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Benh Zeitlin über sein Laienteam

Benh Zeitlin hat es geschafft: Der Independent-Filmer brachte es bereits mit seinem ersten Spielfilm in die Liste der Nominierten für den Oscar in der Kategorie „Bester Film“. Im Interview mit ORF.at spricht er darüber, wie es zu „Beasts of the Southern Wild“ kam und was die Oscar-Nominierung für ihn bedeutet.

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ORF.at: Ihr Spielfilmdebüt ist die Geschichte über ein sechsjähriges Mädchen, das mit seinem Vater in einem Gebiet wohnt, das von einem Sturm ergriffen wird - da kommt einem der Sturm „Katrina“ in den Sinn. Woher stammt die Filmidee?

Benh Zeitlin: Ich begann 2008, an dem Film zu schreiben. „Katrina“ ist der berühmteste Sturm der letzten Zeit in Louisiana, aber zuvor gab es noch einige andere: „Gustav“, „Ike“, dann gab es „Rita“ und „Isaac“. Zu dieser Zeit schrieb ich über die Zukunft Louisianas, aber auch über die Orte, die dort existierten und die mit der Zeit versunken sind oder weggeschwemmt wurden. Ich wollte einen Film über Menschen machen, die es versuchen, sich trotz allem in ihren Wohngegenden aufzuhalten, über Menschen, die nicht versuchten zu flüchten, sondern probierten zu überleben, die fast jedes Jahr von einem Sturm getroffen wurden. Das Drehbuch habe ich mit Lucy Alibar zusammen geschrieben. Sie hat zuvor ein Stück geschrieben, das Teile des Films inspiriert hat.

ORF.at: Mut und Moral sind die Hauptthemen des Films. Er nimmt sich aber auch der Thematik des Verlusts nahestehender Personen an. Das ist kein einfaches Thema. Wie haben Sie versucht, beide Themen in einer Geschichte umzusetzen?

Regisseur Benh Zeitlin

ORF.at/Dalibor Manjic

Regisseur Benh Zeitlin

Zeitlin: Als ich nach New Orleans gezogen bin, haben mich viele gefragt, warum ich das mache - mit dem Hinweis darauf, dass es den Ort sowieso nicht mehr lange geben wird in seiner jetzigen Form. Menschen, die in solchen Gegenden bleiben wollen, sahen sie als verrückt an. Und gleichzeitig gab es da für mich eine Parallele zu der Geschichte des sechsjährigen Mädchens, das an seinem Vater hängt - in dem Wissen, dass er bald sterben wird.

Wenn man einem Kind sagen würde, „Oh, Dein Vater ist krank, vielleicht solltest Du darüber nachdenken, wegzugehen und neue Eltern für dich zu finden“, würde ich das als verrückt einstufen. Und für mich gibt es da auch eine Parallele zum anderen Filmthema - Leute dazu anzuhalten, ihre Heimat zu verlassen, weil die Gegend „krank“ oder „am Sterben“ ist. Ich denke, dass die Geschichte des kleinen Mädchens und die ihres Vaters eine Möglichkeit war, in Bezug auf Heimatverlust eine universellere Geschichte zu erzählen.

ORF.at: Wie war das mit der Rolle des Vaters? Diese ist wie die Rolle der Tochter mit einem völlig Unbekannten besetzt. Es wirkt aber so, als wäre er ein professioneller Schauspieler.

Er ist ein Bäcker (lacht). Er hat eine Bäckerei gegenüber dem Gebäude, wo wir das Casting für den Film abgehalten haben. Wir kannten ihn von unseren täglichen Bäckereibesuchen. Eigentlich wollten wir diese Rolle mit einem professionellen Schauspieler besetzen, aber als er dann beim Casting mitgemacht hat, hat er Schauspieler mit viel Erfahrung in den Schatten gestellt.

ORF.at: Wie ist Ihre Erfahrung mit Laiendarstellern, wie wurden sie auf ihre Rollen vorbereitet? Das ist ja Ihr Spielfilmdebüt, wäre es da nicht einfacher gewesen wäre, professionelle Schauspieler für den Film zu engagieren.

Es wäre einfacher gewesen, aber der Film wäre nicht so gut geworden. Dabei geht es nur um Zeit. Wir mussten sie zu Schauspielern machen, mit ihnen trainieren. Dabei mussten wir das, wofür es sonst Jahre braucht, in vier Monaten schaffen. Mit Dwight Henry, der den Vater spielt, haben wir geübt, während er gebacken hat. Er konnte seinen Job nicht aufgeben. So haben wir an der Rolle gearbeitet, während er Donuts gemacht hat. Ich bin nächtelang mit ihm in der Bäckerei gewesen.

Es war viel Arbeit und Training. Wir mussten sehr aufeinander eingehen. Es war viel Austausch da, und es passierte auf einer sehr persönlichen Ebene. Auf einer Ebene, auf die man sonst als Regisseur nicht mit seinen Schauspielern begibt. Wir sind auch sehr gute Freunde geworden. Es war definitiv keine einfache Entscheidung, es so zu machen, aber wir haben gewusst, dass das im Sinne und im Geiste des Films war und dass es die richtige Wahl war, so vorzugehen.

ORF.at: Gab es im Film auch einen Bezug auf eine Art ideologische Idee bzw. wollten Sie auf Fragen von Subkulturen eingehen? Die breite Öffentlichkeit kennt die Umstände von Menschen, die so leben, allenfalls aus Dokumentarfilmen.

Ich wollte einen Film über eine Gruppe von Menschen machen, die ihren „Way of Life“ selbst schmieden wollen. Die ihren eigenen Platz haben, ihr eigenes Universum kreieren, in dem sie ihre eigenen Regeln aufstellen. Ich wollte auch diese Mentalität feiern. Ich denke auch, dass oft Kulturen, die abseits des Mainstreams leben, missachtet werden und sehr oft schlecht behandelt werden. Die Kultur in Süd-Louisiana ist die wundervollste Kultur, der ich je begegnet bin. Ich wollte einen Film darüber machen, der diese zelebriert, und ihre Geschichte so erzählen, dass Menschen von außerhalb Menschen, die so sind und so leben, verstehen und respektieren lernen können.

ORF.at: Der Film erzählt die Geschichte durch die Augen eines sechsjährigen Mädchens, wie kam es zu grundsätzlich zu dieser Idee?

Die Idee kommt aus dem Drehbuch: Die Schilderung soll die persönliche Erfahrung des Mädchens sein. Ich dachte immer, die Geschichte ist ein Märchen oder eine Abenteuergeschichte. Aber die eigentlichen Geschehnisse im Film sind keine märchenhaften Abenteuergeschichten, sondern eine Geschichte, die sehr ernsthaft ist, und eine, die wirklich passiert. Das Abenteuer und ihr Heldenmut ist ihre Erfahrung mit der Ernsthaftigkeit der Lage, es ist die Art, wie sie sich selbst sieht, wie sie ihre Mission erlebt. Sie hat nur den Anspruch an sich, und der ist, auf ihren Vater aufzupassen und ihn zu verstehen. Und ich wollte diesen Moment des Heldenmuts umsetzen und ihr Streben nach dem Heldenmut festhalten.

ORF.at: Hat die Figur von Hushpuppy in einem weiteren Sinne etwas mit Ihrer eigenen Lebensgeschichte zu tun? Zuerst soll sie für eine Bubenrolle geschrieben worden sein?

Klar. Aber eigentlich ist der Charakter bzw. die Rolle eine Kombination und beeinflusst durch verschiedene Personen: Zum Teil bin es ich, zum Teil Lucy (Alibar; Drehbuch-Koautorin, Anm.) und zum Teil Quenzhane. Und die Rolle hat all unsere Qualitäten, würde ich sagen. Zum größeren Teil basiert die Rolle auf Lucys Kindheitserinnerungen, deshalb haben wir aus der Bubenrolle eine Mädchenrolle gemacht.

ORF.at: Wie lange habt ihr insgesamt für den Film gebraucht?

Für das Drehbuch haben wir eineinhalb Jahre gebraucht. Zum Drehen brauchten wir sechs, sieben Wochen.

Regisseure Benh Zeitlin und Emir Kusturica

ORF.at/Dalibor Manjic

Benh Zeitlin (links), hier im Gespräch mit Regiekollege Emir Kusturica beim Kustendorf-Festival

ORF.at: Welche Filmemacher inspirieren Ihre Werke, Sie haben einmal erzählt, Emir Kusturica sei eine große Inspirationsquelle? Wenn ja, welche seiner Filme im Besonderen?

Eine ganz große Inspirationsquelle. Der erste, den ich sah, war „Underground“. Dieser Film besonders, für mich ist das Thema ein ähnliches, es geht um einen Ort, der sich abspaltet, und um Menschen, die sich an diesen festhalten wollen. An diesen Film habe ich oft gedacht, als ich meinen Film gemacht habe. Es ist auch diese Energie, die Art, wie er Bilder einfängt, das Leben, die beseelten Momente. Das ist sehr schwierig, in einem Film rüberzubringen. Die Filme „Time of the Gypsies“, „Black Cat, White Cat“ und „Underground“ waren die größte Inspiration für mich. Ich mag auch seinen Film „When Father Was Away on Business“.

ORF.at: Bei den Oscars sind Sie zusammen mit großen Regisseuren in der Hauptkategorie nominiert. Wie war Ihre Reaktion darauf?

Es ist eine Ehre, und es fühlt sich gut an. Als wir das gehört haben, waren wir schockiert, wir dachten nicht daran, dass wir eine Chance hätten. Wir haben gleich darauf eine Art „Panikparty“ gemacht.

ORF.at: Und Quvenzhane ist in der Kategorie „beste Hauptdarstellerin“ nominiert? Wie war das für sie, als sie das hörte?

Sie nimmt alles sehr gefasst auf. Sie war schon ein wenig aufgeregt und ist vor Freude rumgesprungen. Sie bleibt aber „cool“, wir sind jedenfalls alle mehr ausgeflippt als sie selbst. Sie ist ja sehr jung, und wo sie herkommt, ist nicht unbedingt eine Filmindustriegegend. Es ist ja so, dass sie noch nie von den Academy Awards gehört hat, und all das ist neu für sie, und sie lernt das erst zu verstehen.

Das Gespräch führte Dalibor Manjic, ORF.at

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