Heldenepos mit Laiendarstellern
Es passiert nicht alle Tage, dass ein Spielfilmdebüt, vor allem wenn es sich dabei um eine Independent-Produktion handelt, bei den Oscars ganz vorne mitmischt: in der Kategorie „Bester Film“, in einer Reihe mit den Streifen von Steven Spielberg, Ang Lee und Michael Haneke. Benh Zeitlin ist das mit „Beasts of the Southern Wild“ gelungen.
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Der Film ist heuer der große Oscar-Überraschungskandidat mit vier Nominierungen. Vor allem in der Kategorie „Beste Schauspielerin“ könnte er für eine kleine Sensation sorgen. Der 30-jährige Zeitlin fühlt sich durch die zahlreichen Auszeichnungen, die er bereits erhalten hat, geehrt. Die Oscar-Nominierung war für ihn dann aber doch eine große Überraschung, wie er im Interview mit ORF.at verrät: „Als wir das gehört haben, waren wir schockiert. Wir dachten nicht daran, dass wir eine Chance hätten.“

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Quenzhane Wallis in der oscarnominierten Rolle der Hushpuppy
Mit Hauptdarstellerin Quenzhane Wallis (in der Heldenrolle der Hushpuppy) würde erstmals in der Geschichte des Academy Awards eine Neunjährige mit einem Oscar ausgezeichnet werden. Hushpuppy, gespielt von der zum Drehtermin erst sechs Jahre alten Wallis, ist ein Charakter, der von Zeitlins eigenen Lebenserfahrungen beeinflusst wurde, aber auch von jenen der Drehbuch-Koautorin Lucy Alibar: „Zum Teil bin das ich, zum Teil ist es Lucy und zum Teil Quenzhane.“
Der wilde Süden - die geliebte Badewanne
Eine weitere Hauptrolle spielt jene überschwemmte Sumpflandschaft in Louisiana, die von Hurrikan „Katrina“ zerstört wurde. Hushpuppy und ihre Freunde haben einen liebevollen Kosenamen für das „Southern Wild“, zu dem die Region während des Sturms wird, gefunden: „Bathtub“ (Badewanne). Und die Biester dieses Southern Wild, das sind Auerochsen, wie man sie von Höhlenmalereien kennt. Hushpuppy hat die Tätowierung auf dem Oberschenkel einer Frau gesehen. Die Auerochsen verfolgen sie im Schlaf.
Im Film wird die Gegend wieder einmal von einem fürchterlichen Gewitter heimgesucht - und die Bewohner werden gegen ihren Willen in ein Evakuierungszentrum gebracht. Dort fühlen sie sich eingesperrt, sie sehnen sich nach der Freiheit ihres ungestümen Miteinanders in der Wildnis Louisianas zurück.
Regisseure des eigenen „Way of Life“
Zeitlin besetzte seinen mit verhältnismäßig wenig Geld produzierten Streifen ausschließlich mit Laiendarstellern und widmet seine phantastisch-märchenhafte und dennoch nicht unrealistische Geschichte ernsten Themen: den Auswirkungen von Umweltkatastrophen, dem Verlust der Eltern, der Flucht.
"Ich wollte einen Film über eine Gruppe von Menschen machen die ihren „Way of Life" selbst schmieden wollen, die ihren eigenen Platz haben, ihr eigenes Universum kreieren, in dem sie ihre eigenen Regeln aufstellen. Ich wollte diese Mentalität feiern“, so Zeitlin gegenüber ORF.at - die Mentalität von Menschen, die ihre Heimat nicht verlassen wollen und deshalb wie „Outlaws“ behandelt werden.

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Die kleine Hushpuppy versucht ihrem kranken Vater so gut es geht zu helfen
Ein Bäcker in einer der Hauptrollen
Zeitlins Drama ist ein Heldenepos der anderen Art, mit Helden, die man in dieser Form in der Welt des US-amerikanischen Kinos noch nicht gesehen hat. Der Film wurde mit der Hilfe des von Zeitlin mitgegründeten Künstlerkollektivs „Court 13“ fertiggestellt. Inspiriert durch seinen eigenen, noch auf der Filmschule fertiggestellten Kurzfilm „Glory at Sea“ arbeiteten Zeitlin und Koautorin Alibar eineinhalb Jahre an dem Drehbuch für „The Beasts“, wie Zeitlin seinen ersten Featurefilm nennt. Die Drehzeit betrug sieben Wochen.
Die meiste Zeit hat Zeitlin aber in die Arbeit mit seinen Schauspielern investiert. Die Rolle des Vaters von Hushpuppy übernahm der Bäcker Dwight Henry: „Mit ihm haben wir geübt, während er gebacken hat. Er konnte seinen Job nicht aufgeben. So haben wir an der Rolle gearbeitet, während er Donuts gemacht hat.“ Seinen Film mit Profis zu besetzen - das wollte Zeitlin am Ende doch nicht: „Es wäre einfacher gewesen, aber der Film wäre nicht so gut geworden.“

ORF.at/Dalibor Manjic
Regisseur Benh Zeitlin
„Der Film, der gewinnen sollte“
Mit oder ohne Oscar, eines steht jedenfalls schon seit einem Jahr fest: Mit Benh Zeitlin hat das US-amerikanische Kino einen neuen vielversprechenden Regisseur bekommen, einen herausragenden Filmarbeiter, der mit „Beast of the Southern Wild“ nicht nur Cineasten anspricht, und der mit seinem Werk den Vergessenen und aus der Gesellschaft Ausgeschlossenen eine kraftvolle Stimme verleiht. Zeitlin hat mit seinem Erstlingswerk bewiesen, dass er auch mit märchenhaft anmutenden Bildern schonungslose und ehrlich gemeinte Kritik üben kann, ohne „zu politisch“ zu werden - und das mit einem Film über Menschen, die ihre Heimat nicht aufgeben wollen, weil diese „krank“ oder „am Sterben“ ist.
Auf Social-Networking-Plattformen wurde der Titel seines Films in Bezug auf die Nominierung bei den Academy Awards auf „The one that probably should win but won’t“ umgewandelt. In die Kategorie Wunder würde es aber wohl nicht fallen, würde zumindest eine der begehrten Academy-Awards-Trophäen an sein Drama gehen. Immerhin wurde Zeitlin neben zahlreichen Publikums- und Kritiker-Preisen bereits mit der „Camera d’Or“ für den besten Debütfilm in Cannes und dem Hauptpreis beim Sundance Film Festival ausgezeichnet.
Dalibor Manjic, ORF.at
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