer in eine fremde, magische Welt zu entführen.

Polyfilm
Ein Völkchen probt den Widerstand
Es ist die Welt der sechsjährigen Hushpuppy (Quvenzhane Wallis), die mit ihrem Vater (Dwight Henry) in den abgeschnittenen Sumpfgebieten Louisianas an der Küste des Golfs von Mexiko lebt. Durch einen Damm von der Zivilisation getrennt, wohnt eine hippieartige Gemeinschaft in improvisierten Baracken. Hühner, Schweine, Hunde, Katzen, Pferde und Menschen teilen sich Tisch und Bett. Trotz ihrer Armut bemitleiden die Bewohner von Bathtub (dt. Badewanne), wie der Ort genannt wird, die Leute in der „trockenen Welt“: „Die fürchten das Wasser, haben keine Ferien und sperren ihre Babys in Kinderwägen.“
Weinen ist nicht erlaubt
In der Bathtub-Schule lernen Hushpuppy und ihre Freunde nicht fürs Lebens, sondern fürs Überleben. Irgendwann wird der Sturm kommen, das wissen alle, und dann muss jeder gewappnet sein. Die Kinder erfahren, dass die Polkappen schmelzen - und dass alle Dinge im Universum zusammenhängen, weshalb der kleinste Fehler alles zum Einstürzen bringen kann.
Hushpuppys Leben gerät durcheinander, als sie merkt, dass ihr Vater schwer krank ist und bald nicht mehr imstande sein wird, sich um sie zu kümmern. Doch die Kleine ist furchtlos und hat eine unerschöpfliche Fantasie, die ihr dabei hilft, die wichtigste Regel ihres Vaters zu befolgen: „Weinen ist nicht erlaubt.“
Philosophisches Meisterwerk
Obwohl das Mädchen eine wilde, unbändige Liebe zu ihrem Vater verbindet, flieht sie oft in ihre eigene, imaginäre Welt. Hier spricht sie mit ihrer verschwundenen Mutter und denkt über den Werdegang allen Seins nach. Als Stimme aus dem Off untermalen ihre Gedanken den ganzen Film - und machen ihn zu einem philosophischen Meisterwerk. „Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich, dass alles, was mich erschaffen hat, in unsichtbaren Teilen um mich herum fliegt. Ich sehe, dass ich ein kleiner Teil eines riesengroßen Universums bin.“
Als das Unwetter schließlich kommt und Bathtub unterzugehen droht, stellen sich die Bewohner entschlossen gegen die Naturgewalten und auch gegen die Behörden, die sie zwangsevakuieren wollen. Sie geben ihr Zuhause nicht kampflos auf und Hushpuppy kämpft dabei an vorderster Front. Es scheint, als wolle sie die Risse im Universum auf eigene Faust reparieren.
Heldin einer Generation
Zeitlin und das Künstlerkollektiv Court 13, dem er angehört, haben ihren Film in einer Region angesiedelt und gedreht, wo man mit der Natur lebt und jahrhundertealte Traditionen bewahrt hat. Das Team traf dort auf Menschen, die trotz Hurrikans und Ölverschmutzung die Kraft aufbringen, in der Heimat auszuharren, die ihnen vielleicht das Leben kosten wird - und das, ohne Hoffnung und Lebenslust zu verlieren.
„Beasts of the Southern Wild“ handelt von der Überzeugung, dass Besitz unfrei macht und nur das Hier und Jetzt zählt. Mit dieser Einstellung kann ein kleines Mädchen durch ihren bloßen Willen die schrecklichsten Monster des wilden Südens in die Knie zwingen - und in der Welt da draußen zur Heldin einer ganzen Generation werden.
Sonia Neufeld, ORF.at
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